Schönheit findet sich im Verfall von New York, in endlosen Kamerafahrten eines Films wie Birdman, in den Objektiv-Fabriken von Leica in Wetzlar - nur nicht im glattgeputzten Architekturelend neuerer Tage. Meint zumindest unsere Kolumnistin.
Ana Marija Milkovic /
Ich war im Kino und ich habe durch ein neues Objektiv in ein Haus gesehen und es für schlecht befunden. Kennen Sie den Film "Birdman oder die Macht der Ahnungslosigkeit"? Wenn nicht, sollten Sie sich den Film ansehen. Das ist ein Film, der in seiner Kamerafahrt den Zuschauer überrascht. Die Fahrten sind mittels Trickfilmtechnik so geschnitten, dass die Aufnahmen endlos scheinen. Was sie für diese 90 Minuten dynamischer Überfahrt brauchen, ist eine Eintrittskarte zu einem Kino Ihrer Wahl. Schon nach wenigen Minuten sind Sie "drin" und denken, wie fuckin' gut spielen diese Schauspieler und wie schmeißt der Regisseur uns jemals aus der Geschichte hier wieder raus.
Die Objektive, die im Film Anwendung fanden, sind Leica Summilux-C-Objektive und übertragen laut Pressetext die außergewöhnliche Bildqualität der Leica Fotografie auf das Medium Film. Entwickelt und hergestellt werden die Objektive in Wetzlar. Das ist eine Stadt im hessischen Silicon Valley.
Der Regisseur des Films Birdman ist Mexikaner. Alejandro González Iñárritu. Sein Lebensweg liest sich wie eine Geschichte, die uns hier im Vollkasko versichertem Abendland das Fürchten lehrt. Alejandros Vater war ein vermögender Banker aus Mexico-Stadt. Er bankrottierte als Aljenadro sechs Jahre alt war. Anschließend verkaufte der Vater Gemüse, um seine Familie zu ernähren. Als Alejandro 17 Jahre alt wurde war er sich wie sein Vater für nichts zu schade, heuerte auf einem Frachtschiff an und überquerte Fußboden putzend den Ozean.
Irgendwann kehrte Alejandro heim, studierte, legte in einem Radiosender Musik auf und wurde Intendant des Senders. Schließlich produzierte er eigenständig. Ein Film, der über die Schattenseiten des Lebens in Mexiko handelt, holte die erste Oscar-Nominierung. Dann zog er nach Hollywood um.
Der Film Birdman spielt in New York. Ich hatte New York vergessen und mit diesem Film wieder entdeckt. Ich habe durch die Augen eines Regisseurs eine Stadt gesehen, die diametral zur Brillanz der Bilder mit ihren Menschen verfällt. Und dieser Verfall ist unbegreiflich schön, wenngleich düster anzusehen.
Natürlich bin ich diese perfekten Perspektiven auf das Leben satt, die alle Hässlichkeit negieren, die uns tatsächlich umgeben oder sie, noch schlimmer, kultivieren, aber nicht lassen, was sie sind: Hässlich!
So auch das Gebäude, das in seiner Hässlichkeit kultiviert wurde, weil es nicht sein soll, was es ist: Hässlich! Statt dessen trägt das Gebäude nun das Label "Anti-Villa". Die sogenannte Anti-Villa ist eine ehemalige Fabrik am Krampnitzsee bei Potsdam, die der Berliner Architekt Arno Brandlhuber zu seinem persönlichen Refugium umbaute. Der Umbau zeigt, was einem der sicherlich renommiertesten deutschen Architekten unserer Zeit fehlt: Der Dienst als Schiffsjunge auf einer Ozeanüberfahrt den Fußboden schrubbend.
Der Umbau soll eine kritische Auseinandersetzung mit der Energiesparverordnung (EnEV) sein. Diese Ansicht teile ich nicht. Diesem theoretischem Anspruch lässt sich keine schlüssige Praxis ableiten. Weder möchte der Mensch die Sauna anwerfen, um Wärme für den Wohnraum abzuleiten, noch entstehen durch Vorhänge Räume, die einer Notwenigkeit dauerhaft zu leben entsprechen. Sozialkritisch ist das leider nicht.
Die Politik wird sich sicherlich nicht rechtfertigen müssen, wenn eine kleine, intellektuell ausschließlich sich selbst genügende Gemeinde nun noch den Dämmlobbyistenwahn schick und hipstergängig kultiviert. Künstlerisch fesselnd und erfolgreich ist statt dessen eine Perspektive, die nicht schönt, aber uns wieder an Hollywood, Mexico und Wetzlar glauben lässt.