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No Sex in the City
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Kolumne von Ana Marija Milkovic
 

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Frankfurt, The Artist Is Present

Unsere Kolumnistin weilt in Wien und lässt sich die Sonne aufs Kreuz scheinen. Dort kann man noch flanieren. Anders als in Frankfurt. Denn Frankfurt muss sparen, da wo es gestalten kann, meint sie.
Die Sonne macht gerade einen guten Job! Sie wärmt mir den Rücken. Wir sitzen draußen. Ein paar Freunde haben sich an der Kunsthalle Wien zusammengefunden. Mai 2013. Eine kleine Sensation, die Sonne scheint. Es ist warm. Ich trage ein Kleid.

Ich gehe im Schnitt zwei Stunden am Tag zu Fuß durch Wien. Berufliche Gründe und mein persönliches Santiago de Compostela motivieren mich dazu.
Es gibt einen Dokumentarfilm Wim Wenders mit gehenden Akteuren, die Kamera in ihrer Perspektive ist ausschließlich auf die Füße gerichtet. Kunst kann das: Die Perspektive der Betrachtung ändern. Dafür liebe ich Kunst.

Durchquere ich Wien vom 4. bis 6. Bezirk, erfreue ich mich an den historischen Straßen. Das ist ein erstaunlich schönes Gefühl. Wien ist schön. Keine Frage.
In Frankfurt bevorzuge ich eher mein Rad. Ich komme nicht auf den Gedanken durch Frankfurt zu flanieren. Ich kenne meine Destination und spute möglichst und schnell dahin.

Denke ich an Wim Wenders, schraube ich in Gedanken zwei Kameras an den Lenker meines Fahrrades. Die eine Kamera mit der Perspektive nach unten. Die andere mit dem Fokus auf Augenhöhe. Die Perspektive auf den Boden ist mein persönliches Himmelfahrtskommando. Betonpflaster mit dem Namen "Hundeknochen" wechseln in Farben und Verlegerichtung wild stoßend aufeinander. Fahre ich schnell, jagen die Motive und Farben einander wie die Schlusseinstellung eines Tarantino Films: Ein heilloses Durcheinander ist das hier! Auf der Rückfahrt durch die Münchener Straße wechsle ich die Perspektive. Die Bilder überlagern sich: Ästhetik befreiter Schaufenstermaterialmix, Typografie befreite Schriftenvielfalt. Ein autonomes Werk entsteht. Ich verstehe. Wer will schon ewig leben?

Wien. In Wien sind die Bodenflächen einheitlich in Grau gehalten. Materialität steht nicht im Vordergrund. Sich nivellierende, zurückhaltende Flächen bilden Straßen und Gehwege. Keine Ablenkung zum Gebauten. Wien will ewig leben!

Frankfurt. Ich gehe ins Architekturmuseum und frage den Direktor nach Projektionsflächen. Es bietet sich Gelegenheit. Zwei Filme projiziere ich parallel an die Wand: "Bodenflächen Wien". "Bodenflächen Frankfurt", so nenne ich die Installationen. Kreiden liegen auf dem Boden verteilt. Kreuze für Wien. Kreise für Frankfurt steht auf den Hinweiszetteln. Kreiden, Besucher und Boden verselbstständigen sich. Die Delegation "Stadtverschönerung" aus der Kurt-Schumacher-Strasse steht ein wenig ratlos daneben. Was kann das bedeuten? Ich lege meine Kreide aus der Hand, was für ein Spaß, gehe weiter, öffne eine schwerfällige Brandschutztür. Durch das enge Treppenhaus schieben sich Besucher nach oben. Ich schließe mich an.

Im Dachgeschoß des Museums, im Raum im Raum, steht ein Tisch. An dem Tisch, zwei Stühle. Leihgaben des MoMA aus der Performance "The artist is present". Auf einem der Stühle saß Marina Abramovic, 6 Tage lang, bis zu 10 Stunden, 3 Monate lang, regungslos. Ihr gegenüber im stetigen Wechsel die Besucher der Ausstellung. 700.000 Menschen wollten sie sehen. Abramovic, 2010 die begehrteste Frau New Yorks.

2013. Frankfurt muss sparen, da wo es gestalten kann. Auch an Besuchern. Marina Abramovic ist nicht im Haus. Der Besucher, im Dachgeschoss angekommen, reiht sich in die Reihe der Wartenden. An der Reihe, setzt er sich. Der Stuhl ihm gegenüber bleibt unbesetzt. Beim Hinausgehen übersieht er das Bild an der Wand: "Sorry the lifestyle you ordered is currently out of stock!"

The artist was present.

Am nächsten Tag steht die Weltpresse Kopf, Banksy war da. Auf keinem geladenem Essen, keine Ansprache, keine VIPs. Die FAZ setzt schnell eine Retrospektive seiner Arbeit auf. Streetwork. Kritisch. Unbeugsam. Unkonventionell. Ich ziehe meinen Kragen hoch, den Hut tief ins Gesicht, lächle, setze mich auf mein Fahrrad, fahre los, zwischen den Platanen entlang, genieße ich diese unglaublich schöne Stelle Frankfurts am Main und denke: "Wir sind das Volk. Oder, was denkt ihr, für wen baut ihr diese Häuser! Und mit welchen Visionen baut ihr unsere Straßen?"
29. Mai 2013
Ana Marija Milkovic
 
 
Fotogalerie:
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