Bisher hat sich MyZeil ja mehr durch aufsehenerregende Architektur (Loch im Dach, längste Rolltreppe Europas…), denn durch eine ungewöhnliche Verkaufslandschaft hervorgetan. Heute allerdings eine gute Nachricht für alle Konsumsüchtigen und Markenfetischisten: Die amerikanische Surferwearkette Hollister eröffnete ihre erste Filiale, pardon: ihren ersten Store, in Deutschland! Man hörte ja so einiges im Vorfeld: Gutgebaute Jungs (im Hollister-Slang „Dudes“ genannt) und hübsche Mädchen, verzeihung: „Bettys“ in Beachwear sollen einem hier die Flip-Flops, Vintage-Jeans, Polos und Strandkleidchen mit dem Möwenlogo verkaufen. Und wirklich: Den Eingang des neuen Stores(!), der einer kalifornischen Strandvilla nachempfunden ist, flankieren zwei Jünglinge in knallroten Badehosen und mit Wayfarer auf den schneeweißen Nasen. -„Warum sind denn eure Nasen so weiß?“ –„Das soll Sonnencreme sein!“ Ach klasse, probier ich demnächst auch mal aus, wenn mich das Frankfurter Regenwetter nervt. Einfach die Nase weiß bemalen und schon scheint die Sonne im Herzen …
Das alles sehe ich allerdings zunächst nur aus der Ferne, vom Ende der etwa 40 Meter langen Schlange, die sich vor dem Laden gebildet hat. Oh Gott, das kann ja Stunden dauern, sind die etwa alle wegen der Eröffnung hier? Es ist immerhin 10 Uhr morgens. Carina, 25, klärt mich auf: „Hollistersachen sind einfach supergut.“ Ach so, also sind die Jungs hier nicht der Grund, warum sie hier ist. „Ach Quaaatsch, aber ein guter Bonus ist das natürlich schon!“
Auf die Frage, warum es denn unbedingt der Eröffnungstag für die große Shoppingorgie sein muss, meint die von Kopf bis Fuß in teure Marken gekleidete Carina: „Ich hab schon sooo lange auf diesen Tag gewartet, das musste einfach sein.“ Und fügt hinzu: „Jetzt muss man endlich nicht mehr nach London fahren, um die Sachen zu kaufen!“ Tja, dann ...
Auch Marius und Moritz (in Abercrombie & Fitch-Sweatshirt), beide 19, finden, dass Hollister „coole Sachen“ hat. Moritz hat auf dem Weg von Marburg nach Bremen extra einen Zwischenstop in Frankfurt gemacht, um der großen Eröffnung beizuwohnen. Die beiden kennen die Marke aus den USA und finden es fast schade, dass auch in Deutschland Läden eröffnen, weil „jetzt bald jeder so rumrennt“.
Nach 40 Minuten Wartezeit habe ich die Nase voll und ich beginne, mich zu fragen, in was für einer Welt wir eigentlich leben. Jetzt stellen wir uns nicht mehr nur vor Clubs an, sondern sogar vor Klamottenläden …
Ich pfeife also auf die knackigen Jungs im Store und auch auf die Chance, ihn als Upperclass-Surfergirl wieder zu verlassen. Lieber komme ich pünktlich zu meinem nächsten Termin. Und der rückt dann zum Glück auch mein angeknackstes Weltbild wieder zurecht: Vom Schulhof des Heinrich-von-Gagern-Gymnasiums lassen die etwa Schüler hunderte gelbe Luftballons in den grauen Winterhimmel aufsteigen.
Das sieht nicht nur hübsch aus, sondern hat auch einen guten Grund. Die Ballons sollen ein Zeichen setzen, für die Einhaltung der Menschenrechte weltweit. Auf jedem ist die UN-Charta der Menschenrechte abgedruckt und ans Ende der Schnur haben die Schüler kleine Zettel gehängt, auf dem Ziel und „Funktion“ stehen. So erklärt etwa ein sehr kleiner Junge, dass sein Luftballon „zum Tibet“ fliegen soll, „weil ich die Foltermethoden dort unmenschlich finde.“ Andere sind für den Iran oder Nordkorea bestimmt.
Ersonnen haben die Idee mit den Luftballons die Mitglieder der Schülervertretung, als sie darüber nachdachten, wie man den Kindern und Jugendlichen am heutigen „Tag der Menschenrechte“ nahebringen könnte, wie prekär die Verhältnisse in Ländern wie China oder dem Iran sind. Zur Vorbereitung haben die Schüler im Foyer Stellwände mit Fotos und Texten zu Menschenrechtsverletzungen in der ganzen Welt aufgestellt. Außerdem waren die PoWi-Lehrer angehalten, sich im Unterricht mit dem Thema zu beschäftigen. „Wir hoffen, dass euch diese Aktion gezeigt hat, wie wichtig es immer noch ist, für die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte zu kämpfen!“ sagt einer der Organisatoren am Ende.