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Foto: Bündnis gegen Depression Frankfurt am Main e.V./Facebook
Foto: Bündnis gegen Depression Frankfurt am Main e.V./Facebook

Volkskrankheit Depression

„Es ist schwierig, kurzfristig einen Psychotherapeuten zu finden“

Depressionen sind in Deutschland die am weitesten verbreitete psychische Erkrankung. Das JOURNAL FRANKFURT sprach mit Johannes Moog vom Bündnis gegen Depression Frankfurt am Main e.V. über nach wie vor nötige Aufklärung und fehlende Fachärzte.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Moog, beginnen wir mit den Zahlen. Wie viele Menschen leiden in Deutschland derzeit an einer Depression?

Johannes Moog: Wir gehen in Deutschland aktuell von vier bis fünf Millionen Depressionskranken aus. Studien zufolge erlebt jeder fünfte bis sechste Mensch in Deutschland einmal im Leben eine depressive Episode. Das heißt, dass man nicht mal eben traurig ist, etwa anlassbezogen nach einem Trauerfall oder einer Trennung. Eine Depression unterscheidet sich von einer normalen Stimmungsschwankung. Das können Depressive eigenen Aussagen zufolge auch gut unterscheiden.

Volkskrankheit Depression: Depressionen sind die in Deutschland am weitesten verbreitete psychische Erkrankung.

Das stimmt. Wobei es auch wichtig ist festzuhalten, dass die Anzahl von Depressionsfällen in den vergangenen Jahren nicht nennenswert gestiegen sind. Man liest ja immer wieder mal, dass die Menschen depressiver werden, das können wir aber so nicht nachvollziehen. Wir stützen uns bei dieser Beurteilung auf Studien von Universitäten und Uniklinken sowie auf Daten der Krankenkassen. Es wird aber heute zum Glück viel mehr über Depressionen gesprochen. Der Tod des Fußballspielers Robert Enke im Jahr 2009 war in diesem Zusammenhang ein Meilenstein. Von da an wurde auch von den Medien vermehrt zum Thema berichtet. Das ist aber ein kontinuierlicher Prozess. Das Bündnis gegen Depression wurde bereits im Jahr 2003 gegründet, und auch davor gab es schon Betroffenenverbände.

Wo setzt das Bündnis gegen Depression an?

Unser Hauptziel ist die Aufklärung und die Entstigmatisierung der Krankheit. Depression ist keine Schwäche und keine Persönlichkeitseigenschaft, sondern behandelbar. Wir möchten das vermitteln, indem wir in der Öffentlichkeit präsent sind, etwa durch Infostände oder Lesungen. Letztlich tragen wir dazu bei, dass Menschen einen ersten Schritt machen und sich in Behandlung begeben. Diese Schwelle soll so niedrig wie möglich sein. Natürlich gibt es Menschen, die machen einen Bogen um unseren Stand, wenn Sie das Wort Depression lesen. Wenn aber jemand einen Flyer mitnimmt, ist das schon ein Erfolg.

Wie ist der Stand der Aufklärung über Depression im Jahr 2019?

Wir kommen immer weiter, aber es gibt noch vieles aufzuholen. Es geht nicht nur darum, depressiven Menschen zu sagen: Das ist etwas, womit wir uns gut auskennen und das wir gut behandeln können. Es geht auch darum, ihnen die Vorurteile zu nehmen. Letztes Jahr hat unser Dachverband eine Studie durchgeführt. Sie ergab, dass ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland glaubt, dass Antidepressiva abhängig machen und die Persönlichkeit verändern. Und 18 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass ein Stück Schokolade gegen eine depressive Verstimmung hilft. Hier müssen wir mehr Aufklärung betreiben.

Dabei ist das Thema Depression medial doch sehr präsent.

Es ist medial sehr präsent und es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten. Und doch besteht ein enormes Informationsdefizit bei Betroffenen und Angehörigen. Zum einen, weil es ein sensibles Thema ist. Über die Psyche und besonders über die zeitweise verletzte Psyche wird nicht gerne geredet. Das Thema Depression muss weiter entstigmatisiert werden.

Gerade in der Arbeitswelt haftet der Krankheit ein Stigma an. Immer wieder hört man von Fällen, wo Menschen nach einer längeren Krankheitsphase gekündigt wurde.

Das sind die Negativbeispiele. Die Sensibilisierung auf Arbeitgeberseite ist sehr unterschiedlich – es gibt viele Arbeitgeber, die haben Verständnis, und wieder andere, die kein Gespür haben dafür. Ich würde da aber kein Schwarz-Weiß-Bild malen. Das Bündnis gegen Depression geht auch direkt auf Unternehmen zu und bietet auch für Arbeitgeber Fortbildungen an. Dieses Jahr etwa wird Andreas Reif, Chef des Bündnis gegen Depression Frankfurt, vor Leuten aus Chefetagen von Frankfurter Unternehmen einen Vortrag halten. Solche Veranstaltungen wollen wir in Zukunft häufiger durchführen.

Die Aufklärung ist auch so wichtig, weil eine psychische Erkrankung im schlimmsten Fall tödlich endet.

Studien schätzen, dass 90 Prozent der Suizide wegen einer Depressionserkrankung erfolgen. Wir wissen, dass sich in Frankfurt jedes Jahr zwischen 90 und 100 Menschen das Leben nehmen. Deutschlandweit sind das laut Statistik (2014) etwa 10 000 jährlich. Das sind mehr als alle Menschen, die insgesamt in einem Jahr durch Aids, Mord, Drogen oder Verkehr sterben. In den 1980ern lag diese Zahl bei deutlich über 15 000, in den 1990ern bei rund 12 000. Der Trend ist rückläufig, was sich auf die zunehmenden Behandlungsmöglichkeiten zurückführen lässt. Suizidalität ist ein Symptom einer Depression. Durch therapeutische Behandlung kann dieses aber gemindert und ganz beseitigt werden. Nach zwei Monaten in Behandlung kann eine depressive Person oft nicht mehr nachvollziehen, dass sie vor Kurzem noch Suizidgedanken hatte.

Welche Anlaufstellen gibt es für Betroffene?

Für Betroffene und Angehörige gibt es in Frankfurt Selbsthilfegruppen und explizit für Angehörige auch die Sprechstunde der Uniklinik. Angehörige haben oft ähnliche Hürden zu überwinden wie die Betroffenen selbst. Weil Depressionskranke oft einen verminderten Antrieb haben, kann es für sie ein schwerer Schritt sein, sich in Behandlung zu begeben. Dadurch werden auch die Angehörigen sehr belastet. Auch deren psychische Gesundheit muss man im Blick haben. Wir planen dieses Jahr einen Trialog ins Leben rufen, also eine Gesprächssituation zwischen Psychiater, Betroffenem und Angehörigen.

Sie führen auch Schulungen zur Sensibilisierung durch.

Großes Potential hat die Multiplikatorenschulung: Wir schulen Sozialarbeiter, Seelsorger, Lehrer, also Menschen, die einen potentiellen Erstkontakt haben zu Depressionerkrankten, wie sie die Krankheit erkennen und mit ihr umgehen können. Besonders wichtig ist auch die Schulung der Hausärzte. Für viele Menschen ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Das Wichtigste ist, dass diese es schaffen, die Krankheit schnell und gut zu diagnostizieren. Sehr häufig wird die Krankheit zwar erkannt, aber nicht gut behandelt. Durch den Fachärztemangel in Deutschland sind viele Hausärzte fast gezwungen, diese Behandlung anstelle eines Psychiaters durchzuführen. Die Diagnostik sollte letzlich eigentlich durch einen Psychiater oder Psychotherapeuten erfolgen.

Tatsächlich machen Depressionserkrankte die Erfahrung, dass sie bis zu einem Jahr auf einen Termin beim Psychotherapeuten warten müssen.

Das ist das Problem. Es ist oft schwierig, kurzfristig einen Psychotherapeuten oder Psychiater zu finden. Für einen Menschen, dem es akut sehr schlecht geht, ist es aber unbedingt notwendig, sich in psychiatrische Hilfe zu begeben. Es ist um so wichtiger, je höher das Suizidrisiko steigt. Einen Platz in der stationären Behandlung erhält jeder, das ist gesetzlich verpflichtend. Weiter gibt es auch ambulante Psychiater. Aber dazwischen besteht eine Versorgungslücke. Diese müsste auf politischer Ebene dringend gefüllt werden.

Welche Forderungen stellen Sie an die Politik?

Es müssen Strukturen geschaffen werden, damit Schwerdepressive zeitnah einen Platz bei einem Psychiater oder einem Psychotherapeuten erhalten. Außerdem wollen wir, dass die Volkskrankheit Depression mehr gehört wird. Konkret sollen finanzielle Mittel für öffentliche Projekte zur Verfügung gestellt werden, wie eben das Bündnis gegen Depression eines ist. Diese könnten in die Aufkärung und Öffentlichkeitsarbeit investiert werden. Bislang gibt es keine staatlich geförderten Projekte. Staatlich gefördert wird einzig die Depressionsforschung, aber die dafür eingesetzten Mittel werden der Relevanz der Krankheit nicht gerecht und müssten erhöht werden.

Welchen Teil der Kosten übernehmen die Krankenkassen?

Die Kostenübernahme bei Psychiatern und Psychotherapeuten ist gesichert, in der Regel bezahlen die gesetzlichen Krankenkassen eine Psychotherapie. Schwieriger wird es, wenn es sich nicht um die erste oder zweite, sondern um die dritte oder vierte Psychotherapie handelt. Da wird es zunehmend schwieriger, die Krankenkasse dazu zu bewegen, diese zu finanzieren. In einem solchen Fall müsste man sich aber ohnehin überlegen, ob eine andere Behandlungsmethode nicht Erfolg versprechender wäre.

Das Bündnis gegen Depression Frankfurt am Main e.V. ist eines von derzeit über 70 regionalen Bündnissen gegen Depression in Deutschland. Sie alle folgen den Grundsätzen des Deutschen Bündnis gegen Depression mit dem Ziel der Aufklärung über Depression in der Öffentlichkeit und der verbesserten Versorgung Betroffener.

Wenn Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen.
Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Die Telefonnummern sind 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222.

Unter folgender Nummer erreichen Sie in Frankfurt rund um die Uhr eine der psychiatrischen Kliniken in Frankfurt: 069/6301 3113.
Im Internet können Sie sich unter frans-hilft.de/sos über Hilfsmaßnahmen in Frankfurt informieren.

Weiterführende Informationen finden Sie auch hier.
 
21. Februar 2019, 12.48 Uhr
Isabel Hempen
 
 
Fotogalerie:
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