Jeden Tag eine gute Tat

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Andreas Dosch /

herr_pHerr P. fährt Bahn

Herr P. hatte im Kino „Spider-Man 3“ gesehen und war beeindruckt: „Es wäre doch schön, wenn jede Stadt so einen freiwilligen Freund und Helfer hätte“, dachte er sich auf dem Nachhauseweg und beschloss, es ab jetzt diesem leuchtenden Beispiel aus den USA gleichzutun. Am nächsten Tag schlich er sich also unbemerkt in den Fahrstuhl des Commerzbank-Towers, fuhr bis ganz nach oben, trat auf die Dachterrasse – und tatsächlich, dort stand bereits ein Banker, die Krawatte weit geöffnet. „Tun Sie es nicht!“, rief Herr P. also und stürmte auf den Mann zu, der sich so sehr erschreckte, dass er das Gleichgewicht verlor und über die Brüstung kippte. Mit einem beherzten Sprung war Herr P. bei ihm, schnappte seine Hand und rettete ihn in letzter Sekunde vor dem Fall. „Sie Idiot!“, brüllte der Mann außer sich. „Ich werde Sie anzeigen! Was haben Sie hier oben eigentlich verloren?“ Die Security beförderte Herrn P. nach draußen. Na ja, kann passieren. Guten Mutes eilte er in die U-Bahn, bestieg einen der Züge und wartete ab. Schon bald hatte er durch Mut, Einsatzbereitschaft und Diplomatie („Ruhe jetzt, oder Ihre Sozialhilfe wird gestrichen!“) einen Streit geschlichtet, bei dem es um die angebliche Preiserhöhung während der Stoßzeiten ging, und als die Bahn im Tunnel abrupt zum Halten kam, riss er entschlossen die Tür der Fahrerkabine auf, was dem Zugführer einen derartigen Schock versetzte, dass er beim ruckartigen Herumschnellen den Geschwindigkeitsknüppel auf „Full Speed“ schob, der Bahnwagen jaulend einen Affenzahn aufnahm und bald ungebremst über die Gleise jagte. Der Fahrer rief etwas von „Schwachkopf“, wurde dann aber ohnmächtig, sodass es nun an Herrn P. lag, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Mittlerweile rasten die Waggons bereits oberirdisch über sämtliche Stoppzeichen hinweg, während Herr P. noch verzweifelt versuchte, über Funk Hilfe zu alarmieren. Er drückte diverse Knöpfe, Scheibenwischer gingen an, Türen öffneten sich, Menschen schrien in Panik, bis Herr P. endlich den Notschalter fand. Quietschend und qualmend kam die Bahn irgendwo bei Niederrad am Waldrand zum Stehen. Er schaute aus dem Fenster, lächelte, fand den Lautsprecherknopf, sagte „Wäld-chestag. Endstation. Alles aussteigen“, die Leute taumelten ins Freie, und mit einem gewissen Stolz in seiner Brust machte Herr P. die Türen hinter ihnen zu.

Erschienen im Journal Frankfurt, Ausgabe 11/2007; Illustration: Stephan Rürup


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