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Foto: © Detlef Kinsler
Foto: © Detlef Kinsler

Julia Holter in Frankfurt

Vom „Guten“ und „Bösen“

„Aviary“ heißt das neue Album der US-Amerikanerin Julia Holter. Die Voliere steht für Schönheit und Eingesperrtheit zugleich. Am Sonntag stellt die Musikerin ihre komplexe Musik in der Brotfabrik live vor. Ein erstes Highlight des Monats
JOURNAL FRANKFURT: Als „Have You in My Wilderness“ veröffentlicht wurde, wurde es in vielen Musikmagazinen zum „Album des Monats“ gekürt. Der Musikexpress in Deutschland schrieb, dass „Wilderness“ im Vergleich zu früheren Produktionen vergleichsweise „poppig“ sei, um gleich nachzuschieben: aber nicht ohne avantgardistischem Ansatz ....

Julia Holter: Ich weiß nicht, ob meine Musik „Pop” ist oder nicht. Und ob das überhaupt eine Bedeutung hat (lacht). Das ist keine Frage, die auf meine Entscheidungen Einfluss nimmt oder worüber ich viel nachdenke. Es ist immer schwer für einen Künstler zu bestimmen, welche „Art“ von Musik er tatsächlich macht. Ich glaube das sollte ich meinen Zuhörern oder den Journalisten überlassen, das für sich selbst herauszufinden. Wenn ich einen neuen Song angehe, habe ich meist ein Gefühl im Sinn oder eine Gemütsbewegung oder ich überlege mir rhythmische Elemente – soll das Stück schnell werden, pulsierend oder lege ich vorrangig den Fokus auf eine geheimnisvolle, rätselhafte Melodie. Das sind mögliche Ausgangspunkt für mein Schreiben, nicht die Erwägung was für eine Musik das jetzt ist.

Die neue CD „Aviary“ präsentiert Ihre Musik nun jenseits aller Kategorien als ein komplexes Stück Kunst. Zufall oder Intention?

Um dem beizukommen wie „Aviary“ in meinen gesamten Katalog meiner Musik passt: ich glaube all meine Projekte sind unterschiedlich und das „Wilderness“ tatsächlich ein bewusster Versuch war, ein wenig mehr in den engeren Grenzen traditionellen Songwriting zu arbeiten als ich das normalerweise tue. Ich wollte da vertrautere Muster wie Strophe-Refrain-Strophe, suche eine erzählerischen Zugang bei meinen Texten und stelle meine Stimme weiter in den Vordergrund als führendes Element. Auf „Avary“ dagegen kundschafte ich Bereiche aus wo ich einfach mal wieder viel tiefer grabe was sich sehr verwandt anfühlt mit einer früheren Platte von mir, „Ektasis“. Hier übernimmt der Sound die Führungsposition, die Sprache folgt den Klangtexturen, somit sind die Lieder formal sehr unterschiedlich, abwechslungsreich und somit unvorhersehbarer wie ich denke.

Überraschend war zu lesen, dass Ihre Idee von kathartischer Musik Sie zu Improvisationen verleitete, die dann in einer Art Songformat führte, die aber wirkt wie komplett geschriebene, notierte Musik ...

Bei jedem Song ist das tatsächlich anders, nehmen wir zum Beispiel „I Shall Love 1“ – ich wollte etwas machen, das sehr ausdrucksstark und intensiv ist, mit einem starken Rhythmus aber einem eher zynischen Feeling. Also fand ich einen Beat, der cool klang mit seinem Wechsel zwischen Dreier- und Vierertakten. Darüber dann den „I shall love“-Chor zu setzen und ihn immer und immer wieder zu wiederholen, machte für mich wirklich Sinn und hatte tatsächlich einen kathartischen Effekt. Aber dann hörte ich die immanente Art von Stille, plötzlich besinnlich, ein in sich gekehrter Bruch (breakdown) in der Mitte mit den Streichern, improvisiert mit Synthie-String-Sounds. Das klang für mich asymmetrisch, seltsam und spaßig, am Ende habe ich die Improvisation dann fast exakt übertragen und aufgeschrieben, die finale Version des Mittelteiles auf der Platte ist fast exakt wie die erste improvisierte. Dann wusste ich nicht so recht, wie ich aus der Nummer herauskommen sollte, aber dann passierte etwas total Colles als ich „I am waiting for you to come“ sang und das überlappte mit dem „I shall love“, und dieses fast polyrhythmische oder zumindest birhythmische war wirklich schön. Jedenfalls hat so jeder Song seine eigene Geschichte.

Ähnlich wie bei anderen Künstlern/innen wie Björk löst sich hier die alte hierarchische Idee von Klassik ganz oben, dann Jazz, Rock, Pop, Dance, hier auf. Aber statt über Crossover- oder Fusionideen nachzudenken, klingt das fast wie „zeitgenössische klassische Musik“, popkammermusikalisch umgesetzt ... Können Sie sich mit einer solchen Wahrnehmung anfreunden?

Ja. Ehrlich gesagt: für mich, als ich aufwuchs, gab es nie die eine Musik, die ich mir anhörte. Musik war immer und überall da für mich, also fühle ich mich nicht in einer ganz bestimmten Musik verwurzelt. Ich studierte klassische westliche Musik auf unterschiedlichste Weise, aber das war für nie der zentrale Punkt geschweige denn, dass ich behaupten könnte, ich hätte Klassik wirklich besser verstanden als jede andere Art von Musik.

Im Info zu “Aviary” steht, dass man die neuen Songs auch als Metapher für das Leben 2018 verstanden werden könnten, das voll es von politischen Skandalen und Umweltskandalen. Wie kann man solch eine Kakophonie in etwas Liebenswertes, das Chaos in Schönheit übersetzen?

Ich glaube die Dualität dessen, was wir „Gleichklang“ und „Missklang“ nennen, war etwas, das mich beschäftigte als ich an den Songs arbeitete. Deshalb heißt das Album ja auch „Aviary“ (Voliere, Vogelhaus), was ein Bild hervorrufen soll, das gleichermaßen Harmonie, aber auch Angst und das Gefühl von Eingesperrtsein assoziiert mit wunderschönen wie erschreckenden Vogelklängen. Oft mag ich den Klang von Beiden, dem „Guten“ und dem „Bösen“, diese Zweiteilung und oft feine Linie zwischen dem Unterschiedlichen wo man oft nur schwer differenzieren kann zwischen Schönheit und Hässlichkeit. Ich mag das einfach und ist das nicht genau wie das Leben (lacht).

Wichtig wäre es zu erfahren, wie die neue Musik auf die Bühne gebracht wird. Wird sie da anders klingen, in welchem Line-up wird sie präsentiert und wie werden die alten Liedern eingebunden?

Wir werden sicherlich einen Mix aus alt und neu spielen, aber ich bin so begeistert davon, die neuen Songs zu spielen, dass wir sicher den Fokus darauf legen werden. Die Band besteht tatsächlich fast aus den selben Spielern wie auf der Platte, also wird der Live-Sound sehr ähnlich sein wie auf der Produktion, obwohl wir natürlich immer auch variieren werden, um alles unberechenbar und frisch zu halten. Wir haben ja schon einige Shows gespielt und die waren wirklich wild und haben allen viel Freude bereitet.
 
10. November 2018, 16.21 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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