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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Gespräch mit FAZ-Journalist Peter Lückemeier

An Prinzipien festhalten

Peter Lückemeier war 26 Jahre Lokalchef der Rhein-Main-Zeitung in der FAZ. Am Freitag wird sein Abschied gefeiert. Ein Gespräch über ein Leben im Dienste des Journalismus.
Journal Frankfurt: Herr Lückemeier, 1980 sind Sie zur FAZ gekommen, waren vorher aber auch schon journalistisch tätig, etwa als Volontär bei der West-Berliner Zeitung „Der Abend“. Was war das eigentlich für ein Blatt?
Peter Lückemeier: „Der Abend“ war eine Boulevardzeitung auf hohem Niveau. Man kann sie ein bisschen mit der Münchner Abendzeitung vergleichen. Intelligent gemacht mit einem sehr gutem Feuilleton und Lokalteil, klugen politischen Kommentaren, Jürgen Engert war der Chefredakteur, ein äußerst gebildeter Historiker, der später Leiter des ARD-Hauptstadtstudios wurde. Das Besondere war, dass die Zeitung „Der Abend“ hieß und morgens gegen 10 Uhr am Kiosk war. Das heißt ich bin zwei Jahre meines Lebens um halb vier aufgestanden.

Klingt furchtbar.
Das frühe Aufstehen war gar nicht so schrecklich wie sich zu zwingen, um 10 Uhr ins Bett zu gehen. Einige Zeit nachdem die Zeitung eingestellt worden war, machten wir ein Wiedersehenstreffen. Die Kollegen sahen alle fünf Jahre jünger aus, weil sie nicht mehr unter Schlafentzug litten.

Wie sind Sie an die Stelle gekommen?
Meine Professorin an der Uni war Gesine Schwan, die meinte zu mir: „Lückemeier, Sie wollen doch Journalist werden, Jürgen Engert vom Abend sucht einen Volontär. Rufen Sie den mal an.“ Ich wurde da gleich genommen. Für die Diplomarbeit, die noch fehlte, habe ich mir drei Wochen Urlaub genommen. Das ging auch.

Es geht alles, wenn man es will. Und Sie wollten.
Oh ja. Ich war so froh, endlich arbeiten zu können. Die deutsche Uni habe ich gehasst. Ein Jahr war ich in Amerika, da war das ganz anders, eine wunderbare Zeit. Dann kam ich zurück in dieses verstunkene Otto-Suhr-Institut mit seiner schrecklichen Bürokratie. Da wollte ich so schnell wie möglich raus.

Sie waren hungrig auf den Beruf?
Ja und so glücklich, beim Boulevard arbeiten zu dürfen; es war ohnehin eine andere Zeit, in der es mitunter auch etwas ruppiger zuging. Ich erinnere mich noch an eine Parlamentsberichterstatterin, die mich, wenn ich als Volontär etwas einwand, immer anschnauzte: „Ruhig!“ Das war irritierend, aber lustig. Und schreckliche Massaker, die irgendwo in der Welt passierten, wurden vom Ressortleiter mit den Worten quittiert: „Dit ist ulkig, dit nehm wa!“. Ein gutes Genre, um zu lernen, aber natürlich auch nichts, was man immer hätte machen wollen. Also bewarb ich mich bei der FAZ und das klappte. 1980 habe ich hier im Lokalteil angefangen.

War es ein schwieriger Schritt aus dem sicherlich sehr spannenden West-Berlin nach Frankfurt zu wechseln?
Nein, die Herausforderung zur FAZ zu gehen hat alles andere in Frage gestellt. Würde die FAZ in Werningerode oder in Braunschweig ansässig sein, ich wäre auch dahin gegangen.

Erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag bei der FAZ?
Ja. Was ich sehr schön fand, ist eine Sitte, die es bis heute gibt. Neue Kollegen, ob Redakteure oder Hospitanten, werden in der Konferenz vorgestellt. Der Konferenzleiter sagt „Herzlich willkommen“ und dann klopfen alle anderen Beifall. Ich war 29 Jahre und ich kam mir vor wie auf einer Behörde, weil alles so ruhig war und leise und so wohlanständig. Die Kollegen siezten sich fast alle, jeder hatte sein Einzelbüro, es war schon eine andere Welt, gerade nach meiner Zeit beim Boulevard.

Änderte sich auch die Arbeitsweise?
Ja, beim „Abend“ gab es keine direkten Zuständigkeiten, man machte alles, was anfiel.

Was waren Ihre Zuständigkeiten als Sie bei der FAZ anfingen?
Wirtschaft, Gewerkschaften, Ausländer und Kirchen. Ein spannendes Gebiet.

Gerade in Frankfurt, das fasst ja fast die gesamte Stadtgesellschaft zusammen.
Ja, du warst an einem Tag mit dem Vorstandsvorsitzenden der Hoechst AG, am nächsten Tag mit Sozialhilfeempfängern zusammen. Das Thema Ausländer war besonders interessant, weil es ja kaum Institutionen gab, die für sie zuständig gewesen wären. Keinen Beirat, keinen Dezernenten, da musste man alles von Hand machen, man musste sich die Themen erarbeiten.

Ich vermute, Ihre Berichte haben Sie noch mit der Schreibmaschine getippt.
So ist es. Die Korrespondenten schickten ihre Berichte mit Telex, auch die mussten hier eingetippt werden.

Die Druckerei befand sich damals auch noch gegenüber.
Ja, ich war allerdings vollkommen ungeeignet für den Umbruch. Man darf gar nicht sagen, was ich alles nicht kann.

Doch!
Technisch. Technisch kann ich gar nichts. Wenn Wahlen sind, habe ich immer die Aufgabe für eine Ausgabe nach der anderen den Aufmacher zu schreiben. Aber das bereiten die Kollegen so vor, dass dafür keinerlei technischen Handgriffe benötige.

Das heißt, Sie gehörten nicht zu den Kollegen, die vor Drucklegung mit rüber in die Druckerei gingen.
Ich musste manchmal und das hatte seine eigenen Gesetze. Man durfte kein Blei anfassen. Wer es tat, musste einen Kasten Bier ausgeben. Die Metteure waren damals sehr selbstbewusste, hochqualifizierte Handwerker, gutbezahlte Leute, die sich auch nichts sagen ließen. Die Setzer wiederum beherrschten die Grammatik und die Zeichensetzung mindestens so gut wie der Redakteur. Wenn du dein Manuskript mit der Schreibmaschine schriebst, hattest du den Ehrgeiz, den Kollegen nicht mit einem Dokument voller Tipp-Ex zu kommen. Kennen Sie noch Tipp-Ex?

Ich hörte davon.
Fehlerfreie Manuskripte abzugeben, zwang einen, sehr viel stärker als heute am Computer, darüber nachzudenken, was man schrieb.

Bevor man schrieb, weil es dann sofort fixiert war.
Genau. So zu schreiben, halte ich auch heute noch für eine gute Methode. Wenn man sich mit der zweitbesten Formulierung zufrieden gibt, wird es sehr schwer die beste zu finden. Das sage ich auch unseren Praktikanten: Stellen Sie sich vor, mit der Schreibmaschine zu schreiben.

Was ist Ihre oberste Maxime?
Ich habe wirklich Zeit meines Berufslebens einen Horror davor gehabt, den Leser zu langweilen. Das habe ich auch immer versucht, den jungen Menschen mitzugeben.

Sie setzen sich nach wie vor für den journalistischen Nachwuchs ein?
Das möchte ich sagen. Gleich nach unserem Gespräch kommt die nächste Fortbildung mit Praktikanten, stilistische Übungen stehen heute auf dem Programm. Etwa 50 bis 60 Hospitanten haben wir im Jahr – und so geht uns eigentlich kein Talent durch die Lappen.

Erneuert sich die Zeitung durch den Durchlauf der jungen Menschen?
Ja. Sehen Sie, es gibt hier zum Beispiel nicht so viele Kollegen, die bei Facebook sind oder twittern und in diesem wichtiger werdenden Teil der Welt, helfen uns die jungen Kollegen ganz enorm.

Die FAZ gilt als ziemlich schwerfällig in ihrer Veränderungskultur. Hat es Sie gestört, dass es hier ziemlich störrisch zugehen kann?
Ganz im Gegenteil. Das ist wie mit der katholischen Kirche: Es muss jemanden geben, der an Prinzipien festhält.

Und die Herausgeber sind so etwas wie die Kurie?
Nein, das würde ich nicht sagen, aber wenn wir uns ein Exemplar von 1980 und eines von heute vornehmen würden, dann hätten wir doch zwei ganz unterschiedliche Zeitungen vor uns. Als ich anfing gab es beispielsweise so gut wie keine aktuellen Fotos – und auch kaum Fotografien von Personen. Veränderung gibt es immer. Das liegt auch an der größtmöglichen Freiheit, die wir den Mitarbeitern geben. Die zuständigen Kollegen entscheiden, ob, wie und in welcher Größe ein Thema in die Zeitung kommt.

Warum druckt die FAZ noch Börsenkurse ab?
Weil sie gelesen werden. Wie überhaupt so manche Rubrik schmerzlich vermisst würde, gäbe es sie nicht mehr. Es gab einen Aufschrei, als im Feuilleton einmal das Fernsehprogramm weggelassen wurde. Der Service darf nie fehlen.

Und die kleineren Rubriken?
Freitags haben wir immer einen Wandertipp in der Zeitung. Den habe ich vielleicht erst dreimal gelesen, immer dann, wenn ich ihn redigieren musste. Aber ich weiß, dass wir ihn nie weglassen dürfen, weil es eine radikalisierte Wanderergruppe gibt, die diese Strecken abläuft.

Die Zeitung als Gemischtwarenladen?
Wir heißen ja Frankfurter „Allgemeine“ Zeitung und daran müssen wir uns orientieren. Wir müssen so viele Teile unserer Wirklichkeit wie möglich abbilden.

Gilt das auch fürs politische Konzept?
Sowas hängt natürlich immer auch an Personen, die den Kurs vorgeben. Hugo Müller-Vogg war ein dezidiert rechter Herausgeber, der seine Standpunkte aber begründen konnte und sein Fähnchen nicht nach dem Wind hängte. Jürgen Jeske war ebenso liberal wie jetzt Werner D’Inka. Ich würde mich als liberal-konservativ bezeichnen. Doch eine politische Richtung meiner Kollegen könnte ich nicht festmachen. Wir prüfen jeden politischen Vorschlag nach seiner Güte – nur um die NDP oder die Republikaner kümmerten wir uns nie.

Wann reifte bei Ihnen der Gedanke, Journalist werden zu wollen?
Mit 14, 15 Jahren. Ich hielt mich für alles andere ungeeignet. Bei einem Termin beim Arbeitsamt, den zu dieser Zeit alle absolvieren mussten, schlugen die die Hände über den Kopf zusammen und meinten: „Machen Sie nie etwas Technisches oder Handwerkliches.“ Ich war außerdem ein bisschen prädisponiert, weil meine Mutter in erster Ehe mit einem Journalisten verheiratet war, einem Feuilletonisten bei der Deutschen Zeitung in München. Sie sprach begeistert von all den mit ihm besuchten Theater- und Opernpremieren. Und ich hab natürlich gelesen wie verrückt, manchmal drei Bücher an einem Tag.

Der Journalismus hat sie nie enttäuscht?
Ich bin hier jeden Tag gerne hingegangen. Jeden Tag. Auch zu schwierigen Zeiten, in denen wir Leute entlassen mussten.

Jetzt ist gerade wieder so eine Zeit.
Ja, aber eine bei der man absehen kann, dass es besser wird. Die Zeitung macht wieder Gewinne, dieses Jahr wieder ein gutes Stück mehr. Das gelingt allerdings nicht durch neue Geschäfte, sondern nur durchs Sparen. Meine Stelle wird ja auch nicht neu besetzt. Gut, dass mag nicht unbedingt schlimm sein, schmerzhafter ist da schon, dass die Stelle des Musikredakteurs nicht neu besetzt wird. Das werden einige Leser sicherlich vermissen.

Wollten Sie schon mal von der FAZ weg?
Es gab zwei, drei Angebote Chefredakteur von Regionalzeitungen zu werden, ich habe auch immer verhandelt, doch letztlich gab vor allem das Argument den Ausschlag, dass ich nirgendwo solche Kollegen finden würde wie hier – damit meine ich die gesamte Redaktion. Das ist schon ein Think tank von unglaublich intelligenten Menschen. Hier im Lokalteil arbeiten Menschen, die mit den Experten, über die sie berichten, auf Augenhöhe diskutieren können, sei es in der Architektur und Stadtentwicklung, in der Wirtschaft oder in der Lokalpolitik. Auch mit dem Feuilleton dieser Zeitung schätze ich den Austausch, es ist ein Glück, solche Köpfe um sich haben zu können.

Mit den Herzblatt-Geschichten wagten sie einen Ausflug ins Boulevard, beschrieben dort in blumigen Worten das Neueste aus den bunten Blättern. Aus alter Verbundenheit zum Berliner „Abend“?
Nein, ich kannte die Blätter kaum als ich die Idee vorschlug. Ein Blick durch die Klatschzeitschriften, das traf in der Redaktion erstmal auf Zustimmung – und als der erste Teil veröffentlicht wurde, war es ein Knaller. Die Leute haben sofort darüber gesprochen. Es hat sich zum Selbstläufer entwickelt, den ich 16 Jahre lang, Woche für Woche, machte.

Haben Sie Spaß an den Zeitschriften empfunden?
Beim Schreiben der Kolumne ja, beim Lesen der Zeitschriften: Nein! Wobei ich einschränken muss: Ich war ja auf der Suche nach Juwelen in einem Misthaufen. Dafür musste man sich allerdings durch den ganzen Mist wühlen. Nach 16 Jahren reichte es dann auch wirklich – obwohl ich wahrscheinlich besser als kaum jemand hier im Haus über Königshäuser und Schlagerstars informiert war. Einige Leute, auch hier im Haus, haben sich in unserer Lokalredaktion sogar auf die Suche nach den ausnehmend hübschen Austausch-Mitarbeiterinnen aus Osteuropa gemacht, die in der Kolumne eine Nebenrolle spielten, jedoch freilich frei erfunden waren.

Wird Ihnen langweilig werden nach Ihrem Ausscheiden aus der FAZ?

Mit Sicherheit nicht. Ich schreibe gerade an drei Büchern, bin in diversen Vereinen und Initiativen tätig und ab und an darf ich auch noch für diese Zeitung schreiben. Ich stelle da keine Ansprüche, sondern gehe auch auf die Termine, zu denen man mich schickt. Darauf freue ich mich.

Langsam müssen wir zum Schluss kommen, die Hospitanten warten vor Ihrer Tür. Raten Sie denen eigentlich vom Journalismus ab?
Wo denken Sie hin, natürlich nicht! Wir Journalisten werden doch mehr gebraucht als zuvor. Es braucht Menschen, die diese unübersichtlich werdende Welt erklären.

Spielen Tageszeitungen dabei noch eine Rolle?
Schwierig werden es vielleicht die mittleren und großen Regionalzeitungen haben – besonders wenn es in ihrem Gebiet ein Internetportal geben sollte, dass ähnlich ausführlich berichtet. Bei Zeitungen wir der FAZ aber bin ich mir sicher: Sie hat eine Zukunft.

Interview: Nils Bremer
 
24. Februar 2016, 23.23 Uhr
red
 
 
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