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No Sex in the City
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Kolumne von Ana Marija Milkovic
 

Kolumne von Ana Marija Milkovic

Frankfurt, Stadt der Passiv-Iglus

Unsere Kolumnistin kennt Leute, die putzen lassen. Haben Putzfrauen eine Lobby? Keine so große wie die Passivhaus-Freunde in Frankfurt jedenfalls - denn in Frankfurt baut man gerne dick.
Sie haben sicherlich auch ein paar Bekannte, die ihre Wohnungen nicht selbst putzen. So geht es mir auch. Ich bin sogar mit einer Juristin bekannt, die ihre Putzfrau berät. Der Sohn der Putzfrau macht Abitur und will studieren. "Was will er denn studieren?" fragt meine Bekannte interessiert. " Architektur! " antwortet die Putzfrau stolz. "Das ist kein Beruf!" antwortet meine Bekannte. Auch wenn Juristen allgemein in einem Dienstverhältnis stehen und somit keinen Erfolg schulden, ist sie sich hier sicher. So ungefähr hat es sich zugetragen.

Ein paar andere Bekannte überbringen mir die due dillegence meines Berufsstandes. Freudig erregt fragen sie, "Ist das nicht komisch?" Ich fühle, bei so viel Humor, leichtes Unbehagen, geht der Humor in dieser Runde doch ausschließlich auf meine Kosten. Paar arme Schweine mit Werkverträgen, die Erfolg schulden, braucht der Staat dann schon, denke ich patzig.

Meine Freundin, Lobbyisten, kommt wie gerufen und wird es mir sicherlich erklären können, mein Unbehagen und das System. Kaum zur Tür herein, frage ich gleich nach einer Lobby für Architekten. Behutsam legt sie ihren Mantel und Koffer ab, setzt sich, schaut leicht amüsiert, fragt: "Was für eine Lobby? Habt ihr eine? Eine, die ich nicht kenne?" Ich gebe nicht so schnell auf und will es genau wissen: "Wie funktioniert Lobbyismus", frage ich. "Über Interessen und Netzwerk" beginnt sie, fährt fort, "Und verlässliche Aussagen. Du baust Vertrauen auf mit Argumenten. Wenn Du nicht ideologisierst, sachlich bleibst, bist Du ein gern gesehener Ansprechpartner in der Wirtschaft und in der Politik. Zielkonflikte gibt es immer in der Politik."

Meine Freundin geht weiter ins Detail: "Nehmen wir Ressourcen und Effizienz, besser Energieeffizienz. Wenn Du Rücksicht auf die Ressourcen nimmst, müsstest Du eigentlich dünne Wände bauen. Nimmst Du Rücksicht auf die Energieeffizienz, setzt Du mehr Material ein, baust Du dicke Wände." Dünne Wände bauen, dicke Wände bauen, ich verstehe. In Frankfurt bauen wir dick.

"Es gibt in der Politik Bereiche, die sich widersprechen", fährt sie fort. Als hätte ich es nicht geahnt! "Allerdings", hebt sie ihre Stimme, "in der Energiepolitik kommst Du mit sachlichen Argumenten nicht weit. Hier beherrscht die Emotion den Markt. "Gott schuf Raum, denke ich und die Green Economy unser Gewissen. Scientology war gestern. "Es geht den Menschen nicht um Schutz der Umwelt und Natur", zitiert sie einen Querulanten. "Es geht um die Absolution", sage ich. Sie, weniger religiös: "Um den Wohlfühlaspekt!" "Was wäre mit den Biomärkten bei saisonbedingten Ernteausfällen?" fährt sie fort. Fällt mir nur ein, saisonale Ausfälle haben wir doch schon lange nicht mehr! Mir fällt auch ein, dass wir Architektur schon lange nicht mehr im Programm haben. Der Architekt, kleines Glied in endlos genormter Kette, bemüht alles gesamtschuldnerisch haftend richtig zu machen, tüftelt in Fassaden.

Diktatur des Systems: Jedes Haus gleicht dem anderen. Individualismus war gestern. Die Speerspitze des Green Building: Der Fachplaner. Spezialisiert auf Haustechnik, Wärmeschutz und so mach anderen Nach- und Verweis, sommerlich und winterlich. Die Vorgaben liefern Umweltverbände. Der Industrielobbyist die Textbausteine. Die Politik setzt zusammen, was zusammengehört. Eine gigantische planwirtschaftliche energieeffiziente Umsatzsteigerung. Ressourcen zum Teufel.

Wir sind überzeugt, in 10 Jahren blickt die Welt auf uns und unsere Iglos, unserem Verständnis von Erkenntnis, Ästehtik. Kant, Rom, Paris alle und alles von gestern. Mehr Romantik war nie, weniger Aufklärung allerdings selten. Wir spielen zurück in die Zukunft. 1984. Big Brother is watching you. Essen wir richtig, trennen wir richtig, dämmen wir richtig, scheissen wir richtig, pardon, verwerten wir richtig? Ständig fragt das deutsche Gewissen. BlowJob war gestern, heute: BlowerDoorTest. Übersetzt: Differenzdruck-Messverfahren, Normsex im ganz großen Stil. Ein ganzes Dienstleistungsfeld zertifiziert ausschließlich staatlich vorgegebene optimale Behaglichkeit. Und was das kostet! Mag niemand ernsthaft darüber nachdenken! Das Gewissen hängt ein genormtes, grünes Schild an die Tür: Bitte nicht stören!
4. Juni 2013
Ana Marija Milkovic
 
 
Fotogalerie:
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