American Lifestyle

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Michi Herl /

Ein Plädoyer für den Sonntagseinkauf und gegen die Amerikanisierung

So, so, da hätten wir nun also immer mehr amerikanische Verhältnisse, heißt es. So zum Beispiel sei McDonald’s das mit Abstand beliebteste Restaurant. Vollkommener Schwachsinn. Wenn Le Kaschemm in der Frankfurter Rohrbachstraße genauso viele Filialen hätte wie McDonald’s, dann wäre halt Le Kaschemm die beliebteste Gaststätte der Bundesbürger. Und das Grundnahrungsmittel der Deutschen wäre dann Asbach Cola und nicht Big Mäc. Das hielte ich unter ernährungswissenschaftlichen Aspekten übrigens gar nicht mal für sonderlich unvernünftig. Unter ästhetischen sowieso. Nach dem Genuss eines Hütchens läuft einem wenigstens keine Mayonnaise aus dem Gesicht. Höchstens nach dem Genuss von fünfzehn Hütchen, aber das ist ein anderes Thema, zumal in der Mayonnaise dann auch noch Brocken drin sind. Also zurück zum ursprünglichen Ansatz.

Gut, da ist die Sache mit den Ladenschlusszeiten. Rund um die Uhr einkaufen. Wie in Amerika, heißt es dann. Aber Entschuldigung: Wo in Amerika kann man denn rund um die Uhr etwas anderes einkaufen als bei uns? An jeder deutschen Tankstelle wird 24 Stunden lang das Gleiche angeboten wie in den amerikanischen Nonstop-Supermärkten, und zwar zu den gleichen überhöhten Preisen. Nur, dass bei uns das Personal (noch) wenigstens einigermaßen menschenwürdig bezahlt wird – im Gegensatz zu jenem in Nordamerika. Da liegt der Unterschied, und deswegen haben wir auch keine amerikanischen Verhältnisse.

Ich persönlich bedauere ja vielmehr, dass die Geschäfte bei uns (wie übrigens in den USA) auch sonntags geschlossen bleiben müssen. Das wäre ein wahrer Fortschritt gewesen. Sonntags Lammkeule kaufen können oder frische Sardinen … gottvoll. Dagegen sind die Kirchen. Wenigstens der Sonntag solle doch ein Tag der Ruhe und Besinnung bleiben, heißt es da. So, so. Und wer macht sonntagvormittags einen Krach, dass man mehrmals schier aus der Kiste fällt? Und warum? Wegen zwölf Omas, die sowieso schon seit zwei Stunden drinnen sitzen im Gotteshaus? Also, wenn ich sonntags beim Türken Lammkoteletts und Hammelnieren kaufen würde, ginge dies bedeutend geräuschloser vonstatten. Fazit: Kirchen beharren auf Vorsintflutlichem, das kennt man aus den USA. Also: Was diesen Punkt angeht, riecht das durchaus nach amerikanischen Verhältnissen.

Ähnlich beim nächsten Punkt, der Wahlbeteiligung. Die liegt beispielsweise in Arizona bei rund 30 Prozent. Auf dieser Höhe scheint sie sich ja wohl auch bei den Oberbürgermeisterwahlen in Frankfurt einzupendeln. Das heißt, wenn nun Frau Roth oder Herr Frey mit 51 Prozent gewählt wird, heißt dies, dass das künftige Frankfurter Stadt-oberhaupt von 84 Prozent der Bürger NICHT gewählt wurde – sondern nur von 16. Aber die reichen ja, da nur 30 Prozent wählen gingen. Na, das ist doch Bürgernähe. Und auf alle Fälle sind dies amerikanische Verhältnisse par excellence. Dass sich Kandidaten auf Wahlplakaten mit ihrem als Santa Claus verkleideten Hund abbilden lassen, erscheint in diesem Zusammenhang nicht weniger als selbstverständlich.

Also doch? Steuern wir auf eine grundlegende Amerikanisierung unserer Gesellschaft hin? Nein. Denn ich habe noch ein Ass im Ärmel: die Firma Wal-Mart. 3,5 Milliarden Euro hat die amerikanische Supermarktkette für die Erkenntnis berappen müssen, dass wir hier eben keine amerikanischen Verhältnisse haben. Alle 85 Filialen wurden nun von der Metro übernommen, die Amis gehen heim. Warum? Unter anderem wegen der kulturellen Unterschiede, befand eine Hamburger Soziologin in der Frankfurter Rundschau. Man lege in Deutschland eben keinen Wert auf „intensive Ansprache“ und eine „Begrüßung auf dem Parkplatz“. Das stimmt. Wenn es dafür weiterer Beweise bedürfte, dann die folgende Begebenheit auf einem Wal-Mart-Parkplatz unweit von Frankfurt: Eine junge, blonde Wal-Mart-Beschäftigte stürzt sich auf einen älteren Herrn, der gerade seinen Opel Omega abschließt. „Hi, guten Morgen, wie geht es Ihnen denn heute?“, säuselt sie. Der Mann: „Och Frolleinsche, wenn Se mich so frache. Also, ich hab so en Brand im Arschloch. Heut morsche beim Kacke, also ich saach Ihne … Wie Feuer hat des gebrannt. Und so e bissi Blut war ach dabei. Sachen se, könnde des vielleischt Hämoridde sei?“ So geschehen. Oder so ähnlich. Wenn schon Ansprache, dann richtig. Das ist eben der Unterschied, den die Amis nicht verstehen können.

Erschienen am 13. Mai 2008 in der Print-Ausgabe des Journal Frankfurt; Illustration: Peter O. Zierlein

Die aktuelle Kolumne findet Ihr im Journal Frankfurt.


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