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Die Hochschule der Hochkomik



Ex-Titanic-Chef Oliver Maria Schmitt zur Eröffnung des caricatura museum frankfurt:



Vom Werden, Wirken und Witzeln der Neuen Frankfurter Schule

Sie ist Deutschland erfolgreichste Boygroup, aber noch nie zusammen aufgetreten – und wird es auch nicht mehr tun. Und obwohl sie nie gegründet wurde, gibt es die Neue Frankfurter Schule seit bald fünfzig Jahren, seit im Oktober 1961 die Nullnummer der Zeitschrift Pardon erschien. Die Dioskuren Traxler und Poth hoben die „deutsche satirische Monatszeitschrift“ gemeinsam mit den Herren Nikel und Halbritter aus der Taufe, kurze Zeit später schon gesellte sich das Dreigestirn Bernstein/Gernhardt/Waechter dazu, da war der Großteil der Crew auch schon beieinander. Schön für die.

Aber was stellt diese komische Allianz eigentliche vor? Eine pointenschlagende Verbindung? Einen Schutz-und-Trutz-Bund gegen Ernstler, Windmacher und Sinnstifter? Eine Zunft zur Ausübung und Regelung des Witzaustauschs? Einen grotesk überschätzten Popanz, eine Medienhalluzination? Und was bedeutet heute Elchkritik? Hat dies arme Tier nicht ohnehin schon schwer genug?

Nie ist fest umrissen worden, was die NFS genau sei. Bis heute fehlt ihr jede fixe Rechtsgrundlage. Ein eingetragener Verein ist sie nie gewesen. Zu welchem Ziel und Ende sie existiert, ist so unklar wie ihre Hierarchie: Sie hat keine Struktur, keinen Chef und keinen Kassenwart. Auch eine richtige Schule war sie nie, sie hat keine Klassenzimmer und bildet nicht aus. Dennoch vermittelt sie etwas: daß der Mensch von Zeit zu Zeit mal gerne lacht; daß er dies nicht immer tut, doch immer gerne, sei’s laut für andre oder leis’ für sich allein; daß Komik und Kritik keine Widersprüche sind; und daß, wer zuletzt lacht, auch am längsten lacht.

Chlodwig Poth: „Wenn man diesen Begriff nicht gefunden hätte, dann gäbe es diese Gruppe gar nicht“, schnarrt er und ordnet seinen Bart, „dann wären das eben bis heute die Pardon- oder die Titanic-Leute geblieben.“

Eckhard Henscheid hat 1985 in seinem bis heute nicht restlos ausgedeuteten Aufsatz über „Frankfurts Magisches Dreieck“ die dem außenstehenden Laien kaum sichtbaren Verbindungslinien zwischen den Philosophen der kritischen Theorie, den Kickern der Frankfurter Eintracht und den Komik-Kadern der NFS gezogen: „Denn zwar handelte es sich bei der alten Frankfurter Schule um ostentativ seriöse und meist professorale Herrschaften schwergewichtigen Gehalts; indessen die NFS eher mit dem Leichten, Spielerischen, Komischen und nicht oartout Wissenschaftlichen zu tun hat; kurzum, es geht um eine heute ganz überwiegend in Frankfurt lebende und operierende Zeichner- und Autorengruppe, die sich wesentlich schon ab 1962 im Zeichen des alten Pardon-Satireblatts zusammenfand, die seit 1979 das Nachfolgejournal Titanic gemeinsam betreut und auch sonst nicht eben faul im Produzieren von Cartoonbüchern, Satireanthologien, Romanen, Drehbüchern und Filmen in fast perhorreszierender Fruchtbarkeit. Konkret: Es handelt sich um die Zeichner und Autoren Chlodwig Poth, Hans Traxler, Robert Gernhardt, F. W. Bernstein, F. K. Waechter, Peter Knorr und Bernd Eilert; es handelt sich ferner um ihre Eleven und Nachwuchsleute; und schließlich, der Verfasser dieser Zeilen gehört wohl auch dazu.“

Diese virtuelle Hochschule der Hochkomik hat eines ganz sicher erreicht: daß es erstmals in Deutschland eine anhaltende und lokale Komik-Kontinuität gibt. Ihre Protagonisten zeichnen und schreiben und werden gedruckt seit mindestens Pfingsten 1946, da erschien nämlich der erste Cartoon des damals noch sechzehnjährigen Chlodwig Poth; sie begleiteten durchgehend und ohne Unterbrechung die Vor- und Frühgeschichte der Bundesrepublik bis heute, versorgten schon Nachkriegsleser mit Trümmerwitzen, später Spontis mit Sprüchen und heute Kids mit Komik, Kritik und Klamauk. Dazu gründeten sie zwei Satirezeitschriften, machten etliche Filme und Theaterstücke, zahllose Fernseh- und Radiosendungen, dichteten Volksgut, ärgerten die Schlechten und brachten die Guten zum Lachen und holten die Institution der Lesung aus dem Schnarchkulturbetrieb heraus, aus verstaubten Buchläden und vermufften Stadtbüchereien und machten sie zu gutbesuchten Unterhaltungsveranstaltungen. Dies alles zusammengerechnet: eine in der Welt völlig singuläre Großgruppenleistung. Man kann suchen und forschen, wie man will – und wird keine annähernd vergleichbar produktive Runde finden. Nirgends.
 
2. Oktober 2008, 16.58 Uhr
Jan-Otto Weber
 
 
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