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Foto: © Taylan Burcu
Foto: © Taylan Burcu

Im Interview mit Taylan Burcu

„Ich will nicht auf das Migranten-Dasein reduziert werden“

Taylan Burcu ist flüchtlingspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag. Im Interview hat er darüber gesprochen, was eine gelungene Integration ausmacht und was die Wortschöpfung „Migrationsvordergrund“ für ihn bedeutet.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Burcu, Sie sitzen seit Januar dieses Jahres im Hessischen Landtag. Welches Thema hat Sie in den vergangenen acht Monaten am meisten beschäftigt?

Taylan Burcu: Aufgrund meiner Funktion als Sprecher für Geflüchtete sind es die sehr vielen Einzelanfragen, insbesondere zu aufenthaltsrechtlichen Dingen und wenn Geflüchtete Probleme mit Behörden oder Bescheiden haben. Wo es möglich und gewünscht ist, versuche ich mich zu kümmern – das ist manchmal auch emotional sehr fordernd. Aber am Ende ist es ein schönes Gefühl, wenn man einer Person konkret helfen konnte. Denn meistens sind die Anliegen berechtigt.

Sie sprechen davon, dass Sie selbst einen „Migrationsvordergrund“ hätten. Was bedeutet diese Wortschöpfung für Sie?

Mich hat der Begriff Migrationshintergrund immer schon gestört. Weil er oftmals in einem Kontext verwendet wird, in dem er einen negativen Beigeschmack hat, so als Anhängsel. „Deutscher mit Migrationshintergrund“ wirkt immer so wie „Deutscher, aber Migrant“, also kein richtiger Deutscher. Ich denke, dass ich vielen Menschen, die einen ähnlichen Background haben, aus der Seele spreche, wenn ich sage „Ich bin Deutscher, Punkt Ende Aus“. Natürlich bin ich, wie die meisten, auch stolz auf meine Wurzeln. Das sehe ich nicht als etwas Negatives, sondern als Vorteil an: Wenn man vielfältig gepolt ist, zweisprachig aufwächst, Einblicke in zwei Kulturen erhält – daraus kann man Vorteile ziehen. Aber ich will nicht nur auf das Migrantendasein reduziert werden.

Sie sagen, dass Sie für eine „offene, vielfältige und liberale Gesellschaft und gleiche Rechte und Chancen für alle“ sowie gegen Diskriminierung auf allen Ebenen eintreten. Was müsste sich verändern, damit Ihre Vorstellung von einer idealen Gesellschaft Realität wird?

Im Idealfall würden wir aufhören, in Stereotypen zu denken. Insbesondere würden wir aufhören, Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, Herkunft, Religion, Ethnie, einer vorhandenen Behinderung oder was auch immer, zu diskriminieren. Die Politik legt zumindest die Rahmenbedingungen fest, das ist schon mal ganz wichtig: Man kann rechtlich gegen Diskriminierung vorgehen. Aber das muss sich auch von der Gesellschaft her entwickeln. Wir sind auf einem guten Weg, aber noch ist nicht alles frei von Fehlern.

Wie zufrieden sind Sie denn mit der hessischen Migrations- und Flüchtlingspolitik?

Eigentlich sehr zufrieden. Wir haben gerade in dieser schweren Zeit 2015, als so viele Geflüchtete nach Europa und Deutschland kamen, mustergültig reagiert. Die Landesregierung hat gemeinsam mit den Kommunen und sehr vielen Ehrenamtlichen enorm viel geleistet und sehr viel richtig gemacht.

Was heißt das konkret?

Wir haben die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten in qualitativ guten Erstaufnahmeeinrichtungen mit Kinderbetreuung, Sprachkursen und Schutzbereichen für Frauen und Kinder organisiert; die Landespauschale für die Kommunen erhöht, flächendeckende psychologische Untersuchung sichergestellt, landeseigene Sprachprogramme durchgeführt, wegweisende Integrationsprojekte in den Kommunen unterstützt und den Zugang zum Arbeitsmarkt durch die Programme Wirtschaft integriert und Sozialwirtschaft integriert geschaffen.

Was wurde im aktuellen Koalitionsvertrag bezüglich der Integration von Geflüchteten festgehalten?

Mir ist vor allem das Integrationsgesetz wichtig: dass die Rechte und Pflichten von Einwanderern und Geflüchteten in Form eines Gesetzes festgehalten und aufgewertet werden. Zudem wollen wir eine unabhängige Verfahrensberatung für Geflüchtete finanzieren und die Alphabetisierungskurse verstärken. Die Sprachkurse mit Zertifikaten und Kinderbetreuung werden weiter ausgebaut. Wir sind auf einem guten Weg.

Was genau kann man sich unter dem „Landesaufnahmeprogramm für Flüchtlinge in Not“ vorstellen, das im Koalitionsvertrag steht?

Ziel ist es, eine besonders bedrohte und schutzbedürftige Gruppe Menschen aus einem Krisengebiet zu retten und zu uns nach Hessen zu holen. So wollen wir ihnen ermöglichen, ihr Leben in Sicherheit fortsetzen zu können. Die Blaupause war das, was Baden-Württemberg vor einigen Jahren geleistet hat: Dort wurde eine Gruppe der Jesiden aus dem Nordirak, die unter dem IS besonders bedroht war, weil sie einer christlichen Minderheit angehört, nach Baden-Württemberg geholt. Um welche Krisengebiete es geht und wie groß die Gruppe der aufzunehmenden Gruppe sein wird, steht noch nicht fest.

In einer Rede im Landtag haben Sie das Sterben auf dem Mittelmeer als „unerträgliche Schande“ bezeichnet. Welche Lösungen sehen Sie als zielführend?

Ganz klar eine gesamteuropäische. Das ist das, was den Menschen direkt zugutekommen würde und was fair wäre. Damit meine ich eine von der EU finanzierte und organisierte Seenotrettung und eine faire und humane Verteilung auf alle Länder der EU. Bis dahin wäre es das Beste, dass wir aufhören, die zivilen Seenotretter zu behindern und die Seenotrettung nicht kriminalisieren. Das ist etwas, was es direkt, von heute auf morgen, geben muss. Bis wir eine gesamteuropäische Lösung erzielen, wäre eine Art Koalition der Willigen schön, die das, was ich gerade gefordert habe, schon mal unter den freiwilligen europäischen Staaten einrichtet.

Hessen hat der Änderung am Asylbewerberleistungsgesetz zugestimmt, wonach Asylbewerber, die in Sammelunterkünften leben, weniger Geld erhalten. Dafür gab es aus den Reihen der Grünen teils harsche Kritik. Wie stehen Sie dazu?

Durch die Änderung des Gesetzes konnte erst einmal eine Förderlücke zwischen BaföG und Berufsausblildungsbeihilfe (BAP) geschlossen werden – das ist etwas Gutes. Das heißt, dass Geflüchtete, die schon länger als 15 Monate bei uns sind, oder deren Verfahren länger als 15 Monate andauert, jetzt BAP und BaföG erhalten. Diese Schließung war immer schon ein grünes Projekt. Durch diese Veränderung profitieren Familien mit Kindern. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch richtig, dass alleinstehende Menschen in gemeinschaftlich genutzten Unterkünften ihre Leistungen gekürzt bekommen. Das sehen wir und auch ich persönlich kritisch. Aber die Landesregierung hat abgewogen und die Vorteile durch diese Änderungen haben überwogen.

Frankfurt gilt als eine der multikulturellsten Städte Deutschlands. Wie gut funktioniert das friedliche Zusammenleben der zahlreichen Kulturen Ihrer Meinung nach und inwiefern gibt es Verbesserungspotenzial?

Gemessen an der Vielfalt und der unterschiedlichen Nationen, Kulturen und Religionen, die in Frankfurt zusammen auf einem relativ kleinen Fleck leben, funktioniert es wahnsinnig gut. Aber natürlich ist nicht alles perfekt bei uns in Frankfurt – wir sind nicht frei von Rassismus und Antisemitismus.
Verbesserungspotential sehe ich bezüglich der Repräsentanz von Migrantinnen und Migranten in Behörden und Parlamenten. Wir öffnen die Behörden schon seit Jahren, aber wichtig ist auch, den Anteil in einer gewissen Position zu erhöhen. Genau das gleiche kann man in Aufsichtsräten über Geschäftsführerpositionen sagen. Das betrifft neben Migranten auch Frauen und Menschen mit Behinderungen. Da gibt es noch viel Spielraum, aber die Richtung stimmt schon mal.

Welche sind die größten Herausforderungen einer gelungenen Integrationspolitik?

Die größte Herausforderung ist, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich hier heimisch fühlen und sich als Teil dieser Gesellschaft betrachten. Nur dann kann Integration gelingen.
 
23. September 2019, 12.12 Uhr
Helen Schindler
 
 
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