Newsletter
|
ePaper
|
Apps
|
Abo
|
Shop
|
Jobs
Foto: Detlef Kinsler
Foto: Detlef Kinsler

Emil Mangelsdorff wird 90

Von Opferbereitschaft und Leidenschaft

Gehört man nicht zu der Fraktion der Journalisten, die alle Jubiläen verwaltet, gerät Alter schon mal in Vergessenheit. Und so mag es sogar Insider überraschen, dass Emil Mangelsdorff am 11. April schon 90 Jahre alt wird.
JOURNAL FRANKFURT: Im Booklet Ihrer aktuellen CD ist der wunderbare Satz zitiert, wonach man mit dem Jazz so schön alt werden kann. Ob bei der Fritz Rau-Gala 2010, der Vorstellung der „Blues Forever“-CD, dem125 Jahre Ernst May-Fest danach. Wann immer da jemand von der Vitalität ihrer Musik und ihres Auftritts schwärmte und nach Ihrem Alter fragte, war der überrascht zu hören. Na ja, so Anfang/Mitte 80. Jetzt reibt man sich verwundert die Auge: am 11. April werden sie 90 und am 4.5. wird das mit einem Konzert im Holzhausenschlösschen gefeiert. Markus Lanz würde jetzt in seiner unnachahmlichen Art fragen: Wie muss man sich das vorstellen?

Emil Mangelsdorff: Der 90. Geburtstag bedeutet ja, dass man das 90. Lebensjahr beendet hat. Man hat es dann ja schon hinter sich. Was den Satz betrifft. Für mich ist das immer ganz normal gewesen, es hat mich nicht größer verwundert. Weil der Jazz ist natürlich eine Musik, die von der Qualität her so geartet ist, das es nicht bei etwas Kurzlebigem, bei einer Eintagsfliege bleibt wie etwa bei einem Schlager. Der Jazz hat zwar eine relativ schnelle Entwicklung genommen, man kann aber eigentlich selten eine musikalische Parallele zum Jazz finden, wo man auch mit einer solchen Leidenschaft spielen kann wie es einem der Jazz abverlangt. Das ist das Schöne, das Positive am Jazz.

Über die Jahre konnte man immer wieder lesen: diese Leidenschaft und die Kreativität, die damit einhergeht, hält die Musiker jung und die Musik frisch. Ihre Frau Monique hört den Terminus traditionell nicht gerne, liest stattdessen lieber klassisch im Zusammenhang mit Jazz. Und dann gibt´s ja noch eine Vokabel wie zeitlos im Hier und Jetzt als Qualitätsmerkmal ...


Wenn ich übe oder wenn ich spiele, dann ist das immer aus der augenblicklichen Situation heraus und hat natürlich auch mit meiner jeweiligen Befindlichkeit zu tun, mit meinem Ausbildungsniveau an dem ich ja ständig arbeite. Insofern ist die Frage wo man das jetzt chronologisch verortet völlig unwichtig. Wie gut einer spielt, wie viel Musikalität im Hintergrund ist bei dem was er macht ist wichtig. Wir sind ja als Jazzmusiker in der glücklichen Lage improvisieren zu können. Ich will überhaupt sagen, dass die Gabe improvisieren zu können eine Qualität ist, die viele Musiker nicht haben. Ich glaube schon, dass das etwas Besonderes ist. Deswegen finde ich auch wenn einer ein guter Improvisator ist, dann ist er auch immer ein guter Musiker. Weil vielen sehr musikalischen Menschen ist es verweigert, dass sie überhaupt improvisieren können. Mir hat mal ein klassischer Musiker gesagt, ja wenn Du mir keine Noten geben kannst, weiß ich nicht was ich spielen soll. Das ist bei uns ein bisschen anders. Und hier tritt einfach eine Kreativität zu Tage bei den Jazzmusikern, die in anderen Musikformen ihren Vergleich sucht.

Das gab es oft recht lustige Begegnungen, zum Beispiel bei einer gemeinsamen Plattenaufnahme von Klassik-Cellist Yo-Yo Ma und Jazzsänger Bobby McFerrin. Ma erfüllte McFerrins Wunsch, mal dessen Collegeorchester dirigieren zu dürfe, Ma sollte im Gegenzug mit McFerrin improvisieren und musste an dieser Stelle passen... Improvisieren, wie geht das?

Ich habe mal vor ein paar Jahren mit klassischen Musikern eine Aufnahme gemacht und da habe ich leider immer noch spüren bekommen, dass es eine Rivalität gibt, aber auch das Eingeständnis, dass ich als der Solist, als der Gast, der auch improvisiert hat, etwas kann, was sie nicht können. Die Anerkennung gab es, immerhin. Aber im Großen und Ganzen – und das ist eigentlich ein deutsches Merkmal – haben sie immer noch geglaubt einen spüren lassen zu müssen, dass der Jazz eine Musik ist, die für sie nicht absolut akzeptabel ist.

Also immer noch dieser Wertigkeitsprinzipien, diese hierarchische Denken ...

Ich habe früher natürlich auch den Hut gezogen vor all den großen Komponisten, aber ich kann sagen: mit der Zeit in der ich Jazz mache ist mein Selbstvertrauen oder die Wertigkeit, die ich dem Jazz zurechne, immer gewachsen. Das ist wirklich eine wunderbare Musik. Ich glaube nicht, dass die Lebendigkeit und die Vorzüge, die der Jazz hat, sich irgendwann überholen. Deswegen bin ich auch dagegen, dass man heute sagt, das ist ein Jazz von gestern und das vielleicht als Grund benutzt, dass man ihn heute nicht mehr spielen könnte. Da wo der Jazz anfing tatsächlich solistische Anforderungen an den Musiker zu stellen, ist es auch eine qualitätsvolle Musik. Und da spielt es gar keine Rolle, ob die schon in den Dreißigerjahren oder erst im neuen Jahrtausend entstanden ist.

Ihr Schlagzeuger Janusz Stefanski hat mal den Begriff Bebop im Zusammenhang mit ihrer Musik angesprochen, dann stand der Blues im Zentrum Ihrer vorletzten Platte. Kann man also sagen, dass Blues und Bebop zwei wichtige Säulen Ihrer Arbeit waren und sind... Wahrscheinlich aber greift das zu kurz...

Der Bebop war ganz selten definiert oder eigentlich gar nicht. Außer von Carlo Bohländer, der mir, als ich aus der Gefangenschaft kam, gesagt hat, was den Bebop unterscheidet von der Musik vorher, dem Swing. Das war mir sofort eine Hilfe und ich konnte das umsetzen. Ich war auf dem Instrument noch nicht in der Lage es zu tun, aber im Kopf habe ich sofort verstanden, was das Neue an Bebop ist. Das ist in erster Linie eine rein rhythmische Angelegenheit. Dass dazu noch die so genannte 5th Flat dazu kam als dritte Blue Note, das ist mehr oder weniger unerheblich. Aber im Großen und Ganzen ist das eine rhythmische Komponente. Ich geniere mich nicht den Begriff Genie zu benutzen, mal mindestens für Charlie Parker, für Dizzy Gillespie, die einen derartigen Umschwung in die Musik hineingebracht haben, dass Barry Ulanow, ein amerikanischer Kritiker, damals gesagt hat: Über Nacht war eine große Zahl der Musiker plötzlich altmodisch. Ich würde schon sagen, dass das ein revolutionärer Vorgang war als der Bebop in die Welt kam. Und dass Charlie Parker ein solches Genie auf dem Instrument war, er derartig spielen konnte, mit einer rasenden Geschwindigkeit und einer Musikalität jedenfalls, die völlig außergewöhnlich ist.


Es gibt im Mai in Augsburg wieder eines ihrer längst schon legendären Gesprächskonzerte. Das ist ja eine Auftrittsform, die Sie nicht aus den Augen verlieren wollen. Weil es eine ganz wichtige Aufgabe ist, den Menschen nahe zu bringen, unter welchen Bedrohungen die Musiker in der Nazizeit ihren Jazz in die Öffentlichkeit brachten...


Die Nazis waren gegen den Jazz, aber auch in den Ostblockländern war das damals so, dass der Jazz nicht gerne gesehen war. Da war es die Musik des Imperialismus, des Klassenfeindes. Das ist schon eigentümlich und es lohnt sich darüber nachzudenken warum in totalitären Systemen der Jazz so verachtet war oder gar bekämpft wurde. Eigentlich ist die naheliegendste und wahrscheinlich auch richtigste Erklärung natürlich die, dass der Musiker im Jazz die Chance hat frei zu improvisieren und dass der Musiker sich als Individuum darstellen kann. Bei den Nazis hatte das Individuum keine Rechte. Ich habe gerade wieder die Rede Hitlers an die deutsche Jugend gehört, die damit endet, dass er sagt sie (die Jugend) wird nie wieder frei sein, ihr ganzes Leben lang. Das ist der Schlusssatz in dieser Hitlerrede. Das gehört zu dem Material, das ich auch zitiere, in den Vorträgen, die ich halte wenn ich über die Nazizeit rede.

Das Bewusstsein dafür schaffen bei denen, die die Geschichte so nicht kennen, dabei auch klar machen, welche zusätzliche Motivation, welche Antrieb es war, der Staatsmacht so entgegen zu treten ...

Ich beobachte heute natürlich, dass junge Musiker den Beruf Jazzmusiker erlernen und ausüben wollen weil es ihnen gefällt, weil sie Spaß daran haben, diese Musik lieber haben als andere Musik. Aber ich beobachte natürlich auch, diese Leidenschaftlichkeit, die dadurch entstand, dass man einen solchen Feind im Rücken hatte wie wir mit den Nazis, dass diese Hingabe, diese Opferbereitschaft, dass man vielleicht für seinen Beruf ins Gefängnis gehen musste, heute ja nicht mehr gegeben ist und deswegen natürlich auch das innige Verhältnis zur Musik bei vielen Leuten nicht mehr so vorhanden ist wie es bei der Generation, die noch teilweise im Krieg angefangen hat Jazz zu spielen der Fall war.

Ist in diesem Zusammenhang der Name Mangelsdorff eine Verpflichtung?

Wir leben in einer Demokratie und wenn Demokratie übersetzt Volksherrschaft heißt, dann ist natürlich jeder Bürger aufgerufen, dass er sich beteiligt, dass er mitdenkt und mitfühlt. Insofern ist eine politische Tätigkeit, wenn man einmal an der Politik Schaden genommen hat, eigentlich obligatorisch.

Es ist sicher schön zu sehen, dass es aktuell zwei Filme von jungen Menschen gibt, die sich auch der Geschichte des Jazz in Frankfurt widmen. Die Dokumentation „Carlo, Keep Swingin’“ von Elisabeth Ok hatte gerade ihre gefeierte Premiere beim Lichter Filmfest, eine zweite von Jochen Hasmanis, der sie dafür auch interviewt hat, steht vor der Vollendung...

Es ist natürlich immer vorteilhaft für die Musik, für den Jazz, wenn darüber berichtet wird oder ein Film gemacht wird, das ist doch klar.
 
1. April 2015, 10.38 Uhr
Interview: Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
Fotogalerie:
{#TEMPLATE_news_einzel_GALERIE_WHILE#}
 
 
 
Mehr Nachrichten aus dem Ressort Kultur
Von Verbrechen in der Kolonial- und NS-Zeit bis hin zu Rassismus unserer Tage: Auch im Mai stehen viele Filmpremieren und Klassiker in den Frankfurter Kinos auf dem Programm. Eine Werkschau des Filmkollektivs widmet sich der sowjetischen Kinematografie.
Text: Gregor Ries / Foto: Filmausschnitt aus „Das leere Grab“ © Salzgeber
 
 
 
 
 
 
 
Ältere Beiträge
 
 
 
 
3. Mai 2024
Journal Tagestipps
Pop / Rock / Jazz
  • Low500
    Lotte Lindenberg | 21.30 Uhr
  • Fischer-Z
    Colos-Saal | 20.00 Uhr
  • Witch'n' Monk
    Kreativfabrik Wiesbaden | 20.00 Uhr
Nightlife
  • Fifty/Fifty - Die Party für Best Ager
    Centralstation | 20.30 Uhr
  • La Grande Fortuna
    Fortuna Irgendwo | 22.00 Uhr
  • Electric Grooves
    Tanzhaus West | 23.00 Uhr
Klassik / Oper/ Ballett
  • L'Italiana in Londra
    Oper Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Siegfried Jung und Susanne Endres
    Casals Forum | 19.00 Uhr
  • Ulrich Tukur und das hr-Sinfonieorchester
    Alte Oper | 20.00 Uhr
Theater / Literatur
  • Freies Wort – Freies Europa?
    Literaturhaus Frankfurt | 19.30 Uhr
  • Das Kind in mir will achtsam morden
    Wasserburg | 20.00 Uhr
  • Gifted3
    Gallus Theater | 20.00 Uhr
Kinder
  • Schirn Studio. Die Kunstwerkstatt
    Schirn Kunsthalle Frankfurt | 17.00 Uhr
  • Lichtspielplatz
    DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum | 11.00 Uhr
  • Pop Up-Technothek – MINT zum Anfassen
    KiBi – Zentrale Kinder- und Jugendbibliothek | 15.00 Uhr
Freie Stellen