„Man muss nicht immer eine neue Sau durchs Dorf jagen“

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Detlef Kinsler /

Interview mit Sven Regener zum Konzert von Element of Crime in Offenbach

Sie haben kein Ticket mehr für das Element of Crime-Konzert am 30.1. in Offenbach ergattert? Kein Wunder, denn das Konzert im Capitol war als eines der ersten auf der Tournee ausverkauft. Aber Sie haben noch die Chance, Karten zu bekommen. Schauen Sie ins aktuelle Journal Frankfurt, Seite 52 – da werden welche verlost und die Band gleich noch unter dem Titel „Im Reich der Freiheit“ portraitiert. Das komplette Interview, dass wir mit Sänger/Gitarrist und Trompeter Sven Regener zum neuen Album und zur Tournee geführt haben, können Sie hier im Wortlaut wieder finden. Viel Spaß dabei – denn Regener überrascht immer wieder mit unerwarteten Einsichten.

Journal Frankfurt: Als ich die CD das erste Mal bei Freunden laufen lassen, war der Tenor, das kommt einem alles sehr bekannt vor (was gar nicht negativ gemeint war) und trotzdem ist´s auch immer wieder neu und anders. Eine Einschätzung, die du teilen kannst?

Sven Regener: Es ist eine Einschätzung, die mich freut, denn da sind zwei Sachen drin, zum einen, es ist kein zweiter Aufguss von etwas, das wir schon gemacht haben. Das ist auch etwas, was viele Leute erst mal nicht verstehen, das ist ja wieder Element of Crime genau wie man sie kennt, dass es eben darauf genau auch ankommt. Das ist ja die Idee bei einer Band, dass sie einen Stil hat, dass sich dieser Stil auch immer wieder durchsetzt. Bei Solokünstlern ist das ja noch mal anders, die versuchen ja immer sich öfters mal neu zu erfinden. Bei Bands kommt´s darauf halt nicht an, eher, dass man seinen Stil an allen möglichen Sachen erprobt. So sehe ich das. Deshalb ist mir das die angenehmste Reaktion, weil sie im Grunde genommen zeigt warum es überhaupt noch einen Sinn ergibt nah 12, 13 Platten noch eine zu machen. Das man sich einerseits wenn man die Band kennt und sie mag sich daran erfreuen kann, aber dass man dem, was da ist, egal wie, was Neues hinzufügen kann. Es sind halt neue Lieder! Mehr isses ja nicht. Ich kenn diese ganzen Debatten, das ist jetzt eine Element of Crime-Platte, wie es sie noch nie gegeben hat oder Element of Crime mal ganz anders – wozu auch?

Oder wie es im Info zur CD ausgedrückt wurde: neu und auch vertraut, aber mit einigen Eigenheiten...

Ja, ja – es ist ja wie mit Menschen an sich: man verändert sich, aber man bleibt auch irgendwie immer der Gleiche. Man kann nicht sagen, ich hab ihn wieder getroffen und der war wie immer. Das stimmt auf eine gewisse Weise, aber allein dadurch, dass Zeit vergangen ist natürlich der Hintergrund anders. Da muss man sich auch gar keinen großen Sorgen drüber machen als Künstler, als Band vor allem. Solange man noch Songs hat, die einem selber interessieren, eine Band neue Songs schaffen kann, ist das überhaupt kein Problem.

Was mich z.B. an Songschreibern wie Martin Stephenson aus Newcastle fasziniert hat und was nur bei wenigen wirklich so angekommen ist, das war das Spektakuläre des Unspektakulären in seinen Songs...

Das ist auch, was wir alle hoffen, dass es genau so etwas hat. Das kann man nicht lange durchhalten, dass man jedes Mal denkt. Man muss jetzt eine ganz neue Sau durchs Dorf jagen nach dem Motto: bei unserer neuen Platte haben wir noch mal einem unglaublich drauf gesetzt, dass man also versucht, das offenkundig Spektakuläre zu machen.

Ist das eine Frage der Grundeinstellung eines Künstlers oder doch etwas, was man sich im Laufe der Zeit „erarbeiten“ kann, zu einem kommt, diese Gelassenheit zu haben, sich eben nicht dermaßen unter Druck setzen zu lassen, sich immer wieder neu erfinden zu müssen...?

Zunächst einmal ist das eine Frage der Erfahrung. Wenn man das so lange macht, dann kommt man gar nicht mehr auf solche Ideen. Das ist dann nur noch ein Marketing-Ding, wir haben hier noch mal alles ganz neu gemacht, weil man Angst hat, die Leute würden die Platte sonst nicht kaufen. Die Leute haben schon fünf, sechs Platten und irgendwann kaufen sie keine mehr. Ich aber sage, na ja, das ist aber auch in Ordnung, ich hab schon fünf, sechs von Element of Crime, ich möchte keine mehr, dann ist das vollkommen in Ordnung. Es ist ohnehin meine Erfahrung, um das Level zu halten, musst du immer 20, 30 % neue Leute finden muss, die sich neu dafür interessieren. Und die kennen dann die alten Geschichten gar nicht, für die spielen diese ganzen historisierenden Erwägungen überhaupt gar keine Rolle – wie steht diese Platte im Verhältnis zu den früheren Platten. Weil sie zum ersten Mal diese Band für sich entdecken. Das ist auch ein ganz wichtiger Prozess, weil ich denke, dass man das als Band sonst auch gar nicht schaffen kann. Denn eine Band ist ja ein relativ stilistisch klar definiertes Ding. Das sind vier Leute, die reißen nicht mal eben schnell das Ruder rum und fahren ganz woanders hin. Das käme auch jedem komisch vor. Wenn so eine Band nach 20 Jahren immer noch neue Songs schreibt, dann deshalb weil die stilistische Welt dieser Band so strapazierfähig ist, dass es immer wieder möglich ist, dem, was man schon hat, was Neues hinzuzufügen ohne dass man sich immer wieder das Pulver neu erfinden muss. Denn das kann niemand.

Von daher ist so ein Bandkontext was Wunderbares und man wundert sich, dass so viele Musiker Solisten werden...

Bands sind ja auch nicht unbedingt für die Ewigkeit gemacht, weil es vielleicht auch nur eine bestimmte Zeit gut geht. Ich würde auch nicht sagen, es steht von vorneherein fest, dass die Band solange existiert bis einer von uns stirbt. Das wäre ja sozusagen die natürliche Grenzen, dass man dann sagt, jetzt wollen wir keinen Neuen mehr dazu nehmen. Es kann ja auch sein, dass wir sagen, wir haben keine Lust mehr eine neue Platte zu sagen, uns fällt nichts mehr ein, wir haben genug Songs geschrieben. Dann kann man noch auf Tournee gehen, aber eine richtige, eine lebendige Band ist es nur dann, wenn sie auch noch Songs schreibt. Natürlich ist es für einen Solokünstler einfacher. Wenn man an einem bestimmten Punkt merkt, aus der Band kommt nichts mehr raus, das ist irgendwie durch – dann ist das ja auch in Ordnung. Das spricht gar nicht gegen die Band, das ist dann einfach die Kraft des Faktischen. Ich hab oft gedacht, auch früher, dass das alles so Qualitätsmerkmale sind, dachte früher, dass Bands gar nicht so lange existieren sollen – ich fand das abgeschmackt. Und dann ist man plötzlich selber in so einer Band, die so lange existiert...

Vielleicht ist es dann mit der Zeit wie mit einer Beziehung...

Ja, aber eben auch nur bis zu einem gewissen Grad. Es gibt Scheidungen, weil es einfach nichts mehr bringt, aber ich denke mal wir haben halt diese Kinder, um die wir uns kümmern müssen, darum machen wir immer weiter (lacht). Wir waren ja auch nie eine Band, die auch persönlich so eng verbandelt war, wo jeder relativ großen Freiraum für sein Individuum und so seine eigene Art hatte, wo es keinen richtigen Chef gibt, der den anderen sagt, was er machen soll, wo man sich relativ frei fühlen kann, wo man nicht so dicht aufeinander hockt wenn man nicht gerade was zusammen macht. Und das hilft natürlich, diese gewisse Distanz.

Wenn Element ne Wohngemeinschaft wäre, gäbe es sie nicht mehr...

Darauf kannst Du aber ganz sicher einen drauf lassen...

Es sind gerade immer wieder die Geschichten, die Bilder, die überraschenden Textaussagen, viel Assoziatives, scheinbar Absurdes, aber eben auch Wahres, nicht unbedingt Idyllisches. Da singt einer „Scheiß auf Metaphern...“, beherrscht aber das Spiel mit Worten ganz wunderbar was die Leute ja auch immer wieder fasziniert... Und es scheinen sich viele in den Songs wieder zu finden, hatten Ähnliches erlebt, erfahren, es aber ganz sicher anders ausgedrückt.

Spaß macht auch – und das hoffe ich jedenfalls, es macht mir jedenfalls viel Spaß – , dass man feststellt, wenn man Songs schreibt, wie viel einfach sonst auch noch so geht, was noch alles so möglich ist, und dass irgendwie auch alles erlaubt ist. Die Kunst ist auch das Reich der Freiheit. Wenn ich da singe „Scheiß auf Metaphern“, heißt das noch lange nicht, dass ich da auch dran glauben muss... Das ist einfach nur ein toller Satz, „Scheiß auf Metaphern, die sind böse und heiß...“, so ein Quatsch, aber irgendwie machen sie totalen Spaß. Das darüber Nachdenken macht auch Spaß. Das ist etwas, was generell bei diesen Songs, auch den traurigen, de Spaß an der Sache im Vordergrund steht, gerade weil man auch nicht das Gefühl hat, man müsse mit einem Song jetzt noch etwas beweisen. Das ist jedenfalls, mich so umtreibt. Bei den anderen in der Band können das auch andere Gründe sein, die Herausforderung so eine Art von Rhythmus zu spielen, eine spezielle Art von Schlagzeug dazu zu entwickeln, was immer das ist. Bei Jakob merkt man ja auch, was der noch so alles an der Gitarre drauf an. Das ist schon ungeheuer. Aber bei mir ist es vor allem der Spaß dran, die diebische Freude, auch immer döfer zu werden, die Sachen auch auf die Spitze treiben kann. Die Wahrnehmung und Interpretation eines jeden Hörers ist ja in keiner Hinsicht irgendwie dem untergeordnet, wie ich das sehe, sondern gleichberechtigt. Das ist auch etwas, was ich meine, dass es dazu gehört, dass man sagt, das ist alles erlaubt, das ist alles kein Problem, das kann kein Problem sein.

Noch mal ein Infozitat – eine Musik, die man voraussetzungslos, ohne Vorwissen, hören und lieben kann.... Viele Bands scheinen von den Fans ja einen gleichen Code zu erwarten/verlangen...

Dass man es einordnen kann. Dieses Historisierende, in ein Gesamtwerk, die Geschichte der Band oder einen soziokulturellen Kontext. Und das finde ich dann immer problematisch. Weil es geschlossene Gesellschaften schafft, die dann auch etwas Rock´n´Roll-Feindliches haben. Denn da soll eigentlich jeder mitmachen können. Ich hör diese Musik, ich find sie toll, ich bin dabei, es sollte kein geschlossener Club sein, eher so was wie die offene Masse. Solange die Menschen zusammen rennen, wächst die auch. Wenn sie nicht wächst, zerfällt sie auch wieder. Das interessiert mich mehr. Es gibt ja auch eine starke Bindung an die Band von den Leuten, aber man hat niemals das Gefühl, dass das auf eine Weise unterdrückerisch ist, sozusagen so imperativ wirkt, dass man dann als band auch denkt, man muss dem gerecht werden. Die Leute sind durchaus bereit, sich überraschen zu lassen. Und das finde ich für einen Künstler ideal.

Zeilen wie „Dass das Bier in meiner Hand alkoholfrei ist, ist Teil einer Demonstration gegen die Dramatisierung meiner Lebenssituation“ oder „Der Zucker in deinem Kaffee ist nur Kohle und Wasser und Glück, dass einer das neu arrangiert hat und dich das Ergebnis entzückt...“ – kommen Dir die zugeflogen oder werden die gedrechselt und über einen längeren Zeitraum entwickelt?

Leute, die mich privat kennen, werden darin sicher auch Sachen aus meinem Privatleben finden, aber es ist meist nicht so, dass man das direkt zusammen bringen kann. Wenn man öfters mal alkoholfreies Bier trinkt, was man aber einen gewissen Alter ja auch mal macht (haha), weil die Leber nicht mehr so mitspielt, dann kommt auch mal eher drauf. Aber es kann auch sein, dass man früher mal so eine Phase hatte oder einfach jemanden kennt. Mein Tourmanager hat immer Jever fun getrunken, er schwor drauf und wir haben ihn immer veräppelt. Aber was ich sagen will – das reicht ja oft auch schon. Und dass man sich vorstellen kann, jemanden zu kennen, auch dieses Gartencafé-Dings. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal in einem Gartencafé gesessen habe – das muss schon sehr lange her sein.

Kollege Schoyfler aus Frankfurt lässt fragen, wie das bei Dir mit dem Texten funktioniert: Denkt Regener an ein Gefühl, eine Situation, macht er eine Stoffsammlung, macht ein Brainstorming, dann kommt ihm ein Satz, ein Bild, der Haken, den er gesucht hat und baut dann den Text drum rum, so wie bei Benn – eine Idee und dann viel Schweiß?

Ja, schon, aber ich hab halt als erstes immer die Musik, das ist wichtig und die Gesangsmelodie aus musikalischen Gründen schon fest steht und dann genau so ist. Ich habe von vorne herein sehr enge Gussformen, in die das rein muss. Und so entsteht dann eine Geschichte wie „Kaffee und Karin“. Kaffee und Karin, Birgit und Bier, diese Alliterationen, ja wie kommt man denn auf so was? Ich glaube, dass die Musik eine große Rolle spielt, als Katalysator im Meer der Wörter, was im Gehirn hin und her schwappt bis irgendwas anbeißt. Bei „Schwere See“ zum Beispielt, da hatte ich „Schwere See, schwere See, mein herz“ und da kam der Rest vom Text ganz schnell. Bei anderen Texten dauert das länger... Es wird ja auch gern mal was weggeworfen, wenn man merkt, ne ne ne ne, falsche Richtung.

Gott sei Dank ist ja die eine große Kuh lange vom Eis, dass man nämlich eure Musik nur als melancholisch begreift, aber wenn man dann wieder einen Plattentitel hat wie „Immer da wo du bist bin ich nie“, der klingt nicht gerade nach Glück und Erfüllung, eher nach am falschen Ort zur falschen Zeit und Scheitern...

...und es klingt ein bisschen angenehm doof, das darf man nicht vergessen...

Was habe ich da gelesen: Regener will nach eigenem Bekunden aus dem grauen Stein Alltag Funken schlagen und das Gewöhnliche genießen...

Das denke ich schon und es ist generell die Aufgabe dieser Art von Kunst, die ich bevorzuge, dass wir aus dem, was wir erleben und was uns erst mal nicht besonders spektakulär vorkommt, aber das ist das Leben, das wir haben. Und wir haben nur das eine. Dass man die Lieder dazu hat, dass man dann erst merkt, was da alles dran ist, was das bedeutet, das alles noch mal mit neuen Augen sieht, U Bahn, Bier trinken und alle vier Minuten, dass man darüber lachen kann, sich freuen kann, da mitsingen kann. Dass man über diese Dinge singen kann, auch Liebeskummer und diese ganzen Sachen, dass man die überhöhen kann. Und diese Überhöhung, das ist genau die Aufgabe der Kunst, aus den Sachen mehr zu machen, als sie im ersten Moment zu sein scheinen. Wenn man das weiß, ist auch alles erlaubt, alles kann Thema eines Songs sein. Man muss nicht verreisen, sich Notizen machen, sondern alles, was sich aufdrängt, kann potentiell ein Thema sein Die Frage ist nur, wo kriegt man´s hin und passt es zur Musik? Das ist das Entscheidende. Deshalb bin ich so froh, dass ich zu denen gehöre, die immer erst die Musik haben. Denn das spielt für mich eine große Rolle – passt es zur Musik?

Jetzt kommen wir zur Musik – Du hast es schon kurz angesprochen. Wenn man jetzt mal die Musik betrachtet: immer noch gerne 3/4 und 6/8, aber viel mehr Leichtigkeit und Lässigkeit, Kompositionen wie aus dem Ärmel geschüttelt und – für deutsche Verhältnisse, Truckstop und Texas Lightning im Sinn, ein überraschend klischeefreier Umgang mit Country (vielleicht ohne Western) und vor allem Folk. Wo kommt das her, wo will das hin und wie sind in diesem Kontext die Coverversionen von Freddy Quinn, Degenhardt, Lindenberg, Arlo Gunthrie, Robert Zimmermann, The Carter Family... Und „Tumbling Tumbleweeds


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