Wer in Frankfurt aufwächst, kennt die Wegscheide. Das Schullandheim im Spessart weckt lang vergrabene Erinnerungen und unvergessliche Kindheitsgeschichten. Nach neun Jahren ist unsere Autorin zurückgekehrt.
Naemi Gutmann /
Beinahe allen gebürtigen Frankfurtern ist die Wegscheide ein geläufiger Begriff. Viele Schulen in Frankfurt, und auch in der Region, halten treu die Tradition aufrecht, ihre Klassenfahrten im Schullandheim bei Bad Orb zu verbringen. Man muss schon fast sagen: im Kult-Schullandheim. Auch ich habe zu Beginn der sechsten Klasse hier mit meiner Jahrgangsstufe eine ereignisreiche und unvergessliche Woche verbracht.
Neun Jahre später bringt mich ein Pressetermin vom Bildungsprojekt der Stiftung Polytechnischen Gesellschaft zurück. Kaum steige ich aus dem Auto, kommen Erinnerungen wieder ins Bewusstsein geschlichen, die ich für längst vergessen gehalten hatte.
Die Tischtennishalle spricht mich als Anti-Sportlerin nach fast einem Jahrzehnt genauso wenig an wie damals. Dass sie aber noch steht und sich scheinbar auch nicht verändert hat, freut mich dennoch ungemein – einfach um der Nostalgie willen. Auch die vierzehn Gruppenhäuser sehen haargenau so aus, wie ich sie von damals in Erinnerung habe. Natürlich muss ich auch an den unentbehrlichen Discoabend mit der ganzen Jahrgangsstufe zurückdenken; an jenem Abend sind viel Herzen in kindlicher Liebe entbrannt, alles höchst dramatisch.
Als wir an einem Mittwoch im Januar 2014 in einem der Häuser ankommen bereiten herumwuselnde Kinder gerade das Mittagessen vor. Natürlich gibt es einen Küchendienst, so wie das bei uns auch geregelt wurde. Der obligatorische Früchtetee wird nach wie vor in Milchkanistern transportiert und samt Mittagessen von drei Kindern auf Wägelchen in das Gruppenhaus geschoben.
Die Bäume, die hier bei strahlendem Sonnenschein und blauen Himmel ziemlich kahl in der Gegend herumstehen, waren für zahlreiche Schulkinder die Kulisse der legendären Nachtwanderung. Bei meinem zehnjährigen Selbst hat diese Nacht gehörig Eindruck hinterlassen. Hauptgrund dafür war die verbreitete Gruselstory, in genau diesem Wald sei ein Mädchen auf brutalste Weise ermordet worden. Völliger Humbug, klar, was mir damals aber niemand erzählen konnte. Die Jungs fanden die Geschichte natürlich klasse und nutzten abends jede Gelegenheit, um dem weiblichen Teil unserer Klasse eine Heidenangst zu machen. Mitten in der Nacht an die Fenster zu klopfen und dann über die kreischende Mädchentruppe zu lachen war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen.
Eine weitere Wanderung führte uns und unzählige Schulklassen vor und nach uns zum Haselbach. Kürzester Weg: über die Teufelsleiter. An die aufregende Kletterpartie über diese extrem steile Waldschneise erinnere ich mich heute noch allzu gut. Und wer sich durch alte Zeitungsartikel wühlt, der findet Zitate von Großeltern, die an eben diese Leiter ebenso lebhafte Erinnerungen haben.
In der Natur spielen, die Umgebung erkunden und sich auch noch Jahre später an den Erinnerungen erfreuen – so muss eine Klassenfahrt sein. Erklärtes Ziel des Schuldezernats von Frankfurt ist es, „dass jedes Frankfurter Kind einmal auf der Wegscheide war.“ Kann ich nur gutheißen.
Mehr zum Bildungsprojekt der Stiftung Polytechnische Gesellschaft finden Sie im aktuellen Journal Frankfurt, Ausgabe 3/2014.