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No Sex in the City
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Kolumne von Ana Marija Milkovic
 

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Über Integration

Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder
Unsere Kolumnistin meint: "Integration ist nur Teil dessen, wie wir von zu Hause erzogen sind, das zu sein, was wir gemeinsam sind." Und erinnert sich an eine eindrückliche Episode ihrer Kindheit.
Ich möchte heute über meinen Freund Ciomas schreiben. Ciomas ist Perser und lebte mit seinen Eltern in Marburg an der Lahn. Wir lernten uns im Kindergarten kennen und waren fortan beste Freunde. Es gab nichts, was wir nicht zusammen unternehmen wollten und bereit waren zu teilen. Diese Freundschaften mögen selten sein, aber ich hatte Glück, sie zu erleben.

Nach dem Phillips-Kindergarten in der Universitätsstraße gingen wir in die Emil-von-Behring Grundschule am Bafüssertor. Wir besuchten die gleiche Klasse. Die Plätze wählten wir getrennt voneinander. Nebeneinander sitzen mussten wir nicht. Wir waren uns auch so nah.

Ich hatte es im Gegensatz zu Ciomas nicht leicht unter unserer Lehrerin. Sie biss sich an manchen Tagen regelrecht an mir fest. Wir waren drei Ausländer in der Klasse. Als beste Schülerin sollte ich starten. Es dauerte nicht lange und meine Leistungen fielen ab.

Ich schreibe heute über Integration, da so viele darüber schreiben, die sie nie erlebt haben. Nicht Wenige bemühen das Beispiel der Völkerwanderung im Für und Wider. Von der jüdischen Kultur, habe ich gelernt, werden Themen im Für und Wider entschieden. Voraussetzung für einen trefflichen Entscheid wäre, wenn die Verweise auch stimmen. Die derzeitige Diskussion über Menschen, die vorrangig Opfer sind, taugt für Integration meines Erachtens wenig.

Ciomas Eltern planten in ihre Heimat zurück zu gehen. Sie wollten gehen, bevor ihre Familie in Deutschland voll integriert war und ein Rückzug zu den eigenen Wurzeln schwerfiel. Aber auch meine Eltern planten nach Jugoslawien zurückzugehen. Heimat, erklärten sie mir, ist eine verlässlichere Größe als die Integration in einer fremden Kultur, in der wir keine Wurzeln haben.

Meine Geschichte sollte anders verlaufen. Ich blieb in Deutschland. Daher weiß ich, dass nicht der Kindergarten über die Integration entscheidet, sondern die lineare Entwicklung und Förderung, Nachhilfe, aber auch Freundschaften, die sich, nebenbei bemerkt, an privaten Schulen kaum schließen lassen. Heute blicke ich auf einen gemeinsamen Schultag in der Emil-von-Behring-Schule mit Ciomas zurück.

Es war einer dieser schlechteren Tage. Unsere Lehrerin forderte mich auf, ein Gedicht vorzulesen. Ich konnte gut lesen. An diesem Tag verhaspelte ich mich. Die Lehrerin unterbrach mich wiederholt während des Vorlesens und forderte mich wiederholt auf, von vorne zu beginnen. Doch ich verhaspelte mich weiter. Nun sollte ich stehend weiter der Klasse vorlesen. Ich stand auf. Mitleid, Scham bis Schadenfreude kam mir entgegen. Die Buchstaben vor meinen Augen ließen nicht mehr zu Wörtern verbinden. Dann kam der Moment, an den ich mich mein Leben lang erinnere. Ciomas, ein Ausländerkind und Grundschüler, stand auf, nahm sein Lesebuch in die Hände und sagte zu unserer Lehrerin: Jetzt übernehme ich!

Integration taugt nicht zum Leitmotiv. Integration ist nur Teil dessen, wie wir von zu Hause erzogen sind, das zu sein, was wir gemeinsam sind. Das Ergebnis kann nur persönlicher Natur sein und ist bestenfalls Integrität.
22. September 2016
Ana Marija Milkovic
 
 
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