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Joschka Fischer bei Familie Montez

Frankfurter Heimatgefühle und die Angst um Europa

Zum Jahresempfang hatten sich die Frankfurter Grünen keinen Geringeren als den ehemaligen Außenminister und Vizekanzler Joschka Fischer als Gastredner eingeladen. Es folgte eine Ode an Frankfurt und an ein starkes Europa.
Wenn Joschka Fischer beim Jahresempfang der Frankfurter Grünen auftritt, dann lassen sich diese Chance auch Mitglieder anderer Parteien nicht nehmen. Das Event am Montagabend in den Bögen der Honsellbrücke bei der Familie Montez war gut besucht und die Stimmung heiter, auch wenn die mitunter flammende Ansprache des ehemaligen Außenministers (1998-2005) einen ernsten Hintergrund hatte, wurde sie nicht ohne Humor vorgetragen. „Ich bin Frankfurt aufs Engste verbunden, aber manchmal erkenne ich mein Frankfurt nicht wieder“, sagte der 70-jährige Politiker mit der markant knarzigen Stimme, als er in Mokassins, Jeans, Polohemd und Jackett gekleidet den Kunstraum betrat. „In grauer Vorzeit bin ich hier nachts Taxi gefahren. Da war das Ostend immer besonders herausfordernd, eine ständige Tatortkulisse, wenn man so will.“ Die Grünen in Frankfurt hätten seit damals viel bewegt, sich in vielen Dingen durchgesetzt, wo andere den Untergang des Wirtschaftsstandorts prophezeit hätten. Es sei ein Fehler gewesen in den 1980er-Jahren das Wohnungsprogramm herunterzufahren. Das habe damals dem Zeitgeist entsprochen, müsse nun aber dringend korrigiert werden. In Frankfurt habe man es nun oft mit einem Zielkonflikt zu tun: Wohnraum oder Verlust von Grünfläche. Das müsse man austarieren, es könne ja auch nicht sein, dass die Stadt nur den Betuchten zugänglich sei. „Wir wollen keine Städte, die auf sozialer Segregation basieren!“
Frankfurt ist Fischer nah. „Als ich 1968 herkam, hatte ich erstmals ein richtiges Heimatgefühl“, sagt der aus Baden-Württemberg stammende Politiker und noch heute komme er, wenn er nach Frankfurt fahre nach Hause. „Ich lebe in Berlin und will da auch nicht weg, aber Wurzeln geschlagen habe ich da nicht.“

Über Europa
Aber Fischer hat ein Anliegen: Europa. Darüber hat er auch ein Buch geschrieben. „Wir erleben die radikale Veränderung der Weltordnung.“ Die These halte sich alle wollten nur unser Geld. Dabei sei Deutschland weiß Gott nicht der Verlierer Europas. Nach dem Krieg habe sich Deutschland zu einer stabilen Demokratie und Marktwirtschaft entwickelt, in einer Ordnung, die von den USA entwickelt wurde. Nun möge das Donald Trump nicht mehr. Er zettele lieber einen Handelskrieg mit China an. Ein Kurs, den Fischer nicht unterstützen kann.

Es gebe die „hässlichen Zwillinge Nationalismus und Protektionismus.“ Wo das erste sei, sei das zweite nicht weit. An die Grünen appellierte Fischer, nicht darauf zu schauen, wo man die Mehrheiten abfischen könne, sondern danach zu entscheiden, was richtig sei. „Was wir gegenwärtig erleben, ist die Bedrohung des Friedens. Das Drama besteht darin, dass die stärkste macht der Welt einen Präsidenten hat, der die von der USA geschaffene Ordnung nicht unterstützt.“ Mit Orbán, Kacynski und Erdogan erlebe man Schritt für Schritt, wie sich Länder von der unabhängigen Justiz und von der Gewaltenteilung verabschiedeten und eine totalitäre Entwicklung durchliefen. „Die Frage einer Demokratie ist: Wenn Minderheiten nicht mehr sicher sein können, dass ihre Rechte geschützt sind, dann ist die Mehrheit in einer Demokratie nicht mehr viel wert.“

Auf Minderheiten achten
Fischer befürchtet, dass die transatlantische Verbindung zerbricht. Auch dass der Nationalismus wieder auf dem Vormarsch ist, beschäftigt Fischer: „Das könnte mich narrisch machen!“. Wie hat denn Frankfurt nach 1945 ausgesehen?“ Man kann sich vielleicht in anderen Ländern Illusionen über Nationalismus machen, aber nicht in Deutschland! Es war der deutsche Nationalismus, der im März 1945 die Zerstörung der Lebensgrundlage des deutschen Volkes befohlen hat. Aber warum sollte das bei einem nächsten Mal besser werden? Wer redet wie ein Nazi, wer denkt wie ein Nazi, na, wie wollen wir ihn nennen?“. Fischer fordert: „Wir müssen für den Schutz von Minderheiten einstehen. Das sind die Lehren, die aus der Geschichte gezogen wurden.“ Man müsse Prinzipien haben und sie beim Schielen auf Mehrheiten nicht über Bord werfen. „Dieser neue Nationalismus: Man muss die demokratische Legitimation akzeptieren, aber man muss beinhart dagegen argumentieren!“

Angela Merkel habe angesichts der humanitären Notsituation, die sich 2015 aufgetan habe, Großartiges geleistet. Vielleicht wurden auch Fehler gemacht oder zu wenig erklärt. Für Fischer ist jedoch klar: „Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft!“ Aber das sei eine „harte Veranstaltung“. „Wenn das funktionieren soll, dann muss das recht durchgesetzt werden. Das bringt Konflikte mit sich und Individuen, die man nicht unbedingt haben will. Das war aber schon immer so.“ Mit der Definition, was Deutsch sei, habe er es nicht so. Seine deutsche Leitkultur sei schlicht das Grundgesetz. „Daran muss man sich halten und wer hier lebt, muss wissen, Jungs und Mädels werden hier gleich erzogen. An diesem Punkt bin ich von extremer Dickschädeligkeit.“ Politik müsse man bei nicht hinnehmbaren Zuständen handeln. „Unser Land war über Jahrhunderte hinweg ein Einwanderungsland. Wer etwas anderes erzählt, hat von der deutschen Geschichte keine Ahnung.“ Fischers Familie sei selbst aus Ungarn eingewandert.

Angst um die Zukunft
Fischer sei ja schon 70, Ihm könne es egal sein, wie es weitergeht, aber er habe vier Enkelkinder. „Es lässt mich nicht kalt, was mit diesem Land wird. Ohne Europa, was soll aus Deutschland werden?“ Im 21. Jahrhundert seien es China, Indien und die USA, die sagen werden, wo es langgehe. „Für uns Europäer ist die Frage, ob wir stark genug sind. Deutschland ist wirtschaftlich ein starkes Land, aber politisch hat es ein eher schmales Kreuz.“ Frankfurt, im Zentrum Europas gelegen, lebe vom Handel und Wandel Europas, auf diese Stadt komme eine besondere Verantwortung zu, endete Fischer und „Frankfurt wäre nichts ohne seine Grüne Soße. Und das geht an die FDP: Es gehören auch hartgekochte, gelbe Eier rein.“
 
19. Juni 2018, 06.54 Uhr
Nicole Brevoord
 
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig – Mehr von Nicole Brevoord >>
 
 
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