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Theater der Eitelkeiten



Wie soll man so einen Text anfangen? Wie soll man über solch eine Podiumsdiskussion schreiben, die zu 90 Prozent am Thema vorbeiging. Es ging nicht ums Volkstheater an sich, es ging vor allem um das Frankfurter Volkstheater gestern Abend im Holzhausenschlösschen, um die Querelen, Unwägbarkeiten und einen ganzen Jahrmarkt der Eitelkeiten. Vielleicht mit einer harmlosen Anekdote beginnen?

Die Geschichte kommt aus Hamburg. Da wurde einst, über hundert Jahre ist es her, im St.-Pauli-Theater der Faust gegeben, doch das Publikum war mit dem Ausgang gar nicht zufrieden. Gretchen soll sterben? Was soll das? Das Volk ist aufgebracht, der Chefdramaturg betritt die Bühne, es zu beruhigen, versucht zu erklären, Goethe habe das so geschrieben, doch es hilft nichts, wer ist denn dieser Goethe überhaupt und schließlich werden Sprechchöre angestimmt. "Heiraten! Heiraten! Heiraten!" Und so kommt es dann auch.

Ulrich Waller erzählt dies, er leitet seit fünf Jahren das St.-Pauli-Theater, dieser Tradition, Theater fürs Volk zu machen, ist er sich immer noch bewusst, aber Volkstheater möchte es nicht mehr sein, die Tradition, den missingschen Dialekt liegt weit zurück. Waller ist also weit gereist, am Weitesten von allen auf dem Podium, und erst möchte man bedauern, dass die Diskussion schon unschön beginnt, aber er kommt aus Marburg, wie er sagt, und kennt also die hessischen Verhältnisse, die selbst in Frankfurt Provinzdenken gebieren, wobei wir hier ja eigentlich die Provinz nicht beleidigen wollen.

Dabei beginnt FAZ-Kulturleiter Michael Hierholzer, der das Gespräch leiten soll, was grandios misslingt, eigentlich mit einer interessanten Frage. Nämlich, was denn überhaupt ein Volkstheater sein soll, was das Volk ist heutzutage, ob denn nun die Schauspielhausbesucher das Nicht-Volk sei. Ist nun das Volkstheater fürs Volk, vom Volk, aus dem Volk, übers Volk, aber das alles spielte gestern Abend keine Rolle mehr. Geklärt wurde gar nichts, außer vielleicht, das eingeladen wurde, um mal grundsätzlich zu reden, doch dann wurde es nur schmutzig, so als ob ein Sprechchor "Lästern! Lästern! Lästern!" gerufen hätten, was aber gar nicht der Fall war.

So bleibt nur eine Aneinanderreihung von Zitaten, bleibt nur, dass ausgerechnet Wolfgang Kaus, der eigentlich monatelang so gar nicht lästern wollte, die Christ-Schwestern mal in Schutz nimmt, dann wieder draufhaut auf dieses Haus, das sich nicht öffne und das Publikum applaudiert immer, vielleicht weil es im Volkstheater gelernt hat, alles witzig oder toll zu finden, was im hessischen Idiom hervorgebracht wird, egal wie sinnvoll, lustig oder ernstgemeint es ist.

Wolfgang Kaus sagt:
"Wer ist überhaupt dieser Geist von Liesel Christ, der immer beschworen wird? Als sie 1971 anfing, da wollte keiner in der Stadt dieses Theater."
"Junge Leute sind untreu."
"Komm Liesel, rech dich net uff."
"37 Jahre führen sie nun schon dieses Haus, da muss man menschlich mit ihnen umgehen, die denken doch, das man ihnen ihr Theater wegnehmen will."

Felix Semmelroth (Kulturdezernent, CDU) sagt:
"Das ist eine sehr schöne Geschichte, die Sie erzählen, Herr Kaus, doch sie entspricht nicht der Wahrheit. Sie waren bei den Verhandlungen nicht dabei, Sie können das also gar nicht wissen. Eineinhalb Jahre wurde verhandelt, das ist doch wohl genug Zeit. Das Theater wollte man den Schwestern weiß Gott nicht wegnehmen."

Eva Demski (Autorin, Journalistin etc.) sagt:
"Biotope kippen ohne Frischwasserzufuhr um."
"Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass die Schwaben Cem Özdemir 'Unser Obamale' nennen. Daraus kann man doch sofort ein ganzes Stück schreiben, das ist schon ein Stück."
"Liesel Christ war eine verhinderte femme fatale, auf die man den tümlichen Deckel gesetzt hat. Auch das Volkstheater ist eine femme fatale."

Peter Iden (Theaterkritiker, Frankfurter Rundschau) sagt:
"Das Volkstheater interessiert mich nicht, ich habe auch nur selten ein Stück gesehen."
"Wenn es am Volkstheater etwas spezifisches gibt, dann ist es die Deutlichkeit in der Darstellung und die Direktheit der Botschaft."
"Wenn ich ein Stück an den Frankfurter Bühnen sehe, dann ist es auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, dass ich manchmal nicht weiß, was ich da sehe."
"Kann man nicht das Geld, dass das Volkstheater momentan bekommt, an ein anderes, neues Volkstheater umleiten?"
"Es gibt keine gesellschaftliche Schichten mehr, das ist vorbei."

Karlheinz Braun (einstiger Schauspieldirektor, Mitbegründer des Verlags der Autoren) sagt:
"Andere Leute gehen mit 65 in Rente, das muss doch in diesem Fall auch erlaubt sein."

Michael Quast (verhinderter Leiter des Volkstheaters, sitzt im Publikum) sagt:
"Ich springe mit einer schönen neuen Uniform auf ein sinkendes Schiff und alle schreien Hurra und wenn das Schiff dann nach einem halben Jahr untergeht, dann heißt es: der Quast hat's auch nicht hinbekommen."
"Das Sanierungskonzept sah vor, dass die Christ-Schwestern, ihr Geld, dass sie in das Theater gesteckt hatten, über die Jahre wieder zurückbekommen."
"Es gibt Situationen, in denen goldene Brücken nicht beschritten werden."

Und Michael Hierholzer sagt:
"Herr Iden, Sie waren für mich immer ein Vorbild, das muss man hier schon mal sagen."

Und dennoch, nach all diesem Flachsinn, nach all den schiefen Bildern und Schuldzuweisungen, war es wieder Ulrich Waller vom St.-Pauli-Theater, der mit einer einfachen mathematischen Gleichung alles erklärte. Man hatte ihm nämlich gesagt auf dieser Podiumsdiskussion, ja, so ein Theater mit Ulrich Thukur und anderen Koryphäen deutscher Bühnen würde man in Frankfurt ja auch gerne machen, doch die Mittel, die habe man schlicht nicht, und vielleicht auch nicht die Schauspieler oder das Publikum. Waller sagte: "Wir bekommen 150.000 Euro Förderung von der Stadt Hamburg. Und nehmen vier Millionen Euro ein." Das Volkstheater bekommt 620.000 Euro und nimmt 900.000 Euro ein, wie Felix Semmelroth verriet. Mehr muss man eigentlich nicht sagen.
 
19. November 2008, 12.03 Uhr
Nils Bremer
 
 
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