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Lesung

Christian Setzepfandts Unorte im Adlib

Christian Setzepfandt und Frank Berger haben noch einen draufgesetzt: Nach „101 Unorten“ gibt es nun „102 neue Unorte“ – eine unorthodoxe Stadtbegehung. Freitagnacht stellt Setzepfandt das Buch im Club Adlib vor.
Stellen wir uns doch mal ganz dumm: Was ist überhaupt ein Unort? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Kann man von einem Ort und dessen Geschichte erzählen, der in Wahrheit gar nicht da ist? Und ob. Und wie. Denn es geht um Orte, die schon immer da waren. Wir haben sie nur nicht bemerkt. Jedenfalls nicht als das, was sie sind. Weil man das nur kann, wenn man die Geschichte und die Geschichten einer Stadt genau kennt, wenn man zuhört, forscht, sich umguckt, vor allem aber: die Stadt durchquert und durchpflügt, immer und immer wieder. Und wenn jemand dafür prädestiniert ist, dann ist es Christian Setzepfandt. Der gebürtige Frankfurter arbeitet seit 1977 als Stadt- und Gästeführer. Gemeinsam mit Frank Berger, studierter Historiker und Kurator am Historischen Museum Frankfurt, hat Setzepfandt im vergangenen Frühjahr das Buch „101 Unorte in Frankfurt“ herausgegeben. Und weil die Sache beiden eine Menge Spaß gemacht hat und noch dazu ein ungeahnter Publikumserfolg wurde, hat das Duo nun nachgelegt: „102 neue Unorte in Frankfurt“, aufgebaut nach dem Prinzip des Vorgängers: ein Foto, ein sehr unterhaltsamer und witziger Text, und weiter zur nächsten (Nicht-)Sehenswürdigkeit.

„Man kann“, sagt Setzepfandt, „das durchaus als eine Art von alternativem Stadtführer begreifen. Die touristischen Sehenswürdigkeiten kennt man ja schon.“ Und was gibt es nicht alles zu entdecken an Kuriosem und zugleich Wissenswertem. Zum Beispiel das stille Örtchen, das sich in einem ehemaligen Aufzugsschacht im Europa-Palast an der Frankfurter Hauptwache findet. Einen Holzknopf sucht man vergebens; stattdessen ist, aus schicklichen Gründen, die Glastür mittlerweile verspiegelt. Und wenn wir gerade schon bei den Aborten unter den Unorten sind: Zu dem ehemaligen Toilettenhäuschen in der Friedberger Anlage (Foto), das heute eine Bar ist, gibt es eine ganz besonders pikante Geschichte. Dort nämlich nahm, wie es ein Polizeiprotokoll aus dem Jahr 1937 vermerkt, ein Mann das Geschlechtsteil eines anderen Mannes aus dessen Hose heraus und in seinen Mund hinein. Blöd nur, dass der vermeintliche Sexualpartner sich als Kriminalbeamter entpuppte. Man lernt Frankfurt auf neue Weise kennen, wenn man Setzepfandt und Berger durch die Stadt folgt. Und hin und wieder bemerkt man, dass Orte, die man täglich passiert, eine besondere Rolle spielen können. Wer beispielsweise täglich auf dem Weg zur Arbeit die U-Bahn-Station Miquel-/Adickes­allee benutzt, sollte (oder könnte zumindest) wissen, dass er sich, unterquert er die Adickesallee, im Anfangsstück eines geplanten Autobahntunnels befindet, der die A  66 von der Miquelallee aus mit der A  661 in Seckbach hatte verbinden sollen. „Autogerechte Stadt“, so nannte man dieses Konzept seinerzeit. Autos auf die Straße, Fußgänger unter die Erde. Jahrelang kämpften die Frankfurter gegen das Projekt, dem 500 alte Linden und ein nicht unwichtiger Teil des Hauptfriedhofs zum Opfer gefallen wären. Man sieht: Wutbürger gibt es nicht nur heute und im Ländle. Aus dem Bundesverkehrswegeplan verschwand das Projekt allerdings erst 2003 endgültig.

Manchmal, ja, manchmal finden Setzepfandt und Berger nicht einfach einen Unort. „Hin und wieder“, grinst Berger, „erfinden wir auch mal einen.“ Das scheint besonderen Spaß zu machen. Zum Beispiel das Frankfurter Atomkraftwerk am Rebstock. Atomkraftwerk? Rebstock? Stimmt ganz so natürlich nicht. Aber immerhin: Im Jahr 1958 nahm dort ein Forschungsreaktor des Instituts für Kernphysik seinen Betrieb auf, der mit zu 20 Prozent angereichertem Uran lief. Nach zehn Jahren wurde er abgeschaltet. Der fünf Jahre später errichtete Nachfolger ging nie in Betrieb. Danach wurde das Gebäude schräg gegenüber dem Rebstockbad als Zwischenlager für radioaktive Abfälle benutzt. Heute stehen dort neue Wohnungen, in denen junge Familien leben. Ob die von dem Reaktor wissen?

Wer zählen kann, der weiß, was auf 101 und 102 folgt. Ist also schon ein Nachfolger geplant? 103 weitere Unorte – gibt das ein Städtlein wie Frankfurt her? „Also, Christian Setzepfandt wird mich schlagen, aber ich hätte da schon so ein paar Ideen …“, fängt Frank Berger an. So richtig böse guckt Setzepfandt da auch nicht. Schließlich ist er der versierteste Stadtgänger, den wir haben. Er wird neue Unorte auftun. Oder erfinden.

>> Frank Berger & Christian Setzepfandt: 102 neue Unorte in Frankfurt, Societätsverlag, 12,80 €

>> Frankfurter Unorte: Lesung mit Christian Setzepfandt, 21. September um 22.30 Uhr im Adlib, Schwedlerstraße 8, während des 27up-Club, Einlass 22 Uhr, Musik von DJ Da Silva, Eintritt 5 Euro vor 24 Uhr, 8 Euro danach.

>> Optional kann zum 27up Skyline Club ein Dinner & Party Paket gebucht werden, bestehend aus Vorspeise und Hauptgang plus ein Glas Prosecco im Restaurant „Das Leben ist schön“, sowie dem Eintritt zur Party im Adlib (Reservierung und weitere Infos unter www.frankfurter-stadtevents.de/monate/210912/20010491/ ).
 
20. September 2012, 11.59 Uhr
Christoph Schröder
 
 
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