Vor einem Jahr kletterte das Eichhörnchen noch im Kelsterbacher Wald herum, gestern stand es vor Gericht. Der Robin Wood-Kletteraktivistin Cécile Lecomte, so heißt das Eichhörnchen bürgerlich, wurde Hausfriedensbruch, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Die 28-Jährige hatte sich an einer Baumbesetzung gegen den Bau der neuen Landebahn des Flughafens beteiligt. Der Flughafenbetreiber Fraport erstattete Anzeige. Teil der Anklage ist außerdem eine Klettertour unter dem Dach des Hauptbahnhofs.
Das Eichhörnchen sucht also öffentliche Aufmerksamkeit. So verwunderte es auch nicht, dass sich vor Beginn des Prozesses Cécile Lecomte und ihre Anhänger vor dem Gericht versammelten – unter den wachsamen Augen von rund 20 Polizisten und Justizbeamten in voller Montur. „Freiheit für das Eichhörnchen“, „Gerichte sind zum Essen da“, und ähnliches schrieben die Solidaritätsbekunder mit Kreide auf den Boden, malten Bäume und Blumen. Das Eichhörnchen machte währenddessen seinem Namen alle Ehre, kletterte auf das Amtgesichtgebäude oder fuhr mit einem Einrad auf und ab.
Nachdem die Schaulustigen durch den Hintereingang geschleust und aufgrund der strengen Sicherheitsvorkehrungen durchsucht worden waren, begann er endlich, der Prozess. Die Kletterkünstlerin hatte gleich zu Beginn das Wort: „Ich sehe eine Kriminalisierung meiner Person. Man will an mir ein Exempel statuieren. Durch die getroffenen Vorkehrungen befürchte ich eine Vorverurteilung. Ich möchte, dass der Prozess in einem anderen Raum stattfindet. Die Öffentlichkeit soll nicht hinter einer Scheibe sitzen. Solche Verhältnisse kenne ich nur bei Terroristen“, beklagte sie.
Richter Henrici lehnte das Gesuch ab, begleitet von herben Protestrufen aus dem Publikum. In einem ausführlichen Plädoyer zitierte Lecomte Tucholsky, Camus und Fried: „Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich im offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen Nein!“, las sie von dem Notebook vor sich ab. „Nein zu Geld statt Natur, Nein zu Individualität statt Solidarität. Ich will die Natur schützen. Ich empfinde es als organisierte Kriminalität, wenn man die Natur kaputt macht. Man will aber mich kriminalisieren“, verteidigte sich die Französin, die wegen ihres Rheumas als schwerstbehindert gilt. „Das Klettern“, sagt sie dazu, „fällt mir leichter als das Laufen.“
„Und im Übrigen gilt meist der als viel gefährlicher, der auf den Schmutz hinweist, als der, der ihn macht“, schloss Lecomte. Die Zuschauer zeigten sich begeistert. Richter Henrici hingegen bewies Langmut, denn die Anhänger der Kletterkünstlerin beteiligten sich ohnehin lebhaft am Prozess: mal mehr, mal weniger lautstark, sie klebten Zettel an die Trennwand, warfen Konfetti und Luftschlangen.
„Ich bin Richter, kein Kindergärtner“, kommentierte Henrici. Als Lecomte forderte, man möge einem Polizisten, der als Zeuge auftrat, die Waffe abnehmen, lehnte Henrici das ab. Den Staatsanwalt veranlasste dies, Lecomtes Verhalten als Selbstdarstellung zu bezeichnen. „Ich habe nicht das Gefühl, dass es ihr tatsächlich um Politik geht“, sagte er. Pseudopolitisch nenne er das. Es brodelte im Publikum. Der Pflichtverteidiger der Angeklagten erwiderte: „Die Dame heißt immer noch Lecomte, nicht Westerwelle“. Der Prozess geht am 31. März weiter, dann soll auch ein Urteil gefällt werden.