2000 Jahre äthiopische Kunst im Ikonenmuseum

Favorisieren Teilen Teilen

red /

Äthiopien ist mehr als "nur" die
ursprüngliche Heimat des Kaffees, mehr als der Nachrichtenschauplatz größter
Armut und kriegerischer Auseinandersetzungen. Es ist vor allem ein uraltes
christlich geprägtes Gebiet. Bereits im 1. Jahrhundert nach Christus
entstanden die ersten Gemeinden, im Jahr 330 hat König Ezana von Aksum das
Christentum offiziell anerkannt. Äthiopische Kunst ist sakrale Kunst:
Ikonen, Wandbilder und kirchliches Inventar. "Willst Du Äthiopien kennen
lernen, öffne die Tür zu seiner Kirche", sagt daher ein äthiopisches
Sprichwort. Das Ikonen-Museum Frankfurt wirft ab 27. November einen Blick
auf "2000 Jahre Christentum in Äthiopien". "Steh auf und geh nach Süden"
heißt die Ausstellung, deren Titel der Bibel entnommen ist. Die Taufe des
ersten Äthiopiers durch den Apostel Philippus beginnt mit diesen Worten; der
fromme Mann war der Kämmerer der Königin Kandake.

Noch sind die Vorbereitungen für die Ausstellung im Gange, liegen die
wertvollen, überwiegend aus Privatsammlungen stammenden Exponate verstreut
und gelagert auf säurefreiem Papier in den vielen Vitrinen. Teile der von
Ausstellung zu Ausstellung in den Farben wechselnden Wandverkleidung sind
bereits verankert, andere lehnen noch an den Wänden des Museums. Die Wahl
fiel dieses Mal auf ein Lindgrün, in Anlehnung an die in Äthiopien
vorherrschende Landwirtschaft. Typisch für originär äthiopische Ikonenkunst,
sagt Annegret Marx, sei das "flächige Arbeiten", das "Setzen klarer,
abgegrenzter Farben ohne Schattierungen". Die Kuratorin der Ausstellung holt
vorsichtig ein winziges Ikonenamulett aus einer Vitrine. Sie öffnet es, zum
Vorschein kommt ein langer, wie eine Ziehharmonika gefalteter
Papierstreifen. Eine Seite wurde mit Beschwörungsgebeten beschrieben, die
andere mit den Rezepturen von Heilmitteln.


Die Beschäftigung mit der äthiopischen Kultur hat in Frankfurt Tradition.
1830 brach der Naturwissenschaftler und Afrikaforscher Eduard Rüppell
(1794-1884) nach Äthiopien auf. Drei Jahre bereiste der Bankierssohn und
spätere zweite Direktor der Senckenbergischen Naturwissenschaftlichen
Gesellschaft das Land. Angeregt zu eigenen Forschungen hatte ihn die Lektüre
von Hiob Ludolfs "Grammatik der äthiopischen Sprache". Auch Hiob Ludolf
(1624-1704) war ein Frankfurter. Er begründete die Äthiopistik; mit seiner
Grammatik eignete sich Rüppell die Sprache Ge'ez an und konnte so mit
äthiopischen Kirchengelehrten ins Gespräch kommen. Noch heute wird die alte,
aus dem täglichen Leben verschwundene Kirchensprache während der
äthiopischen Gottesdienste in all jenen Ländern gesprochen, in die es
Tausende von äthiopischen Flüchtlingen nach dem Herrschaftsende von Kaiser
Haile Selassie zog. Auch die in Frankfurt lebenden Äthiopier christlichen
Glaubens sprechen sie im Rahmen ihrer Liturgie. Hiob Ludolfs "Grammatica
Aethiopica" (1702) wird in der Schau ebenso zu sehen sein wie seine
"Historia Aethiopica" aus dem Jahre 1681. Rüppell werden die
Ausstellungsbesucher über eine Daguerotypie, ein Selbstporträt, begegnen.
Außerdem zeigt die Schau die Karte eines Teils von Abessinien, welche
Rüppell nach eigenen astronomischen Berechnungen mit Eintragungen versehen
hat, sowie zwei Handschriften aus seiner Äthiopiensammlung, die er der
Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt vermachte.

Alexandra Neubauer, Kuratorin und Restauratorin, enthüllt zwei in
hauchzartes, knisterndes Papier gehüllte Buchseiten einer illustrierten
Handschrift aus dem 17. Jahrhundert. Ein Bild zeigt den Heiligen Georg mit
Drachen. Er trägt schwarze, vom Kopf drahtig abstehende Afro-Locken. "Es ist
die Kriegerfrisur der Äthiopier", sagt Annegret Marx "und es zeigt, dass sie
in ihren religiösen Darstellungen auch das ganz reale Leben abgebildet
haben". Eine kleine Umhänge-Ikone aus Olivenholz ist zu beiden Seiten
aufklappbar, eines der beiden Bildmotive zeigt den gekreuzigten Jesus - und
Maria hält den Kopf schräg, ihre Hand umfasst die Stirn: "Eine typische
Trauergeste der Äthiopier". Einzelne Ikonenbilder wurden von venezianischen
Malern geschaffen, die in Äthiopien lebten. Man erkennt sie zum Beispiel an
den Engeln. Oder an Motiven wie dem Kind, das die Weltkugel hält.


Einen weiteren Ausstellungsschwerpunkt neben den Ikonen bilden die Kreuze
der Äthiopier: kleine, große, schlichte, edle. Einfach gehaltene Handkreuze
etwa, die die Priester mit sich führten und von den Gläubigen geküsst wurden
- das kleinste misst gerade einmal 8,5 Zentimeter - sowie imposante
Vortragekreuze aus Bronze oder Messing, die bei festlichen
Weihrauchzeremonien zum Einsatz kamen, und große Tanzkreuze aus Holz. Diese
sind aufwändig geschnitzt und wurden für den liturgischen Tanz benutzt, das
größte ist 78 Zentimeter lang. Ein besonders filigran gearbeitetes
Vortragekreuz aus Messing hat ein opulentes Flechtwerkmotiv. "Ursprünglich",
erklärt Annegret Marx, haben die Äthiopier, ein Volk, das von der
Landwirtschaft lebt, ihre Kreuze aus Gras und Leder geflochten". Zierlich
erscheinen einige Eisenhandkreuze, die auf ungewöhnlich langen Stielen
sitzen. Auch hier kann Annegret Marx das Rätsel der Gestaltung lösen: "Die
Priester saßen auf dem Pferd. Die langen Kreuzstiele waren ziemlich
praktisch, denn so mussten sie nicht absteigen, wenn die Gläubigen das Kreuz
küssen wollten".


Neben den vielen historischen Exponaten zeigt die Schau im Frankfurter
Ikonen-Museum aber auch Beispiele der Gegenwart. Noch ruht das riesige
Mälke-Gemälde eines jungen zeitgenössischen äthiopischen Künstlers auf einer
Luftpolsterfolie. Es setzt sich aus vielen kleinen Bildern, wie bei einer
Bildergeschichte, zusammen. Eine Mälke ist eine Hymne, mit denen gläubige
Äthiopier die leibliche Existenz ihrer Heiligen, zu denen sie "ein besonders
inniges Verhältnis" pflegten, in einzelnen Schritten besingen. "Der
Künstler", sagt die Kuratorin, "hat den Körper des Heiligen, in diesem Fall
ist es der Engel Gabriel, gewissermaßen in Stücke geschnitten".


Text: Annette Wollenhaupt/ PIA Stadt Frankfurt


Die Ausstellung "Steh auf und geh nach Süden. 2000 Jahre Christentum in
Äthiopien" im Ikonen-Museum (Brückenstraße 3-7) Frankfurt läuft vom 27. November bis 2. März. Eröffnung heute Abend um 18 Uhr.


Anzeige
Anzeige

Mehr Stadtleben-News

Anzeige
Anzeige

Ausgeh-Tipps

 
Anzeige
Anzeige

Kalender

Anzeige