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Dany, Joschka und Stéphane

Empörung im Schauspiel Frankfurt (1/4)

Am 15. Mai 2011 sprachen im Schauspiel Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer und Stéphane Hessel ("Empört Euch!") miteinander. Das Journal Frankfurt dokumentiert das Gespräch in ganzer Länge. Teil 1.
Daniel Cohn-Bendit: Ich freue mich sowohl Stéphane Hessel als auch Joscka Fischer begrüßen zu können. Dass ich Joschka Ficsher schon längere Zeit kenne, das weiß man hier wenigstens. Stèphane und ich haben uns vor einigen Jahren kennen gelernt. Joschka hat 2004 meine Wahlkampagne hier in Frankfurt eingeleitet. Stéphane hat es 2009 in Paris gemacht, wo er zum ersten Mal nicht zur Wahl der Sozialisten aufgerufen hat, sondern für Europe Écologie.

Die Idee, die ich hatte, ist eigentlich einfach. Joschka war mal stark empört. Dann hat sich sein Leben verändert. Dann wurde er ein Diplomat. Er wurde Außenminister. Das war ein ganz anderes Leben als zur Zeit der Empörung. Und jetzt hat er sich ein bisschen aus der Politik zurückgezogen, hat mir aber gesagt, dass er immer noch empört sei. Wir werden darüber reden.

Stéphane ist 1917 in Berlin geboren. Jetzt mal ganz kurz, dann vergessen wir das. Ihr kennt alle Jules et Jim, den Film, ja? Jeanne Moreau ist nicht seine Mutter, aber sie ist die Blaupause für den Film. Und sein Vater ist Jules, also Oskar Werner ist nicht sein Vater, aber dieser ist eben die Blaupause für die Rolle von Oskar Werner. Das heißt: Stéphane war praktisch bekannt, bevor er bekannt wurde. Er wurde dann 1939 Franzose ...

Stéphane Hessel: 37, ich wurde 1937 Franzose und 39 fing dann dieser schreckliche Krieg an, nicht wahr? Dann kam ich nach London.

Daniel Cohn-Bendit: Und dort hast Du Dich dann de Gaulle angeschlossen und dann bist du ..

Stéphane Hessel: … 44 nach Frankreich geschickt worden. Dort wurde ich von dieser Gruppe verhaftet – man nannte sie die Gestapo – und zum Tode verurteilt. Es ist immer schön, wenn man zum Tode verurteilt wird und immer noch lebt, nicht wahr?

Daniel Cohn-Bendit: Du bist verhaftet worden und kamst dann nach Buchenwald, aber bevor wir über das alles sprechen, möchte ich dich eine Sache fragen. Du hast ja einen Band veröffentlicht mit 100 Gedichten...

Stéphane Hessel: 88!

Daniel Cohn-Bendit: 88. Da Du jetzt in Deutschland bist, sag uns mal eins von diesen Gedichten auf.

Stéphane Hessel: Oh, sehr gerne. Also, ich hab den Hölderlin so besonders lieb. Es geht so:
Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt,
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller,
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahrlang ins Ungewisse hinab.


Daniel Cohn-Bendit: Stéphane wurde 1948 Generalsekretär der neuen Menschenrechtskommission der UN. Richtig?

Stéphane Hessel: Richtig.

Daniel Cohn-Bendit: Und das war das Jahr, in dem Joschka geboren wurde.

Stéphane Hessel: Bravo.

Daniel Cohn-Bendit: Stéphane, du warst in der Résistance, du warst im KZ, du hast Eugen Kogon und andere im KZ kennengelernt. Die haben Dir das Leben gerettet. Wie konntest du es schaffen, sofort für eine deutsch-französische Versöhnung einzutreten?

Stéphane Hessel: Es kam direkt aus der Erfahrung in den KZ. Die ersten die da reingekommen sind, das waren Deutsche. Seine Gegner hat Hitler als erstes ins KZ gebracht. Als das Ausland besetzt wurde, kamen wir dazu. Im KZ empfand man sich als Europäer, und die Deutschen waren die ersten dieser Europäer. Als es vorbei war sagte man sich: Ja, das Zusammenleben in den KZ ist eine Erinnerung und war eine Erfahrung noch dazu, dass wir als Europäer zusammenarbeiten müssen. Sobald der Krieg zu Ende war, war es für mich keine Frage, dass wir als Franzosen, als Deutsche und als andere Europäer dieses freie Europa zusammen ausarbeiten müssen.

Daniel Cohn-Bendit: Joschka, das ist eine Geschichtsinterpretation, die eigentlich in Deutschland nicht so entwickelt wurde. Dass im Grunde Europa auch in den KZ geboren wurde …

Joschka Fischer: Nein, das ging auch gar nicht. Die Zeit, über die Stéphane gerade gesprochen hat, war die unmittelbare Nachkriegszeit in Westdeutschland. Wir sprechen hier über das geteilte Deutschland. In der damaligen sowjetisch besetzten Zone war das anders. Dort gab es den offiziellen Antifaschismus, der sich teilweise auf das gründete, was Stéphane gesagt hat. Honnecker war ja während der Nazidiktatur im Zuchthaus. Er war verurteilt. Andere waren in KZ. Erstens führte das zur Abgrenzung gegenüber dem offiziellen Antifaschismus der DDR. Zweitens darf man nicht vergessen, dass 1949 die letzten Nürnberger Prozesse zu Ende gingen, die letzten Hinrichtungen von Hauptkriegsverbrechern und Kriegsverbrechern in Landsberg stattfanden und dann spätestens mit dem Beginn des Kalten Krieges die überlebenden Täter und Mitläufer dominierten. Das muss man ehrlicherweise so sagen. Insofern war der Diskurs und auch das Bild ein anderes. Das Bild auf Europa war geprägt durch die deutsche Schuld und nicht durch die Erfahrung des gemeinsamen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Ich denke, das war das vorherrschende Element. Natürlich gab es unter den Gründervätern, auch der einzelnen Bundesländer, Männer und Frauen des Widerstandes, die im KZ waren. Der Bekannteste ist sicher der sozialdemokratische Parteivorsitzende Kurt Schumacher. Aber insgesamt, glaube ich, klafft das weit auseinander. Es war der Diskurs des Widerstandes, der in Frankreich zählte. Der Widerstandsdiskurs galt eher in der DDR als der bessere Teil Deutschlands und hier war es eher auf Schuld basiert und musste sich auseinandersetzen mit dem gar nicht mehr so schlechten Gewissen der zahllosen Mitläufer und überlebenden Täter.

Daniel Cohn-Bendit: Dass Deutschland nicht das Deutschland der KZ-Inhaftierten war, sondern ein Deutschland der Mitläufer, Mittäter – ist das ein Gefühl, das du auch hattest?

Stéphane Hessel: Naja, wir haben ja auch darunter gelitten, dass eine Mehrzahl von Franzosen den Pétain so gern gehabt und sich gesagt hat: Es ist schon besser, wir haben keinen Krieg mehr, wir haben Waffenstillstand. Und der Hitler, na, der ist natürlich unser Feind, aber das macht ja nichts. Wir können weiterleben. Das hat man überwinden müssen in den ersten drei, vier Nachkriegsjahren. Und wenn man jemanden traf in Frankreich und sagte: „Wo ist denn der gewesen während der Besatzungszeit? War er mit Pétain oder war er mit de Gaulle?“ Und wenn er weder mit dem einen noch mit dem anderen war, dann war man ein bisschen ängstlich. „Wir sind jetzt die, die Widerstand geleistet haben“, das hat nur eine kleine Gruppe so empfunden und die anderen haben darunter gelitten. Jetzt konnte nur durch das Zusammenarbeiten von Europäern etwas Neues erscheinen, das nichts mehr mit dieser schlimmen Geschichte zu tun hatte, wo die einen hier und die anderen da waren.

Daniel Cohn-Bendit: Wie bist du dann nach diesem 1945 nach New York zu den Vereinten Nationen gekommen?

Stéphane Hessel: Sofort. Ich wollte ja Philosoph werden, und das ist mir dann weggenommen worden durch den langen Krieg. Ich habe sechs Jahre lang gekriegt. Na, und als ich zurück kam, habe ich meinen Philosophieprofessor gefragt: „Glauben sie, ich kann noch Philosophieprofessor werden?“ Der hat mir gesagt: „Nein, zu spät. Du musst jetzt was anderes machen. Zum Beispiel Diplomat.“ Naja, was ist denn das?

Daniel Cohn-Bendit: Ja, was ist ein Diplomat? Wie bist du Diplomat geworden? Hast du eine Ausbildung als Diplomat gehabt? Ich glaube eher nicht.

Stéphane Hessel: Ich hab’s auch nicht richtig gelernt, und ich bin auch ein falscher Diplomat geworden. Mich interessierte, das Zusammenarbeiten der Internationalen Organisationen. Ich bin gleich nach dem Krieg in die UNO eingetreten. Und da habe ich etwas gelernt, was nicht gewöhnliche Diplomatie ist. Ich weiß nicht, wie Joschka das empfindet, aber die gewöhnlichen Botschafter finde ich manchmal ein bisschen schwer zu begreifen. Sie wollen sich sehr gut verhalten und beliebt sein.

Daniel Cohn-Bendit: Joschka, wenn du sagen müsstest, was ist Diplomatie? Haben wir nicht immer gesagt, Diplomatie ist, die Wahrheit nicht zu sagen, aber so zu tun, als ob man sie sagen würde.

Joschka Fischer: So kann man das sehen, aber so kommst du nicht weit. Und du hast völlig recht. Ich wollte nie Diplomat werden, bin auch keiner geworden, sondern Außenminister und das ist was anderes. Da leitet man eine Diplomatie, aber es ist nicht unbedingt die beste Kombination, wenn die Spitze gleichzeitig aus dem Apparat kommt. Diplomaten werden ausgebildet. Was ist Diplomatie? Diplomatie ist der friedliche Verkehr der Staaten untereinander, also der Völkerrechtssubjekte. Alle Institutionen werden von Menschen gemacht und dennoch gibt es eine Differenz.

Das ist wie hier auf dem Theater. Wenn du eine normale Alltagsszene nachspielen willst, die in einer x-beliebigen Frankfurter Küche, in einem Wohnzimmer, wo auch immer stattfindet, und bringst sieeins zu eins ins Theater, dann ist das ein Desaster. Du musst natürlich der Institution Theater gerecht werden, das heißt: Es muss gespielt werden. Im Moment, wo Theater gespielt wird, folgt es aber anderen Gesetzmäßigkeiten. Und das ist in der Diplomatie ganz genauso. Wenn Sie als Außenminister sprechen, sprechen Sie deutsch oder englisch oder werden übersetzt in die jeweilige Sprache, aber es spricht dann nicht der jeweilige Mensch. Der spricht real, aber er spricht für 82 Millionen Deutsche und wenn er sagt: „Was ist’n das für ein Idiot?“ – und oft denkt man sich: „Was ist das fürn Idiot?“ – dann ist das eine Beleidigung einer Nation gegenüber einer anderen Nation. Insofern ist es nicht die Alltagssprache und deswegen können Nuancen einen großen Unterschied spielen. Ich will ein Beispiel geben: Was sich unser Außenminister, der aktuelle, gedacht hat, als er …

Daniel Cohn-Bendit: Er ist sein Busenfreund …

Joschka Fischer: Nein, nein, ich meine das sehr ernsthaft! Was hat er sich gedacht, als er sich auf dem Tahir-Platz hat umjubeln lassen? Wenn er sich gedacht hat, das seien schöne Bilder für den Wahlkampf zu Hause, dann hat er völlig zu kurz gedacht. Weil im Moment, wo der deutsche Außenminister solche Hoffnungen weckt, die dort in einer solch prekären Lage zum Jubel führen, ist das natürlich ein commitment, man legt eine Verpflichtung nahe. Wenn das Guido Westerwelle als Mensch gemacht hätte: völlig in Ordnung. Das ist der Unterschied. Diplomatie regelt den Verkehr der Völkerrechtsubjekte untereinander und das wird, mit Verlaub, häufig unterschätzt. Diplomaten reden blumig. Sie müssen blumig reden. Diplomaten reden an der Wahrheit vorbei. Dabei versteht die andere Seite sehr gut, worum es geht. Das alles kommt daher, dass am Ende Regierungen im Namen der Völker miteinander sprechen und nicht Alltagsmenschen, wie wir hier sitzen.

Stéphane Hessel: Naja.

Daniel Cohn-Bendit: Bitte.

Stéphane Hessel: Für mich ist es so traurig, das jetzt die Kameraden, die viel jünger sind als ich, und als Botschafter in den verschiedensten Ländern sind, immer mehr nur eins zu tun haben: Die Wirtschaft zu verkaufen. Die Wirtschaft ihres Landes, also die französischen Produktionen. Zu erfahren, was die Völker in diesen Ländern wirklich wollen und sich wünschen, das können nur einige sehr gute, interessante Botschafter. Die gibt es natürlich, und die sind dann auch irgendwie frei den Bedingungen gegenüber, nicht frei reden zu dürfen, weil sie immer vorsichtig sein müssten. Nein! Gute Botschafter sind nicht vorsichtig, aber das wird ihnen immer mehr aufgetragen. Sie sollen Exporte organisieren und das ist keine richtige Diplomatiearbeit. Diplomaten müssen mit dem Kopf und nicht mit dem Geld arbeiten. (Applaus)

Joschka Fischer: Alle, die hier jetzt klatschen, wollte ich mal sehen, wenn ausgerechnet bei uns, entschuldigen sie, dass ich hier jetzt den Realo mache, aber wenn ausgerechnet bei uns die Außenwirtschaftsförderung nicht mehr funktionieren würde. Freunde, jetzt bleibt mal realistisch!
 
23. Mai 2011, 00.03 Uhr
red
 
 
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