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100 Jahre Lia Wöhr

"Wo ich steh’, da ist Hessen!“

Vor 100 Jahren wurde Lia Wöhr in Frankfurt geboren. Sie war ausgebildete Schauspielerin, Ballettmeisterin und Dirigentin, inszenierte Opern und reüssierte ebenso hinter der Bühne als Produzentin.
Schon früh nahm die Mutter die kleine Lia mit ins Theater. Das erste Stück, das das Mädchen im Frankfurter Schauspielhaus sah, war Schillers „Wallenstein“: „Ich verstand gar nichts“, bekannte Lia Wöhr in ihren Erinnerungen. So schnell ließ sich eine wie sie jedoch nicht abschrecken. Und als dann einmal „Salome“ von Richard Strauss auf dem Spielplan stand, war Lia so fasziniert vom Tanz der sieben Schleier, dass sie beschloss, Tänzerin zu werden. Von der Mutter erbettelte sie, künftig zur Ballettstunde gehen zu dürfen. Nach zwei Jahren jedoch erklärte der Ballettmeister der Mutter, dass aus der Lia bei aller Begabung nie eine Primaballerina werden würde: „Dafür ist sie zu schwer!“ Stattdessen schlug er vor, sie auf eine Schauspielschule zu schicken: „Aus der wird bestimmt einmal eine prachtvolle komische Alte!“ Die Mutter, ganz bodenständige Bäckersfrau, erwiderte nur: „Und was macht sie in der Zwischenzeit?“

Lia Wöhr „machte“ allerhand. Sie war ausgebildete Schauspielerin, Ballettmeisterin und Dirigentin, arbeitete als Operettensoubrette, Kabarettistin, Souffleuse, Conferencière, Alleinunterhalterin, Hörfunksprecherin, internationale Opernregisseurin und preisgekrönte Fernsehproduzentin. Sie kreierte die Figur des „Hessemädche“ für Bühne und Rundfunk, war die „Mamma Hesselbach“ der Radiofamilie und schenkte als die populäre Frau Wirtin jahrzehntelang den Ebbelwei in der Fernsehwirtschaft „Zum Blauen Bock“ aus. Damit trug Lia Wöhr wesentlich zur Schaffung eines hessischen Bewusstseins in dem erst von der amerikanischen Besatzungsmacht 1945 gegründeten Bundesland bei. „Frankfurt ist meine Mutterstadt“, sagte sie stolz zur Feier ihres 80. Geburtstags 1991. „Aber wo ich steh’, da ist Hessen!“

Vor 100 Jahren, am 26. Juli 1911, wurde Lia Wöhr in Frankfurt geboren. Aufgewachsen mit zwei jüngeren Geschwistern im Gallusviertel, besuchte sie ab 1927 die Schauspielschule ihrer Heimatstadt. Nach ersten Engagements kehrte sie 1935 nach Frankfurt zurück, wo sie, angeblich auf persönliche Vorsprache ihrer Mutter beim Oberbürgermeister, ein Engagement bei den Städtischen Bühnen erhielt. Zunächst in kleineren Komödienrollen am Schauspielhaus eingesetzt, landete sie bald im „Kasten“, als Souffleuse der Oper nämlich, bis der Theaterbetrieb 1944 kriegsbedingt eingestellt wurde. Nebenbei studierte sie Komposition, Klavier und Dirigieren an der Musikhochschule, und während des Krieges begleitet e sie als Regieassistentin die Frankfurter Oper auf deren Auslandsgastspielen nach Rumänien, Bulgarien, Frankreich und Spanien.

Nach Kriegsende trat Lia Wöhr als Alleinunterhalterin in Revueprogrammen für die amerikanischen Besatzungstruppen und später auch für die deutsche Zivilbevölkerung auf. Für den neu gegründeten Frankfurter Sender, den späteren Hessischen Rundfunk, erfand sie ihre Rolle als „Hessemädche“. Das Rüstzeug dafür hatte sie sich in dem Stimmungslokal „Maier Gustl’s Oberbayern“ geholt, wo sie in oberhessischer Tracht erschien, improvisierte, sang und vier Instrumente – Sopransaxophon, Klarinette, Trompete und Akkordeon – spielte. Das „Hessemädche“ kam über zwei Jahre lang gut bei den "Bunten Nachmittagen" im Radio an. Bei einem dieser Nachmittage, am 17. September 1949, stellte sich auch eine gewisse „Familie Hesselbach“ erstmals dem Publikum vor. Zum Start der von Wolf Schmidt erdachten und zum echten Straßenfeger aufsteigenden Hörfunkserie hatte Lia Wöhr die Rolle der Tochter Anneliese übernommen, für die sie mit inzwischen 38 Jahren eigentlich zu alt war. Von der zweiten bis zur 77. und letzten Folge 1956 sprach sie dann die „Mamma Hesselbach“, deren legendärem „Kall, mei Drobbe!“ sie die angemessene Stimmkraft verlieh. Ganz nebenbei baute sich Lia Wöhr eine internationale Karriere als Opernregisseurin auf. Von 1951 bis 1962 war sie mit ihren Inszenierungen, insbesondere der Werke von Richard Wagner, in Italien, Spanien, Portugal, Brasilien, England und Irland zu Gast.

Bereits 1955 erhielt Lia Wöhr ihre erste „Putzstelle“ beim HR: In der Unterhaltungssendung „Auf ein frohes Wochenende“ klaubte sie als Putzfrau Hippenstiel über 500 Folgen lang weggeworfene Schallplatten aus dem Papierkorb, was sie natürlich nie still und stumm erledigte. Auch als die „Hesselbachs“ ab 1959 ihren Weg ins Fernsehen fanden, übernahm Lia Wöhr die Rolle der Raumpflegerin. Ihre bewährte Stellung als „Mamma“ aus dem Radio konnte sie damals im Fernsehen schon deshalb nicht behalten, weil sie den „Babba“ Wolf Schmidt deutlich „überragt“ hätte. Dass Liesel Christ zur „Fernsehmamma“ avancierte, hatte jedoch nicht nur optische Gründe. Lia Wöhr hatte inzwischen einen festen Job als Produzentin beim Fernsehen des HR angenommen, der ihr kaum Zeit für eine Hauptrolle in der von 1960 bis 1963 und 1966/67 laufenden Familienserie gelassen hätte. Die Putzfrau Siebenhals bei den Hesselbachs gab sie jedoch so überzeugend, dass sie einmal am Wochenende im Sender von einer echten Raumpflegerin angesprochen wurde: „Gell, Frau Wöhr, mir müsse auch sonntags“ – eben putzen.

Bis heute unvergessen ist Lia Wöhr durch ihre Fernsehauftritte in der Unterhaltungssendung „Zum Blauen Bock“. Dort dirigierte sie von 1966 bis 1987 als resolute Frau Wirtin im feschen Dirndl ihre beiden „Kellner“ Heinz Schenk und Regnauld („Reno“) Nonsens. Auch beim „Blauen Bock“ stand Lia Wöhr nicht nur vor der Kamera, sondern sie war wiederum als Produzentin für die Sendung verantwortlich. Nach ihrer Pensionierung beim HR 1976 trat Lia Wöhr im Volkstheater Frankfurt auf, das ihre Nachfolgerin als „Mamma Hesselbach“, Liesel Christ, inzwischen gegründet hatte, und im HR beriet sie unter anderem als Briefkastentante „Frau Löhlein“ mit hessischem Witz in den „drängendsten“ Alltagsfragen. Trotz einiger gesundheitlicher Malaisen war sie bis zuletzt auch immer wieder in kleineren Fernsehrollen, zum Beispiel im „Tatort“, zu sehen. Am 15. November 1994 ist Lia Wöhr in einem Frankfurter Krankenhaus gestorben.
 
26. Juli 2011, 07.32 Uhr
Sabine Hock (pia)
 
 
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