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Nach Blockupy

"Wir wurden drei Stunden festgehalten"

Was waren das für Menschen, die für die Blockupy-Proteste anreisten? Ein Gespräch mit einem Münchner Lehrer und einem ehemaligen Banker aus Hamburg über Griechenland, Gewalt und die Grenzstadt Frankfurt.
Journal Frankfurt: Wie war Eure Anreise?
Günther: Frühmorgens sind wir in Hamburg mit einem Bus losgefahren und ich dachte eigentlich, am Nachmittag in Frankfurt zu sein. Kurz vor Hanau war dann aber ein Polizeihubschrauber über uns, bald wurden wir von zwei Mannschaftswagen rausgewunken und auf ein Polizeigelände gebracht.

Was passierte dann?
Günther: Wir wurden am Aussteigen aus dem Bus gehindert, schließlich einzeln rausgerufen. Meine Personalien wurden aufgenommen, dann musste ich meinen Rucksack leeren, schließlich meine Hände an einen Polizeiwagen legen, ein Beamter tastete meinen Körper ab. Später wurde ich mit einer Videokamera von allen Seiten gefilmt.

Kein schönes Gefühl …
Günther: In dem Moment lief das bei mir ab wie ein Film, erst im Nachhinein habe ich mich gefragt, warum man uns wie Schwerverbrecher behandelt hat. Wir alle bekamen einen Platzverweis für die Frankfurter Innenstadt, unser Bus wurde wegen einem kleinen Riss an der Windschutzscheibe für fahruntauglich erklärt, die Polizei begleitete uns noch zum nächsten Rastplatz – von dort sind wir mit Taxis zum nächsten Bahnhof gefahren. Insgesamt wurden wir drei Stunden lang festgehalten. Besonders gut geschlafen habe ich in der Nacht zum Donnerstag nicht.

Seid Ihr nach Frankfurt gefahren, um hier Krawall zu machen?
Gerhard: Das ist jetzt nicht ernst gemeint, oder?

Die Polizei hat die Busse ja nicht ohne Verdacht herausgewunken. Von über 2000 Gewalttätern war die Rede.
Gerhard: Zu denen aber in meinem Bus niemand gehörte. Einige Mitreisende von attac haben sogar die Holzstangen für die Transparente in München gelassen, damit es keinen Ärger gibt. Ich bin trotzdem froh, dass unser Busfahrer rechtzeitig die Landstraße genommen hat und wir ohne Kontrollen durchkamen.

Günther: Einigen meiner Mitreisenden wurden Schals und Sonnenbrillen abgenommen. Komisch war dabei, das es den Anschein hatte, dass dies ganz willkürlich geschieht. Auch zwei Zelte wurden konfisziert. Den Leuten wurde gesagt: die könnt ihr Euch am Montag wieder abholen.

Gerhard: Um es nochmal deutlich zu sagen: wir sind nach Frankfurt gekommen, um friedlich zu demonstrieren, ich wollte mir etliche der nun verbotenen Kulturveranstaltungen anschauen, die für Freitag geplant waren.

Günther: Meine Idee war, mich vor die EZB zu setzen, auch um mit den Bankern ins Gespräch zu kommen. Im vergangenen Jahr wusste ich für mich, dass ich nicht mehr für Banken arbeiten will, ich wechselte die Branche, interessierte mich für die Ziele von attac. Vielleicht, so meine Hoffnung, hätte ich ja einige Menschen ebenso zum Umdenken bringen können.

Gerhard: Für mich war es die gegenwärtige Lage in Griechenland, die mich nach Frankfurt geführt hat. Die Troika aus EZB, IWF und EU steht für eine Verarmungspolitik, die mittlerweile dafür sorgt, dass griechische Kinder Hunger leiden, dass Menschen nach einem Jahr Arbeitslosigkeit ohne Krankenversicherung dastehen, und Ärzte ohne Grenzen Mitarbeiter dorthin schickt, um die medizinische Versorgung notdürftig aufrechtzuerhalten. Und wir sprechen hier über ein Land in der Europäischen Union! Gegen diese Politik gehe ich auf die Straße.

Aus Sicht der Stadt war besonders die angekündigte Blockade der Stadt verwerflich – auch weil Rettungskräfte nicht mehr durchgekommen wären. Das ist doch verständlich.
Gerhard: Was heißt denn Blockade? Das heißt, sich auf Straßen zu setzen. Diese Form des Protestes ist doch nicht neu! Sitzblockaden gab es 1968, sie gab es in Wackersdorf, sie gibt es heute immer wieder. Die Ordnungsbehörden wissen, wie sie damit umgehen können.

Vor einigen Tagen wurden gefälschte Flugblätter verteilt, in denen Bürger aufgerufen wurden, ihren Sperrmüll rauszustellen. Das ist der erste Schritt zur Straßenbarrikade.
Gerhard: Wer weiß, wer die verteilt hat? Ich weiß nur, dass die Organisatoren der Demonstration seit Wochen Pressemitteilungen verschicken, in denen von friedlichem Protest und von Gewaltfreiheit die Rede ist.

Einige Frankfurter haben aber noch die nicht eben gewaltfreien Proteste vom 31. März dieses Jahres im Kopf …
Gerhard: Es ist eine kleine Minderheit, die mit ihrem Verhalten der ganzen Bewegung schadet. Der überwiegende Teil der Menschen hier in Frankfurt hat schon deshalb ein Interesse an einem friedlichem Verlauf der Blockupy-Tage, weil andernfalls nicht mehr über Inhalte gesprochen wird und medial lediglich die gewalttätigen Protestierer transportiert werden.

Gerhard: Es muss doch wenigstens Protest möglich sein. Das er das nicht ist, ist ein Skandal.

Die Demo am Samstag wurde zugelassen. Die Verbote der anderen Kundgebungen wurden höchstrichterlich bestätigt.
Gerhard: In Eilentscheidungen wohlgemerkt, in denen sich die Gerichte gerne aus Zeitmangel am Material orientieren, das ihnen die Ordnungsbehörden präsentieren. Ich bin auf das Hauptsacheverfahren und die genauen Begründungen jedenfalls gespannt. Hier in Frankfurt wurden initiiert von der schwarz-grünen Stadtregierung gleich mehrere Grundrechte beschnitten.

Muss man sich in einem demokratischen Staat nicht Gerichtsentscheidungen beugen?
Gerhard: Wir leben in einem interessegeleiteten System. Und das ist jetzt keine linke Verschwörungstheorie, sondern wird von Staatsrechtlern und führenden Politikwissenschaftlern so bestätigt. Lesen Sie mal die Thesen von Colin Crouch! Er meint, dass die Wahlen noch funktionieren, dass auch die Parlamente noch funktionieren, dass aber beides von einem so großen Dickicht an Lobbyismus und Wirtschaftsinteressen umgeben ist, das von demokratischen Entscheidungen keine Rede mehr sein kann. Durch diesen Einfluss privilegierter Eliten nähern wir uns der Post-Demokratie an. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum die Politik einen breiten Protest gegen die Finanzpolitik, gegen den Fiskalpakt, der gerade geschnürt wird, vermeiden will. Fakt ist, dass die Anmelder der Blockupy-Proteste von Anfang an für Gewaltfreiheit eingetreten sind.

Günther: Es ist erschreckend zu sehen, wieviel Polizei hier in der Stadt ist. Man fragt sich, wer hier wen blockiert.

Wie werden Sie die Stadt in Erinnerung behalten?
Gerhard: Mein Gefühl sagt mir, dass ich hier nicht wieder her möchte.

Günther arbeitet in Hamburg. Er war früher Banker, im vergangenen Jahr wechselte er die Branche. Gerhard ist Lehrer in München. Beide baten darum, hier nicht ihre richtigen Namen zu verwenden. Eine ähnliche Geschichte über das Rauswinken der Busse erzählt die Journalistin Susanne Neubrenner in der taz.
 
20. Mai 2012, 20.47 Uhr
Interview: Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
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