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"Es ist noch ein langer Weg bis zur Normalität"

Frankfurts neue Integrationsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) im Gespräch.

Journal Frankfurt: Ihr Vorgänger Jean-Claude Diallo hat sich in Gesprächen stets gegen den Begriff Integration gewehrt. Er würde oft als Assimilation missgedeutet.

[credit Harald Schröder]Nargess Eskandari-Grünberg: Dank der Diskussion der vergangenen Jahre können wir mittlerweile offen über diese Themen sprechen. Wie definieren wir Integration? Der Begriff hat sich in der Tat gewandelt, was auch mit der Globalisierung zusammenhängt. Die Lebensentwürfe vieler Menschen sind flexibler geworden, Wanderungsbewegungen finden auch innerhalb der Industriestaaten statt, nicht nur von Süd nach Nord. Mit einem Integrationsbegriff, wie es ihn vor 20 Jahren gegeben hat, kommen wir heute nicht weiter.

Was heißt Integration heute?

Es gibt nicht die Integration. Integration ist ein Prozess, an dem alle Seiten beteiligt sind, aus dem am Ende auch alle verändert hervorgehen. Von erfolgreicher Integration können wir sprechen, wenn Einwanderer sich in dieser Stadt zugehörig und zuhause fühlen. Wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Religion, mit unterschiedlichen Sichtweisen, dann ist diese Vielfalt einerseits bereichernd. Andererseits muss man aber auch sehen, dass aufgrund dieser Unterschiede Ängste entstehen, auf Seiten der Menschen, die in die Fremde gehen, ebenso wie bei denen, die fremde Menschen in ihrer Stadt aufnehmen. Integration ist ein aktiver Lernprozess, das müssen wir verstehen. Wir sollten uns auch vergegenwärtigen, dass viele Migrantinnen und Migranten ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben, sondern aus schwierigen Verhältnissen flohen. Manche suchen Zuflucht, weil sie politisch oder wegen ihrer Religion und Herkunft verfolgt worden sind.

Fühlen Sie sich als Frankfurterin?

Aber natürlich, ich lebe sehr gern in Frankfurt! Ich würde mir wünschen, dass alle Menschen, die seit Jahren unserer Stadt leben, ähnliches sagen könnten. Dazu müsste sicherlich noch vieles geschehen. Wir müssen lernen, miteinander zu leben. Das kann aber sicherlich nicht konfliktfrei ablaufen.

Die Konflikte sind ja offensichtlich ...

Keine Beziehung kommt ohne sie aus, weder eine Freundschaft, noch eine Ehe und erst recht kein Zusammenleben unterschiedlicher Gruppen und Kulturen in einer Stadt. Ich sehe die integrative Arbeit keineswegs nur in meinem eigenen Bereich oder lediglich beim Amt für multikulturelle Angelegenheiten angesiedelt. Wirtschaft, Kultur, Sicherheit, Stadtplanung – überall begegnen sich Menschen und überall müssen sie lernen, ihre Konflikte friedlich beizulegen. Den Begriff der Integration überall zu verankern, ist eine große Aufgabe, aber eine spannende.

Bezogen auf den Magistrat: braucht man da noch eine Integrationsdezernentin? Sollte nicht jeder Dezernent darauf achten, dass die Menschen in dieser Stadt gut miteinander auskommen?

Das Integrationsdezernat hat sehr wichtige Aufgaben. Das friedliche und fruchtbare Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen wird auch in Zukunft eine der zentralen Herausforderungen für uns alle sein. Auch auf Landes- und Bundesebene sind diese Themen von großer Bedeutung.

Was brauchen wir in diesem Bereich?

Wir haben noch vieles zu lernen, wenn wir den eben geschilderten Aufgaben begegnen wollen. An vielen Universitäten gibt es mittlerweile eigene Institute und Fachbereiche für interkulturelle Kompetenz. Solche Einrichtungen sind zukunftsweisend.

Anders gefragt: Wann leitet die erste Dezernentin mit Migrationshintergrund den Bereich Wirtschaft?

Gute Frage. Diese Normalität fehlt noch. Wenn Migrantinnen und Migranten nicht mehr dauernd gefragt werden, woher sie eigentlich kommen, dann wird es möglicherweise so weit sein. Die Frage ist. Handelt sich um wirkliches Interesse an einer Person , oder dienen eher dazu, dem anderen mitzuteilen, dass er nicht wirklich dazu gehört. Ähnliches gilt für das Wort „Migrationshintergrund“. Ich sage lieber: Jeder von uns hat seine eigene Geschichte.

Brauchen Kinder aus Einwandererfamilien nicht Vorbilder? Auch in der Politik?

Alle Menschen brauchen Vorbilder! Neulich war ich in der Einrichtung „Mädchenbüro“ in Bockenheim, und da haben mich die Kinder gefragt: „Und wann wirst du Kaiserin von Deutschland?“ Ich habe sehr gelacht, aber auch das Gefühl gehabt: die waren stolz, dass es eine „von ihnen“ geschafft hat. Es ist noch ein langer Weg bis zur Normalität.

Sie kommen aus dem Iran. War es für Sie persönlich schwierig, in Deutschland anzukommen?

Nicht besonders, was unter anderem daran liegt, dass ich aus einer eher wohlhabenden, liberalen Familie stamme. Ein Großteil der Familie war in die USA ausgewandert, ständig gingen Menschen aus anderen Ländern bei uns ein und aus. Ich ging auf eine internationale Schule, meine Eltern hatten keinen streng religiösen Hintergrund. So war mir die Kultur hier nicht fremd. Aber dennoch fühlte ich mich auch fremd. Als ich nach Deutschland kam, sprach ich kein Wort deutsch. Wie gesagt: Kein Mensch verlässt seine Heimat freiwillig. Ich wusste damals nicht, ob ich meine Heimat je wiedersehen werde. Aber entscheidender war für mich, in Freiheit zu leben.

War es Zufall, dass es Sie nach Deutschland verschlug?

Ja. Eigentlich wollte ich in die USA zu meinen Verwandten, doch das hat nicht geklappt. Deutschland hat mich aufgenommen, und recht bald entschied ich mich dafür, hier bleiben zu wollen. Ich kam damals als Flüchtling in Gießen-Reiskirchen unter und habe für mich angefangen, die Sprache zu lernen – mit Büchern und Kassetten. Mein Ziel war es, mir hier etwas aufzubauen, zu studieren, Karriere zu machen ...

... und schließlich in der Politik zu landen. War das schon immer Ihr Wunsch?

Schon als ich anfing, mich bei den Grünen zu engagieren, war klar, dass ich mich für Integration einsetzen möchte. Vor elf Jahren bin ich in die Kommunale Ausländervertretung gewählt worden, später dann ins Stadtparlament. Dort kam die Kulturpolitik hinzu. Nach dem tragischen Tod von Jean-Claude Diallo wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, seine Nachfolge anzutreten.

Dabei war Ihre Nominierung recht umstritten, weil Sie während einer Debatte um einen Moschee-Neubau in Hausen emotional reagierten und den Satz gesagt haben sollen: „Migration ist in Frankfurt eine Tatsache. Wenn Ihnen das nicht passt, müssen Sie woanders hinziehen.“

Ich habe, wie schon gesagt, sehr lange integrative Politik mitgestaltet, war Vorsitzende des früheren Integrationsausschusses. Es war niemals meine Politik, zu spalten. Diejenigen, die mich kennen, wissen das. Man kann mich nicht auf diesen Satz reduzieren. Ich bin jemand, der sowohl aus meiner Lebensgeschichte als auch aus meiner Überzeugung heraus, die Grundrechte verteidigt. Zu denen müssen sich selbstverständlich auch die Minderheiten bekennen, die ihr gutes Recht auf Religionsfreiheit von der Gesellschaft einfordern.

Darüber besteht sicherlich Konsens. Aber in der CDU sieht man Ihre Nominierung kritisch. Das wird es nicht leicht machen.

Die CDU-Fraktion unterstützt mich, die Oberbürgermeisterin tut dies auch. Mich ärgert es sehr, dass elf Jahre Politik auf einen Satz reduziert werden – noch dazu einen, der aus einer zwanzigminütigen Rede herausgerissen wurde. Wer mich kennt, weiß, dass dies nicht meiner Meinung entspricht. Wir müssen gemeinsam Lösungen finden, das heißt für mich Integration. Im Miteinander. Abgesehen davon: das ist nun mehr als ein halbes Jahr her. Es ist Zeit über wichtigere Dinge zu sprechen.
 
11. Juni 2008, 09.20 Uhr
Nils Bremer
 
 
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