Das wird böse enden. Ich hab da so ein Gefühl im Bauch. Erinnern Sie sich an den Film „Sieben“? An den Mann, der so dick war, dass er sich nicht mehr bewegen konnte? Der sterben musste, weil er eine der Todsünden beging. Maßlosigkeit. Völlerei. Gefräßigkeit. Ehrlich, bei dem, was ich gelegentlich esse, fühle ich mich auch manchmal schlecht.
Sie meinen, ich übertreibe? Findet mein Lebensgefährte ja auch. Wenn ich mich zum Frühstück über Mettbrötchen hermache. Zwei Mettbrötchen. Mit Zwiebeln. Oder Bismarckbrötchen. Das macht meinen Tag! Gerne auch schon um halb acht. Dann sitzt er mir bei einer Tasse schwarzem Tee und einer Scheibe Vollkornbrot mit Honig gegenüber und guckt schlecht gelaunt. „Was du alles in dich reinstopfen kannst!“, knurrt er. „E-kel-haft! Schon mal was von Fastenzeit gehört?“ Ich überlege und verschiebe das Öffnen der Dose mit den Bohnen in Chilisoße, vorerst. Eine Deeskalationsmaßnahme.
Ob ich mir nicht vorstellen könne, mein chronisch schwangeres Essverhalten zu überdenken? Mein Lebensgefährte lässt nicht locker. Neulich traf er in der Jahrhunderthalle Jamie Oliver und glaubt seither, dass man sogar englische Schulkinder zu gesunder Ernährung überreden kann. Klar, auch ich esse gerne gesund. Aber manchmal muss es fies sein. Gerade jetzt hätte ich große Lust auf eine große Tüte Nacho Chips an einer halben Flasche Salsa. In zwanzig Minuten wäre alles inhaliert. Auf ex geht auch immer ein Sixpack Duplo, frittierte Zwiebelringe, eine Tüte Cola-Fläschchen oder Pommes rot-weiß. „Ich könnte uns was kochen. Was hältst du von blanchiertem Spargel? Der entwässert!“, versucht es mein Mann. Wie furchtbar! Ich bemühe mich, nicht mehr an die Chips zu denken, das entwässert meinen Mund. Mit einem Ernährungsberater essen zu gehen macht keinen Spaß. Wenn ich in der Kneipe Heißhunger auf Schäufelche oder Haspel habe, guckt mein Mann mich missbilligend an. Schneegestöber darf ich schon gar nicht mehr bestellen, da wechselt er den Tisch. Toll, wenn dann noch Freundinnen dabeisitzen, die sich vordergründig solidarisieren und dann doch hartnäckig auf Salat-Arrangements bestehen. Okay, die ganze Stadt ist auf Frühjahrsdiät. Vor gut zehn Jahren kannte ich noch nicht einmal das Wort. Da hatte ich noch so eine Art Fat-Rate. Ich konnte essen, was ich wollte, und wurde und wurde nicht dicker. Seither haben sich die Gewichte verlagert. Sagen wir mal, pro Jahr ein knappes Kilo, das ich genussvoll verdränge. Etwa durch den Griff in den Kühlschrank. Nach zwei Schluck Kräuterlikör aus der Flasche fühlen sich drei Teller Nudelauflauf gar nicht mehr so schwer an. Aber auch da gibt sich mein Liebster humorlos: „Hrrm. Du kippst da gerade 100 Kalorien hinterher!“ Es muss also was geschehen. Vielleicht funktioniert so eine Frühjahrs-diät ja auch als Zwischenmahlzeit? Neutralisiert die Rohkostplatte die drei Cheeseburger und entschuldigt ein Molkedrink automatisch zwei Schnitzelbrötchen mit Mayo? Aber kann sich eine Kohlsuppenwoche auch nur annähernd so gut anfühlen wie eine Chipskur? Und gibt es eine Ersatzbefriedigung für meine neueste Leidenschaft, den Takahara Karma-Snack: eine Dose grüne Erbsen in Wasabikruste mit gefühlten 900 Kalorien?
Mein Lebensgefährte will sich darum kümmern. „Ich geh mal runter gucken, ob irgendwo endlich eine Spargelbude aufgemacht hat!“ Die Tür fällt ins Schloss. Ich nutze den unbeobachteten, heiligen Moment. Im Schrank steht noch ein halbes Glas Nutella. Dazu ein mundgerechter Löffel. Nichts auf der Welt kann gerade besser schmecken, wunderbar! War da nicht noch eine Handvoll Nachos von gestern übrig? Ich muss mich beeilen. Hoffentlich kommt er nicht mit frischem Spargel heim. Ein Pfund Erdbeeren ließe ich mir ja noch gefallen. Die Sprühsahne im Kühlschrank jedenfalls würde hervorragend darauf passen.
Erschienen am 29. April 2007 in der Print-Ausgabe des Journal Frankfurt; Illustration: Peter O. Zierlein; Fotos: Harald Schröder