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Handwerk lebt
Die Letzten ihrer Zunft: Schuhmacherei Lenz im Bahnhofsviertel
Einige Betriebe halten seit Jahrzehnten die Stellung und profitieren vom neuen Bewusstsein der Nachhaltigkeit – so auch die Schuhmacherei Lenz im Frankfurter Bahnhofsviertel. Teil 1 unserer Reihe über alte und neue Berufe.
Von Jahr zu Jahr werden es weniger: Die Zahl der Schuhmacherbetriebe in Hessen hat sich innerhalb der letzten 20 Jahre nahezu halbiert. Auch finden sich kaum noch junge Menschen, die diesen Beruf lernen möchten. Dabei ist die Nachfrage nach Dienstleistungen rund um den Schuh durchaus da, wie Alexander Dohn weiß, der die alteingesessene Schuhmacherei Lenz im Frankfurter Bahnhofsviertel leitet. „Die Menschen möchten wieder nachhaltiger leben, das merken wir an der steigenden Zahl der Schuhreparaturen“, erzählt er.
In seinem Geschäft in der Münchener Straße sitzen seine drei Mitarbeiter und reparieren Absätze, unter ihnen auch Viet Paam; er hat letztes Jahr als einziger in ganz Hessen mit einer Ausbildung zum Schuhmacher begonnen. „Ich wollte etwas Handwerkliches machen, mit Leder arbeiten und habe mich für Schuhe interessiert“, zählt der 20-Jährige die Gründe für seine Berufswahl auf. Er dachte nicht, damit zu einer Besonderheit zu werden. Stutzig wurde er erst, als seine Lehrer fragten, ob es eine solche Ausbildung überhaupt noch gebe.
Ausbildung zum Schuhmacher: „Auf dem Stundenplan steht auch Anatomie“
Während sein 32 Jahre alter Chef Dohn in seiner Lehrlingszeit noch in Frankfurt in die Berufsschule gehen konnte, gibt es heute in ganz Deutschland nur noch drei solcher Einrichtungen: in München, Lübeck und Gotha. Grund ist die äußerst geringe Nachfrage nach dieser Ausbildung. 2022 hatten bundesweit gerade mal 33 junge Menschen ihre Ausbildung begonnen, neuere Zahlen lagen dem Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin nicht vor.
Azubi Paam muss daher alle drei Monate für jeweils zwei bis vier Wochen zum Blockunterricht nach Thüringen fahren, dort sitzt er als einziger Schuhmacher-Lehrling seines Jahrgangs notgedrungen bei den angehenden Orthopädieschuhmachern und lernt dabei auch einiges, was er für seinen Beruf gar nicht brauchen wird. Mittlerweile pendelt er routiniert zwischen Gotha und seinem Zuhause in Rödelheim, wo er mit seinen Eltern lebt. In seiner Ausbildung lernt er zum Beispiel, wie Absätze und Sohlen zugeschnitten, Einzelteile geklebt, genagelt oder genäht werden. „Auf dem Stundenplan steht auch Anatomie, zum Beispiel der Aufbau der menschlichen Gelenke“, berichtet er.
Ausbildung zum Schuhmacher: spärliche Bezahlung und Blockunterricht in weit entfernten Berufsschulen
Warum es so wenige Azubis gibt, kann sich Paam nicht erklären. Vielleicht liege es an der spärlichen Bezahlung?, rätselt der junge Mann. Laut Empfehlung des Zentralverbands des Deutschen Schuhmacher Handwerks in Leipzig sollen Azubis im ersten Lehrjahr einen Monatslohn von 620 Euro brutto erhalten, die Summe steigert sich bis auf 837 Euro im dritten Lehrjahr. „Ich kann mir vorstellen, dass der Blockunterricht in den weit entfernten Berufsschulen auch viele abhält“, ergänzt sein Chef Dohn. Er erhalte immer mal wieder Bewerbungen von Erwachsenen, die auf Schuhmacher umlernen wollten. Diese könnten jedoch zum Beispiel wegen ihrer Familien oder Haustiere nicht so lange weg von zu Hause.
Der große Traum von Paam ist die Herstellung von Maßschuhen, dafür ist er bei der Schuhmacherei Lenz eigentlich an der richtigen Adresse, sie hat sich mit diesem
traditionsreichen Handwerk einen Namen gemacht. Doch in der Corona-Zeit brach die Nachfrage ein, erst langsam erholt sie sich. „Das war heftig“, blickt Dohn vier Jahre zurück. Damals sackte der Umsatz innerhalb eines Monats um 90 Prozent ab. Doch letztlich war auf die Stammkunden Verlass: Sie schickten ihre reparaturbedürftigen Schuhe einfach per Post. Diesen Service bietet die Schuhmacherei nach wie vor an, im Schnitt kommt jeden Tag ein Paket Schuhe.
Dohn: „Wenn Männer erst einmal ‚ihren‘ Schuh gefunden haben, haben sie eine hohe emotionale Bindung zu ihm“
Die Schuhmacherei macht ihren größten Umsatz mit den Reparaturen, zudem verkauft sie etwa hochwertige Schuhcreme, Einlagen und Schnürsenkel. „Die Beratung ist ganz wichtig“, weiß Dohn. Am liebsten ist es ihm, wenn die Kunden die Schuhe mitbringen, dann kann er sich diese anschauen und eine Schuhcreme oder Einlage empfehlen. Maßschuhe, die ab einem Preis von 2500 Euro erhältlich sind und laut Dohn mindestens 25 Jahre lang halten, werden wie vor der Pandemie hauptsächlich von Männern nachgefragt. Die meisten verlangt es nach klassischen Modellen mit einem Hauch an individueller Note, wie den Initialen oder verschiedenfarbige Leder.
„Wenn Männer erst einmal ‚ihren‘ Schuh gefunden haben, haben sie eine hohe emotionale Bindung zu ihm“, weiß Dohn. „Frauen trumpfen eher mit der Menge an Schuhen auf.“ Laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov besitzen Frauen in Deutschland rund 17 Paar Schuhe und damit doppelt so viele wie Männer. Die meisten Menschen würden allerdings auch Schuhe kaufen, die ihnen nicht richtig passten, hieß es vom Handwerkerverband.
Info
Der Beruf des Schuhmachers ist über 7000 Jahre alt und stammt vom Gerber ab, lange Zeit stellten diese Handwerker das von ihnen genutzte Leder selbst her. Etwa seit dem Jahr 1870 werden Schuhe deutlich preiswerter in Fabriken produziert, Schuhmacher sind seitdem fast nur noch für Reparaturen zuständig. Die Schuhmacherei Lenz war mitten im Zweiten Weltkrieg von der gleichnamigen Familie gegründet worden, Sitz war bereits damals das Geschäft in der Münchener Straße. Die dritte Generation musste jedoch aufgeben – es gab keinen Nachfolger mehr. Der Mitarbeiter Jürgen Dohn übernahm 2011 das Geschäft, nun führt es sein Sohn Alexander. Insgesamt gab es 2022 in Hessen rund 140 Schuhmacherbetriebe, etwa 50 weniger als noch zehn Jahre zuvor. Wie viele sich davon in Frankfurt befinden, ist der Stadtverwaltung nicht bekannt. Auch die Zahl der Azubis ging stark nach unten: 2013 waren es in Hessen noch 20, zehn Jahre später gab es nur noch einen.
In seinem Geschäft in der Münchener Straße sitzen seine drei Mitarbeiter und reparieren Absätze, unter ihnen auch Viet Paam; er hat letztes Jahr als einziger in ganz Hessen mit einer Ausbildung zum Schuhmacher begonnen. „Ich wollte etwas Handwerkliches machen, mit Leder arbeiten und habe mich für Schuhe interessiert“, zählt der 20-Jährige die Gründe für seine Berufswahl auf. Er dachte nicht, damit zu einer Besonderheit zu werden. Stutzig wurde er erst, als seine Lehrer fragten, ob es eine solche Ausbildung überhaupt noch gebe.
Während sein 32 Jahre alter Chef Dohn in seiner Lehrlingszeit noch in Frankfurt in die Berufsschule gehen konnte, gibt es heute in ganz Deutschland nur noch drei solcher Einrichtungen: in München, Lübeck und Gotha. Grund ist die äußerst geringe Nachfrage nach dieser Ausbildung. 2022 hatten bundesweit gerade mal 33 junge Menschen ihre Ausbildung begonnen, neuere Zahlen lagen dem Zentralverband des Deutschen Handwerks in Berlin nicht vor.
Azubi Paam muss daher alle drei Monate für jeweils zwei bis vier Wochen zum Blockunterricht nach Thüringen fahren, dort sitzt er als einziger Schuhmacher-Lehrling seines Jahrgangs notgedrungen bei den angehenden Orthopädieschuhmachern und lernt dabei auch einiges, was er für seinen Beruf gar nicht brauchen wird. Mittlerweile pendelt er routiniert zwischen Gotha und seinem Zuhause in Rödelheim, wo er mit seinen Eltern lebt. In seiner Ausbildung lernt er zum Beispiel, wie Absätze und Sohlen zugeschnitten, Einzelteile geklebt, genagelt oder genäht werden. „Auf dem Stundenplan steht auch Anatomie, zum Beispiel der Aufbau der menschlichen Gelenke“, berichtet er.
Warum es so wenige Azubis gibt, kann sich Paam nicht erklären. Vielleicht liege es an der spärlichen Bezahlung?, rätselt der junge Mann. Laut Empfehlung des Zentralverbands des Deutschen Schuhmacher Handwerks in Leipzig sollen Azubis im ersten Lehrjahr einen Monatslohn von 620 Euro brutto erhalten, die Summe steigert sich bis auf 837 Euro im dritten Lehrjahr. „Ich kann mir vorstellen, dass der Blockunterricht in den weit entfernten Berufsschulen auch viele abhält“, ergänzt sein Chef Dohn. Er erhalte immer mal wieder Bewerbungen von Erwachsenen, die auf Schuhmacher umlernen wollten. Diese könnten jedoch zum Beispiel wegen ihrer Familien oder Haustiere nicht so lange weg von zu Hause.
Der große Traum von Paam ist die Herstellung von Maßschuhen, dafür ist er bei der Schuhmacherei Lenz eigentlich an der richtigen Adresse, sie hat sich mit diesem
traditionsreichen Handwerk einen Namen gemacht. Doch in der Corona-Zeit brach die Nachfrage ein, erst langsam erholt sie sich. „Das war heftig“, blickt Dohn vier Jahre zurück. Damals sackte der Umsatz innerhalb eines Monats um 90 Prozent ab. Doch letztlich war auf die Stammkunden Verlass: Sie schickten ihre reparaturbedürftigen Schuhe einfach per Post. Diesen Service bietet die Schuhmacherei nach wie vor an, im Schnitt kommt jeden Tag ein Paket Schuhe.
Die Schuhmacherei macht ihren größten Umsatz mit den Reparaturen, zudem verkauft sie etwa hochwertige Schuhcreme, Einlagen und Schnürsenkel. „Die Beratung ist ganz wichtig“, weiß Dohn. Am liebsten ist es ihm, wenn die Kunden die Schuhe mitbringen, dann kann er sich diese anschauen und eine Schuhcreme oder Einlage empfehlen. Maßschuhe, die ab einem Preis von 2500 Euro erhältlich sind und laut Dohn mindestens 25 Jahre lang halten, werden wie vor der Pandemie hauptsächlich von Männern nachgefragt. Die meisten verlangt es nach klassischen Modellen mit einem Hauch an individueller Note, wie den Initialen oder verschiedenfarbige Leder.
„Wenn Männer erst einmal ‚ihren‘ Schuh gefunden haben, haben sie eine hohe emotionale Bindung zu ihm“, weiß Dohn. „Frauen trumpfen eher mit der Menge an Schuhen auf.“ Laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov besitzen Frauen in Deutschland rund 17 Paar Schuhe und damit doppelt so viele wie Männer. Die meisten Menschen würden allerdings auch Schuhe kaufen, die ihnen nicht richtig passten, hieß es vom Handwerkerverband.
Der Beruf des Schuhmachers ist über 7000 Jahre alt und stammt vom Gerber ab, lange Zeit stellten diese Handwerker das von ihnen genutzte Leder selbst her. Etwa seit dem Jahr 1870 werden Schuhe deutlich preiswerter in Fabriken produziert, Schuhmacher sind seitdem fast nur noch für Reparaturen zuständig. Die Schuhmacherei Lenz war mitten im Zweiten Weltkrieg von der gleichnamigen Familie gegründet worden, Sitz war bereits damals das Geschäft in der Münchener Straße. Die dritte Generation musste jedoch aufgeben – es gab keinen Nachfolger mehr. Der Mitarbeiter Jürgen Dohn übernahm 2011 das Geschäft, nun führt es sein Sohn Alexander. Insgesamt gab es 2022 in Hessen rund 140 Schuhmacherbetriebe, etwa 50 weniger als noch zehn Jahre zuvor. Wie viele sich davon in Frankfurt befinden, ist der Stadtverwaltung nicht bekannt. Auch die Zahl der Azubis ging stark nach unten: 2013 waren es in Hessen noch 20, zehn Jahre später gab es nur noch einen.
22. Mai 2024, 12.17 Uhr
Sabine Maurer
Sabine Maurer
Die gebürtige Hessin studierte BWL, mit dem Diplom in der Tasche machte sie zunächst ein Volontariat und sich danach als Journalistin selbstständig. Seit Frühjahr 2024 für die Klassikseiten im JOURNAL verantwortlich. Mehr von Sabine
Maurer >>
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