Black Jack, Nutten und Märchen

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Nils Bremer /

Der Grimm-Code: Ein urbaner Märchenthriller von Simon Solberg.

... und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende.
Dornröschen

In der Redaktion hatte ich noch gelästert. Meine Güte, diese Schmidtstraße 12, so elendig weit draußen, da im Westen von Frankfurt. Gut, dass der Reese das Ding dann bald dichtmacht, tönte ich. Und dass die Straßenbahnfahrt dorthin ja eigentlich schon Theater genug sei, weil man ja quasi das volle Leben geboten bekommt in diesen Linien Richtung Mönchhofstraße. Alles Quatsch. Die Schmidtstraße ist total großartig. Ein wachgeküsstes, abgefucktes Kleinod. Zunächst mal: die Straßenbahnfahrt ist schon deswegen toll, weil man die Fahrgäste, die auch zur Aufführung des Grimm-Codes wollen, schon auf Anhieb herausdeuten kann (am einfachsten war das für mich bei dem Typ, der aussah wie Jonathan Franzen. Vielleicht war es auch Jonathan Franzen, aber was interessieren den die Brüder Grimm)? Von der Straßenbahnhaltestelle muss man noch mal zehn Minuten laufen und dann gibt es dieses großartige Gebäude, verwinkelt und verwunschen liegt es da mitten in den Badlands Frankfurts. Nach der Kasse ein schummriger Gang, gefüllt mir DDR-Devotionalien und Teil der Installation zu "Zeit zu lieben Zeit zu Sterben", danach dann der Bühnenraum, mit seinen Holzdielen, es läuft schon leise Musik, die Bar schenkt Biobier aus und Brezelen und Bionade, es ist alles sehr cool und trägt industriellen Charme. Die Szenen für den Film „Der Grimm-Code“ werden und wurden an verschiedenen Orten in Frankfurt aufgezeichnet und sollen am 29. Mai in der Schmidtstraße als Neunzigminüter Premiere feiern. Zuvor zeigte man dort gestern schon einmal am ersten von vier Abenden Sequenzen, mit den Ensemble-Mitgliedern des Schauspiels improvisiert – auf der Jagd nach den mythischen Figuren der Märchengroßmeister Jacob und Wilhelm Grimm. zeitzulieben Der Gang zur Bühne ist geprägt von der Installation zu Fritz Katers "Zeit zu lieben Zeit zu sterben". Wie im Kino beginnt das Stück mit dem abgewandelten Logo der 20th Century Fox ("8 Jahre Schauspiel Frankfurt", steht da), dann gehen Sebastian Schindegger und Stefko Hanushevsky ("Es gibt keine kleinen Rollen, nur kleine Schauspieler") als Eisverkäufer, sie wechseln die Rollen im Flug, spielen schon ein paar fiktive Trailer und dann, im Hauptfilm, die Gebrüder Grimm. "Sie wissen nicht, was sie tun - und wenn sie es wissen: warum tun sie es dann", brummt Özgür Karadeniz als Erzähler ins Mikrofon. Zwischen den Passagen werden die fertigen Teile des Films geschnitten, es geht alles sehr schnell, die Grimms rauschen über die Bühne, spielen Prinzessin und Knechte und Praktikantenknechte, bekommen sich darüber in die Haare, wie man wohl eine Dornenhecke spielt und bekommen einen bescheidenen Lohn. Sind Märchen denn heute nichts mehr wert? MIt ihrem Wohnmobil stranden sie im Bahnhofsviertel, einer sucht sich einen Job, der andere jobbt in einem Handyladen und glaubt an die Zukunft der Märchen als großes Eventtheater ("Märchen sind das neue Schwarz. Ich werde reich. Die ganze grrrroße Welt wirrrd mirrr zu Füßen liegen. Black Jack! Nutten! Millionen!"). Und beide gelangen sie schließlich an den Punkt, wo sie merken: diese Märchen, die so jahrhundertealt scheinen, die sind ganz nah bei uns, die sind immer noch aktuell, die könnten eine Zukunft haben. Aschenputtel in Frankfurt mit seinen bösen Stiefschwestern - gleich dort an der Bushaltestelle. Der Typ, der eine Oma ins Altenheim locken will: der böse Wolf, ist doch klar. Wie es mit den beiden Hanauern weitergeht? Fortsetzung folgt in der Schmidtstraße am 6. Mai. Und am 30. Mai, wenn der 90-Minüter fertig ist und gezeigt wird, gibt es eine vergnügliche Party im Anschluss, weil dann auch die Schmidtstraße endgültig geschlossen wird. Und das ist gar kein glückliches Ende. Fotos: Sebastian Hannack; nil


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