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Perspektivkommission

Theater ums Geld

Eineinhalb Jahre evaluierte eine Kommission die freie Theaterszene. Über das ernüchternde bis vernichtende Ergebnis wird nun nicht diskutiert, sondern eher gestritten. Schließlich geht es um Fördertraditionen.
Die Stellungnahme der Frankfurter Theaterallianz liest sich wie eine Kampfansage: "In ihrer Jahresversammlung am 12. Juni 2012 weisen die Mitglieder der Frankfurter Theaterallianz den Abschlussbericht der Perspektivkommission als Evaluation der Freien Theaterszene in Frankfurt mit großer Mehrheit zurück, da er kein objektives Bild der Freien Theaterszene in Frankfurt widergibt", heißt es da. Die Gutachter hätten viele Mängel festgestellt, ohne die Stärken daneben zu stellen. Interessant sind hier schon mal gleich zwei Formulierungen: Zum einen die "große Mehrheit", die das Papier verdammt habe. Der Mousonturm und die Landungsbrücken haben nämlich schon mal nicht unterschrieben - womit der Theaterallianz zwei wichtige Signaturen fehlen. Zum anderen werden die Mängel, die die Kommission festgestellt hat, gar nicht in Abrede gestellt, sondern nur die Unterschlagung positiver Zahlen kritisiert - und den Gutachtern mangelnde Objektivität unterstellt. Sie hätten nicht mit den betroffenen Theatermachern gesprochen, hätten sich nicht angekündigt, hätten lediglich den künstlerischen Wert beurteilt - und ob dieser über die Stadtgrenzen hinausstrahlt. Dies wiederum führt in der Stellungnahme zur unglücklichen Formulierung, dass man stolz auf die Strahlkraft der städtisch getragenen Bühnen wie Schauspiel oder Oper sei: "Reicht das nicht für das Image der Stadt Frankfurt?"

Im Frühjahr 2009 trat eine beachtliche Zahl vorwiegend jüngerer Theatermacher an die Öffentlichkeit, im Gepäck das Reformpapier „Perspektiven 2013“, in dem sie unter anderem eine Erneuerung der Förderstrukturen sowie die Berufung einer Perspektivkommission zur Evaluierung der Szene forderte. Auch wenn die Kulturpolitik dies zunächst abschmetterte, in einigen Punkten bewegt sie sich doch: Eine dreijährige Konzeptionsförderung wurde eingerichtet. Zudem berief Kulturdezernent Professor Felix Semmelroth eine Perspektivkommission aus vier Experten, die die lokale Szene in der Spielzeit 2010/11 verfolgten und analysierten: Die Stuttgarter Intendantin Brigitte Dethier nahm die Kinder- und Jugendtheater unter die Lupe, der Gießener Professor Gerald Siegmund die Tanzszene, der Kölner Theaterkritiker Hans-Christoph Zimmermann und die Dramaturgin Fanti Baum widmeten sich dem Bereich Schauspiel. Ihr Bericht, den Semmelroth nun im Kulturausschuss vorstellte, fällt ernüchternd bis vernichtend aus – und in vielen Punkten stimmt er mit den im Papier „Perspektiven 2013“ attestierten strukturellen Mängeln überein.

Frankfurt verfüge über eine große und vielfältige freie Theaterszene, die aber ästhetisch und personell überaltert sei. Mit insgesamt 4,5 Millionen Euro seien zwar beachtliche finanzielle Mittel vorhanden, die jedoch zum Großteil darauf verwendet werden, jedem Ensemble seine Spielstätte zu finanzieren. Nur 550 000 Euro stehen für freie Projektmittel zur Verfügung, die durchschnittliche Förderhöhe beträgt hier 6000 Euro. „Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“, bilanziert Semmelroth. Dieses Gießkannen-Prinzip, schreiben die Experten, „ist das Gegenteil einer aktiven und Einfluss nehmenden Kulturpolitik“.

Zudem seien die geförderten Institutionen ästhetisch nicht auf Höhe der Zeit und orientierten sich am Kanon der Stadttheater. Dabei war die freie Szene ja einst angetreten, um Organisationsstrukturen und ästhetische Normative des Stadttheaters kritisch zu hinterfragen und nach neuen Arbeitsformen zu suchen. Zeitgenössische Inszenierungsweisen wie Dokumentar­theater und Lecture Performance, mit denen Theatermacher derzeit europaweit ihre gesellschaftliche Realität bearbeiten, finden sie hier nicht wieder. Vielmehr schließe sich jeder Theaterprinzipal in seiner Nische ein, es gebe weder einen Austausch untereinander noch nationale oder gar internationale Netzwerke.

Zugleich erhalte der Nachwuchs weder Mittel noch Plattformen. So kommt es zu dem bekannten Dilemma, dass eine ganze Generation von Künstlern, die an den hervorragenden Hochschulen der Region ausgebildet wurde, abgewandert ist – She She Pop, Rimini Protokoll, deufert&plischke (einst auch als „Frankfurter Küche“ bekannt), andcompany&Co., um nur die heute international Erfolgreichsten zu nennen. Die nächste Generation junger Theatermacher lässt sich glücklicherweise nicht so rasch in die Flucht schlagen, sondern versucht, sich Platz zu verschaffen: Ein Team aus Tänzern, Dramaturgen und Theaterwissenschaftlern entwickelte im Blick auf den Kulturcampus das Konzept eines Hauses für Proben und Forschung, das bundesweit seinesgleichen sucht – und gerade gibt es positive Anzeichen dafür, dass es bald in Räumen des Frankfurt LAB seine Arbeit aufnehmen kann.

„Es ist ein schonungsloser, ehrlicher Blick von außen auf die Frankfurter Szene von Leuten, die sich auskennen und deutschlandweit vergleichen können“, meint Jan Deck, Vorsitzender des Landesverbandes Professioneller Freier Theater in Hessen (laProf) und Mit-Initiator von „Perspektiven 2013“. „Ihre Diagnose ist klar und alarmierend: Es wird wenig für die Kunst ausgegeben und viel für Immobilien.“ Im Kulturausschuss regt Heike Hambrock von den Grünen dazu an, eine positive Quintessenz zu ziehen: „Wir haben das Potenzial, aber wir nutzen es nicht.“

Im Kulturdezernat bemüht man sich, nach dem Protest der Theaterallianz die Stellung des Papiers kleinzureden. Es sei ja nur eine Diskussionsgrundlage. Dennoch ist zu erwarten, dass noch im Sommer Entscheidungen daraus abgeleitet werden können, wie die Förderstruktur in Frankfurt anders gestaltet wird. Die Theaterallianz fordert dagegen eine zweite Chance: "Wir erklären uns alle bereit, uns dieser Diskussion zu stellen und eine ehrliche und tatsächliche Evaluation der Freien Theaterszene zu unterstützen." Zeitlich perfekt: Die Theater gehen in die Sommerpause, das Theater ums Geld geht weiter.
 
15. Juni 2012, 11.37 Uhr
nil/eb
 
 
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