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2raumwohnung im Interview

„Perfekter Pop? Das passt nicht zu uns.“

Am 26.10. kommen 2raumwohnung ins Gibson, um das neue Album „Achtung fertig“ vorzustellen. Das Konzert ist ausverkauft. Im Interview mit dem JOURNAL FRANKFURT erzählt Sängerin Inga Humpe über Berlin, Los Angeles, Melancholie und Lebenslust.
JOURNAL FRANKFURT: Im Februar 2011 war 2raumwohung beim „Music Discovery Project“ des hr Sinfonieorchesters in der Jahrhunderthalle. Angesichts des orchestralen Klangkörpers damals und der Ankündigung eurer neuen Platte „Achtung Fertig“ als eher minimalistisch und reduziert die „provozierende“ Frage: was habt ihr damals von Gustav Mahler mitgenommen?

Inga Humpe: Vielleicht ein bisschen von der Melancholie und Deepness, die Mahler ja hat, davon haben wir sicher etwas mitgenommen.

Und vom Spätromantiker im Übergang zur Moderne ...

Ja, genau...

Man muss da ja transzendent sehen....Im aktuellen Info zu „Achtung Fertig“ ist vom „druckfreien Raum“ die Rede, die ihr für die Produktion der Platte gesucht habt. Heißt das, dass ihr euch frei machen wolltest vom Druck von außen und von dem, dem man sich selber macht=? Gehörte zu diesem Befreiungsversuch, auch mal raus aus der eigenen Stadt zu gehen und rein in eine andere ...

Inga Humpe: Es geht hauptsächlich darum, was man über all die Jahre auch immer wieder mitbekommt: wir leben ja alle in einer Leistungsgesellschaft und wir sind alle darauf bedacht, da unsere Ziele zu erreichen und ich glaube das hindert uns daran auch wirklich zu empfinden und zu spüren und Sachen intensiv zu erleben. Und die Musik hilft einem ja, dass man da ein bisschen mehr im Jetzt bleibt. Musik holt einem in den Moment rein, hilft, wieder was zu spüren, zu empfinden. Das gilt für die Zuhörer wie für die Macher ...

... und dann noch die räumliche Komponente ... ? Neue Orte, neue Leute, neue Kooperationen ?

Für uns wird das natürlich auch leichter, wenn wir aus unseren Gewohnheiten rausgehen. Klar, Berlin ist immer unsere Basis und unser Sound ist Berlin. Aber zum Schreiben war es für uns inspirierend, mal in dieses andere Land, nach Los Angeles und San Francisco zu reisen und da mit völlig fremden Leuten zu arbeiten. Man ist sich durch das Schreiben ja sofort unheimlich nah, da ist ja sofort eine Vertrauensebene da und durch das Zusammenarbeiten entsteht eine Intimität da, die sonst nicht so schnell herzustellen ist, fast wie ein Kommunengefühl ...

Immer diese romantischen Retrobegriffe ...

Eine Kommune hat ja auch etwas ganz Pragmatisches...

Dieser viel zitierte Berliner Sound... Wenn man sich die Platte anhört, ist das ja auch ein universelles Konzept. Berlin versus das Universum ...

Ich glaube schon, dass unsere Musik einen eigenen Sound hat. Wir haben das festgestellt in Los Angeles, waren ganz überrascht und haben uns gefreut, dass wir da in Modenläden und Restaurants gespielt werden und da hört man das schon raus als einen eigenen Sound. Ein moderner Sound, ein urbaner Sound, das erleben andere auch so. Ich glaube 2raumwohnung wird als Berliner Sound wahrgenommen.

Ich mache den Sound aber viel mehr an euch Beiden fest als an Berlin ...

Ja, aber wir sind ja in der Stadt, der Sound ist da entstanden. Berlin hat so viel Subkultur, dass auch immer wieder ganz viele Ideen und Frechheiten und Freiheiten, die man sich hier erlauben kann, uns und die Musik prägen. Das ist schon speziell hier möglich.

Ich bin zu selten in Berlin, um das wirklich wahrnehmen zu können und es werden sicher auch ganz viele andere Dinge mit Berlin assoziiert: aber es ist ja viel Platz zwischen Zille und Peter Fox ...

Ja, ja, das stimmt (lacht).

Du hast eben im Zusammenhang mit Mahler das romantische Element und die Melancholie erwähnt, aber was irre ist (wir hatten ja schon beim letzten Mal über die – da musstest Du so lachen – Wertepärchen gesprochen, Dinge, die sich scheinbar zu widersprechen scheinen. Bei euch steht der Melancholie pure Lebenslust entgegen und man könnte daraus einen Begriff wie melancholischer Hedonismus und hedonistische Melancholie konstruieren ...

Ja, ja, da ist ein bisschen was dran. Wir haben eigentlich immer versucht, Lieder zu machen, die was Unbeschwertes haben und da gab es auch mal Kritik, das wären so Liedchen und das hat mich auch ein bisschen gestört, dass man das so missverstehen konnte. Jetzt bei diesem Album haben wir versucht, diese beiden Sachen noch näher zusammenzubringen, dass die lebensfrohen Lieder auch diesen melancholischen, auch etwas blauen Touch (oder was man so blue nennt) bekommen und dass das eigentlich auch sehr zusammen gehört für uns.

Und jetzt wo ihr, back to basics, wieder stärker bei der Elektronik gelandet seid, greift ihr aber gerade was die emotionale Qualität betrifft all das auf, was ihr zwischendurch gemacht habt, das mit den brasilianischen Elementen zum Beispiel. Wenn man jetzt das portugiesische Erbe anschaut, da ist eine solche Kombination ja ganz natürlich und normal.

Ich empfinde das auch als großen Freiraum für 2raumwohnung, dass wir uns da alle möglichen musikalischen Ausflüge so erlauben können und trotzdem unseren Sound nie verlieren. Der ist immer da.

Und den finde ich auf der neuen Platte weit homogener als auf der davor, die diverser gestaltet wirkte. Ich hatte da viel konkretere Assoziationen, wir hatten bei „Lasso“ über die Beatles u.v.a.m. geredet. Diesmal sind solche Dinge ganz ganz ganz weit unter der Überfläche, da muss man ganz tief kratzen. Ein Song klingt fast wie „My Sharona“ von The Knack auf Elektro, bei „Wunderbare Tage“ hört man auch ganz unterschwellig wieder The Beatles, es ist alles da, aber on top of it ist 2raumwohnung und das weit mehr als beim letzten Mal ...

Oh, danke.

So kommt es mir zumindest vor und deshalb ist es in dieser scheinbaren Lässigkeit ziemlich radikal was ihr da treibt ...

Das ist wieder so ein schönes Wertepärchen ... (lacht) Radikale Lässigkeit, was Schöneres kann ich mir nicht vorstellen ...

Und für viele auch ein Widerspruch: eine neue Sinnlichkeit und die Technik/Elektronik als Medium ...

Ja, ich finde das passt auch gut zusammen, gehört regelrecht zusammen. Das eine ist ohne das andere nicht auszuhalten ...

Musik ist für euch auch ein Medium die Balance zu halten/finden ...?

Man muss ja auch immer wieder mit den Begriffen, mit denen man versucht sich selber zu kategorisieren, ein Durcheinander schaffen, damit man sie auch wieder neu empfindet.

Für sich selbst, die Medien und das Publikum Irritationen schaffen... Im weiten Feld des Elektro-Pop gesehen zu werden, ist das eine, dann zu sagen vor allem aber ist es eines, Musik, das andere ...

Das stimmt.

Ein anderes, selbstbewusstes Statement was man herausarbeiten kann: man zieht los, guckt sich unterschiedliche Dinge an, sieht wie sie dargestellt werden ... Aber wie heißt es in einer Textstelle: Wir sehen die Dinge wie wir sind.

Das ist entscheidend, dass man selber immer drin ist. Wir reden immer von Interaktivität und wie wichtig das ist. Wenn man bewusst sieht und hört, dann ist man immer selbst beteiligt und nimmt andere Leute dann auch mit. Und das ist auch, glaube ich, wichtig und wertvoll, dass man so was auch teilt mit anderen, dass man damit auch was bewegt.

Wenn man diese oft zitierte, perfekte Popband sein soll, andererseits einen eigenen Sound gefunden hat, bleibt dann noch ein Ehrgeiz oder ist das gar nicht mehr notwendig, zwingend nach Trends zu schauen, irgendeinem Hipness-Faktor zu entsprechen, der ist man eh – auch wenn man sich nicht im Gitarre-Bass-Schlagzeug-Kontext bewegt – eher wieder zeitlos?

Erstens mal: der „perfekte Pop“, da scheiden wir ja schon aus, weil wir das gar nicht sein wollen, auch gar nicht sein können, weil wir Menschen sind. Das passt gar nicht zu uns, perfekt zu sein. Und ich glaube das ist eher unser Ziel das immer wieder herauszustreichen, dass dieses Unperfekte, auch Zufällige was da drin ist in der Musik, dieses sich Öffnen und passieren lassen, Sachen auf sich einwirken, sie eindringen zu lassen und das wieder weiterzugeben, ein offenes Spiel ist. Wenn es zu schön wird, wieder ein Störgeräusch rein machen damit man das Schöne vielleicht noch mal anders wahrnimmt anstatt es an sich vorbeirauschen zu lassen...

Zum Thema Trends. Das Wort ist nicht inspirierend, sondern es geht eher darum, sich immer selber weiter zu entwickeln und zu gucken wo sind die Stellen, die noch nicht klar sind, wo ist noch ein Feld, das unbekannt ist und daran rumzudrehen. Das sehen wir auch ein bisschen als unserer Aufgabe.

Das, was man dann gemeinhin als Experiment beschriebt, wenn mit anderen Menschen – klingt jetzt wider furchtbar – eine Art Versuchsanordnung geschaffen wird man sie ja auch im normalen Leben vorfindest wenn man nicht nur in seinem sicherem Raum bleibt... Was passiert da an Harmonie, auch Disharmonie?

Und das ist ja eh beim Schreiben, beim Musikmachen unheimlich wichtig, dass man lernt – sonst könnte man es auch gar nicht machen – zum Beispiel mit Frustrationen umzugehen. Wir haben in L.A. zum Teil mit fünf, sechs Leuten in einem Raum gesessen und haben versucht die Lieder zu schreiben, Und dann passiert aber mal vier, fünf Stunden gar nix. Da muss man aufpassen, dass die Stimmung nicht total kippt. Und das wissen natürlich alle, die Erfahrung haben. Jeder, der schon länger schreibt, länger Musik macht, weiß, es geht immer um diesen Moment, der als magischer Moment beschrieben wird wo sich auf einmal alle einig sind, wow, das ist toll! Davor gibt's aber 30 oder 300 Momente wo gar nichts toll ist ...

Die Durststrecke ... Und jeder denkt immer, die Kreativen sind immer kreativ ...

Das ist eine ganz ganz wichtige Sache: Frust aushalten. Deshalb sind wir ja auch die Anti-Frust-Band. Weil wir auch nicht noch diese Momente beschreiben wollen, wo man Frust hat und damit nicht klar kommt. Die Beschwerer, die Klager, alles scheiße außer Mutti, das halt ich nicht aus, das find ich halt nervig.

Das verpackt ihr dann ganz subtil ... Bei euch sind sogar die Kakerlaken rosa...

Die rosa Kakerlaken sind ja ein Synonym für widerstandsfähige Frauen ...

Richtig, ich habe den Feminismus in eurer Musik glatt wieder vergessen ...

Dabei brauchen wir mehr männliche Feministen.

Wir haben damals ja auch über die unterschiedlichen Elemente gesprochen, hier die Country-und Volksmusik-Elemente, da der Auftritt im Cocoon Club. Diesmal tretet ihr im Gibson auf – eine gewisse Clubkompatibilität sollte also erhalten bleiben... Kennt ihr das Gibson, nein. Da gibt es eine große LED-Wand...

Das ist schon mal gut, wir arbeiten ja auch wieder mit Visuals...

Wie sieht diesmal die Live-Umsetzung aus?

Wir sind zu viert. Wir waren ja mal sieben Leute, wollten wieder flexibler sein, um zu reisen. Der ganze Livesound ist auch viel elektronischer, es gibt kein richtiges Schlagzeug, dafür elektronische Percussion ...

In einer Linie mit Kraftwerk ...

So ist es, ja.

An Kraftwerk musste ich auch bei einem Stück denken ....

Das freut mich sehr. Ich habe den Jungs auch gerade verboten, dass es klassische Rocksounds gibt, sie müssen alle Gitarren verfremden.
 
10. Oktober 2013, 00.00 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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