Cocooning & Burlington

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Christoph Schröder /

cs2607_1Ich habe an Weihnachten Geburtstag. Das sage ich jetzt nicht, damit Sie mir über die Feiertage Glückwunschmails schicken oder gar Geschenke machen. Das dürfen Sie natürlich trotzdem gern. Ich erzähle das vor allem deshalb, damit Sie verstehen, welch ungeheure Bedeutung dieses Fest für mich schon immer hatte. Andere Kinder in meiner Klasse konnten sich die Geschenke und Feierlichkeiten hübsch über das Jahr verteilen; bei mir hingegen lief alles an einem einzigen zentralen Punkt zusammen. Das mag man als ungerecht bezeichnen, aber eigentlich war es auch ganz schön, und heute habe ich mich ohnehin daran gewöhnt.

Früher lag ja auch immer Schnee an Weihnachten. Das stimmt natürlich nicht, aber in meiner Erinnerung war das nun einmal so. Mittlerweile hat sich ohnehin alles geändert: Die Leute kaufen bei Woolworth kilometerlange Lichterketten und hängen ihre Häuser damit zu, während wir seinerzeit mit Plaka-Farben die Fenster bemalt haben. Kürzlich hörte ich im Radio einen Bericht, wonach diese Lichterketten einerseits unglaubliche Mengen an Strom verbrauchen und andererseits auch noch hochgefährlich sind. Auf dem Prenzlauer Berg in Berlin wiederum ist eine Lichterkette der anderen Art gerade in Mode, wie mir erzählt wurde: Jugendliche verschaffen sich Zugang zu den Hauseingängen, zünden dort die Kinderwagen der hippen Prenzlauer-Berg-Familien an (ungefähr 48 Stück pro Hausflur) und machen sich dann aus dem Staub. Die Berliner sind dem Rest der Republik halt immer einen Schritt voraus. Aber ich schweife ab.

cs2607_2Zurück zum Fest. Eine Bekannte sagte kürzlich zu mir: „Wir machen an Weihnachten Cocooning.“ Ich: „Hä?“ Sie: „Na ja, Cocooning halt. Wir spinnen uns ganz allein ein, nur wir so, und gehen gar nicht raus.“ Aha, ich habe wieder was gelernt, zumindest ein tolles Wort, mit dem ich jetzt angeben kann. Ich cocoone ja eigentlich schon immer an Weihnachten, spiele mit meinen Geschenken (zum Beispiel mit dem wunderbaren Weihnachtsbaumbehangdackel, der mein Nikolaus-Geschenk war, demnächst folgt auch noch ein echter), esse grandiose Schweinereien und kippe Magenbitter in Industriemengen hinterher, um das alles halbwegs zu verarbeiten.

Ach so, ja, Geschenke. Noch so eine Sache. Im Grunde sind sie mir egal. Aber ich bin stinkbeleidigt, wenn ich keine bekomme. Oder die falschen. Vor einigen Jahren wünschte ich mir, aus der Not heraus, von einem nahen Verwandten ein Paar Burlington-Socken. Da kann man nichts falsch machen, dachte ich. Falsch gedacht. Ich bekam ein Paar Burlington-Socken, aber wahrscheinlich das einzige in der gesamten westlichen Welt, das nicht das charakteris­tische Burlington-Muster aufwies, sondern einfarbig war, obwohl man doch Burlington-Socken einzig und allein wegen dieses Musters trägt. „Guck mal“, sagte der Verwandte, „wir haben welche ohne dieses spießige Muster ge­funden.“

Und noch etwas, liebe Kinder. Weihnachten war ja eigentlich vor langer Zeit einmal ein christliches Fest. Darum wünscht man sich noch heute FROHE Weihnachten. Ich erinnere mich an den Kirchenbesuch; er dauerte stets so lange wie kein anderer im Jahr (so fühlte es sich jedenfalls an); quälender war nur der Karfreitag („Beuget die Knie“/„Erhebet euch“). Danach ging es nach Hause; es gab Nürnberger Rostbratwürste mit Kartoffelsalat. Später dann standen wir unter den bemalten Fenstern und bewarfen uns mit Schneebällen. Und kurz darauf hatte ich schon Geburtstag.

Erschienen im Journal Frankfurt 26/2007, Fotos: Harald Schröder


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