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Foto: Alexander Paul Englert
Foto: Alexander Paul Englert

Nachruf

Harry Oberländer ist tot

Harry Oberländer, der ehemalige Leiter des Hessischen Literaturforums und eine der wichtigsten Figuren der Frankfurter Literaturszene in den vergangenen Jahrzehnten, ist völlig überraschend gestorben. Ein Nachruf.
Es fängt schlecht an. Harry Oberländer ist tot. Wie am Wochenende bekannt wurde, ist der Mitbegründer und langjährige Leiter des Hessischen Literaturforums im Mousonturm in seinem Geburtsort Bad Karlshafen überraschend im Alter von 73 Jahren gestorben. Harry Oberländer hat die Frankfurter Literaturlandschaft in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur begleitet, sondern entscheidend mitgeprägt. 1950 in Nordhessen geboren, kam er 1969 nach Frankfurt, um sich an der Goethe-Universität im Fach Soziologie einzuschreiben. Er war Bestandteil jener legendären Gruppe um Matthias Beltz und Joschka Fischer, die sich im Rahmen einer so genannten Betriebsintervention bei Opel in Rüsselsheim ans Band stellte. Doch in einem Punkt unterschied sich Harry Oberländer von Beginn an elementar von den bis unter den Scheitel mit Parolen aufgeladenen Kampfgenossen seiner Zeit: Oberländer war interessiert an Literatur.

Und er schrieb schon damals Gedichte, und das in einer Zeit, wie er es einmal formulierte, „in der man dafür selbst von Germanisten gefragt wurde, was dieser Scheiß denn jetzt soll.“ In einem Umfeld, in dem es keine schöne Literatur mehr geben sollte, sondern nur noch Gebrauchstexte, waren Gedichte, so erinnerte sich Oberländer, „Anlass für Hohn und Spott.“ Was ihn nicht daran hinderte, damit weiterzumachen. Im Jahr 1973 bereits wurde Oberländer mit dem Leonce-und-Lena-Preis der Stadt Darmstadt ausgezeichnet, noch heute einer der wichtigsten Preise für Nachwuchslyriker deutscher Sprache. Und er hat immer weiter gemacht. Zuletzt erschien 2015 sein Gedichtband „chronos crumlov“ in der Edition Faust; ein wunderbarer Zyklus von Werken, in dem Oberländer Geschichte, Gegenwart und Geografie des Ortes Cesky Krumlov, zu Deutsch: Böhmisch Krumau, umkreist.

Harry Oberländer: Nostalgische Verklärung war seine Sache nicht

Es war stets eine große Freude, sich mit Harry Oberländer zu unterhalten. Er wusste so viel, weil er so viel erlebt hatte. Vor allem konnte er Begebenheiten, die mittlerweile in den Kanon der Stadterzählungen der Nachkriegszeit eingegangen sind, auf spannende Weise noch einmal mit Leben füllen. Man musste ihn nur danach fragen. Nostalgische Verklärung war seine Sache nicht. In Anspielung auf die berühmte, erinnerungsauslösende Proust’sche Madelaine formulierte Oberländer: „Ich bin extrem lektüre- und gesprächsabhängig. Wenn ich an einer Seife rieche, ploppt bei mir nichts auf, da passiert erst einmal gar nichts.“

Nicht der politische Kampf, sondern die Literatur war es, die Harry Oberländers berufliches Leben weiter bestimmen sollte. Im Jahr 1985 wurde das Hessische Literaturbüro gegründet. Harry Oberländer war von Beginn an dabei. Den Umzug in das frisch fertig gestellte Künstlerhaus im Mousonturm im Jahr 1989 hat er allerdings nur aus der Ferne erlebt: Oberländers damalige Ehefrau, mit der er zwei Söhne hat, arbeitete von 1988 bis 1991 als Lektorin des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes in Hongkong. Oberländer ist mitgegangen; das Reisen hat ihn ohnehin immer interessiert. In dieser Zeit schrieb Oberländer für den Pflasterstrand und den HR Reportagen und Features aus Fernost.

Dass Harry Oberländer nicht mehr da ist, ist ein großer Schock

Nach seiner Rückkehr dockte Oberländer erneut beim Hessischen Literaturbüro an, zunächst als freier Mitarbeiter, dann, ab 2010, als dessen Leiter bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2016. Vor einigen Jahren hat Harry Oberländer Frankfurt verlassen und ist zurück in seinen Geburtsort, zurück in sein Elternhaus in Bad Karlshafen gezogen. Aktiv blieb er trotzdem, als Mitarbeiter des Portals Faust Kultur beispielsweise, oder auch als Gründungsmitglied des PEN Berlin im vergangenen Jahr. Aus Bad Karlshafen postete Harry Oberländer regelmäßig auf Facebook Bilder: Landschaftsfotografien, Stimmungseindrücke; zuletzt am 26. Dezember, als er die von der Weser überschwemmte Stadt dokumentierte. Dass Harry Oberländer nicht mehr da ist, ist ein großer Schock. Und vor allem ungemein traurig.
 
8. Januar 2024, 10.16 Uhr
Christoph Schröder
 
Christoph Schröder
Christoph Schröder studierte in Mainz Germanistik, Komparatistik und Philosophie. Seine Interessensschwerpunkte liegen auf der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur und dem Literaturbetrieb. Er ist Dozent für Literaturkritik an der Goethe-Universität Frankfurt. – Mehr von Christoph Schröder >>
 
 
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