Alles was Recht ist

Das Landgericht zieht Bilanz

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Jahresbilanzen sind in diesen Tagen en vogue. So lässt es sich auch das Landgericht Frankfurt nehmen, um eine Übersicht seiner Arbeit zu geben. Und so kann man schon mal sagen: Ein spannender Wirtschaftsprozess rollt auf die Richter zu.

jlo /

Viele spannende Aufgaben hatte das Landgericht Frankfurt und seine 149 Richter im vergangenen Jahr zu bewältigen. Klar, wie sollte es auch anders sein. Und Johann Nikolaus Scheuer, Präsident des Landgerichts, hatte sogleich von einer ganz brisanten Anklage zu berichten, die im März dieses Jahres bei der 2. Strafkammer, der Wirtschaftsstrafkammer, einging. „Mit der Anklageschrift legt die Staatsanwaltschaft sechs Angeschuldigten verschiedener Nationalitäten 34 Fälle der Umsatzsteuerhinterziehung zur Last“, so Scheuer. „Die Angeschuldigten sollen dabei als Mitglieder einer Bande und gewerbsmäßig gehandelt haben. Sie haben gemeinsam mit ihren Hintermännern, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Großbritannien und der Schweiz ansässig sein dürften, in verschiedenen Funktionen im Rahmen eines groß angelegten, systematischen Umsatzsteuerbetrugs zu Unrecht Vorsteuern in Höhe von mehr als 230 Millionen Euro vereinnahmt haben.“ Dafür haben die Angeklagten mehr als 50 Gesellschaften gegründet – viele davon mit Sitz in Frankfurt, was wiederum das Frankfurter Landgericht dafür zuständig macht – und mit CO2-Emmissionszertifikaten gehandelt. Durch die gegründeten Firmen wurden die Papiere geschleust, um Spuren zu verwischen. Die fällige Umsatzsteuer wurde vorab einkassiert, aber nie einem Finanzamt gemeldet. Die Zertifikate landeten letztendlich bei einer Bank und der Steuergewinn wurde behalten. 40 Steuerfahndungsstellen in der Bundesrepublik und fünf BKA-Beamte waren an den Ermittlungen beteiligt. Umsätze im Wert von mehreren Milliarden Euro wurden nachvollzogen. Das Hauptverfahren wurde nun eröffnet. Am 15. August geht’s los. 300 Zeugen hat die Anklage benannt. Und so könnte sich der Mammutprozess über eineinhalb ziehen, müssen die Richter doch rund 600 Leitz-Ordner durchackern. Allein die Hauptakte umfasst inzwischen 100 Bände mit über 45000 Blätter. Deshalb soll sich die Kammer nur mit diesem Fall, „einer der größten Wirtschaftsstrafverfahren in der deutschen Nachkriegsgeschichte“, befassen und von anderen Verfahren freigestellt werden.

Ein spektakulärer Fall – aber nicht der einzige, den das Landgericht zu bewältigen hat. Handelt es sich doch um „eines der wichtigsten Gerichte Deutschlands, das in Frankfurt als Wirtschaftsmetropole fest eingebunden ist“. Und so landen immer häufiger schwierige Fälle auf den Schreibtischen der Richter. Kläger und Angeklagte wählen Frankfurt gerne als Gerichtsort – Gerichtsstandsvereinbarung nennt man das im Beamtendeutsch. „Weil wir so gutes Recht sprechen, sage ich mal so vorlaut“, erklärt Scheuer. So beschäftigt sich das Gericht mit einem Rechtsstreit, bei dem es um ICE-Tunnelarbeiten geht – Streitwert 1,1 Millionen Euro. Oder mit einer Baumaßnahme am Frankfurter Flughafen mit einem Streitwert von über 85 Millionen Euro. 24 Umzugskisten umfassen die Anlagen. Alleine ein Schriftsatz umfasst über 1200 Seiten, ab dem zwei Rechtsanwälte über ein halbes Jahr gearbeitet haben. Außerdem ging eine Klage ein, bei der es um Baumängel bei einem Essener Einkaufszentrum geht – Streitwert 6,6 Millionen Euro.

Ansonsten ist Scheuer mit der Personaldichte von 1124 Bediensteten zufrieden, auch wenn „man immer mehr haben will“. Außerdem wurde eine siebte Bankenkammer eingerichtet. Aufgrund der Finanzkrise stiegen die Klagen gegen oder von Banken. Deshalb wurden 2009 sechs Spezialkammern für Bankangelegenheiten installiert. Doch diese Zahl genügte nicht. „Im Jahr 2010 fiel eine weitere deutliche Zunahme der Bankensachen ins Auge. Die Zahl der Neueingänge, denen Verkäufe von Wertpapieren und Beteiligungen verschiedenster Art zugrunde liegen, stieg auf 2649“, sagt Scheuer.

Im Vergleich zum vergangenen Jahr hat sich die Verfahrensdauer der Zivil- und Strafprozesse leicht erhöht. Insgesamt gingen 13683 Zivilverfahren ein. Die Dauer der erstinstanzlichen Zivilprozesse betrug im Schnitt 9,4 Monate – zwei Monate länger als im Jahr zuvor. „Aufgrund der hohen Eingangszahlen im Jahre 2009 hatten sich bei den Strafkammern insgesamt zu Beginn des Jahres 2010 die Bestände erhöht“, so Scheuer. „Diese konnten zum Ende des Jahres geringfügig von 223 auf 212 Verfahren zurückgeführt werden. Als Folge des größeren Bestands an unerledigten Verfahren erhöhte sich auch die Verfahrensdauer.“ Soll heißen: Bei den Verfahren, die von den Strafkammern des Landgerichts durch ein Urteil abgeschlossen werden konnten, lag die Dauer im Schnitt bei 6,7 Monaten (Vorjahr: 6 Monate). Bei den allgemeinen Strafverfahren dauerte es bis zur Beendigung 5,9 Monate (im Vorjahr 5,2 Monate), bei den Schwurgerichtsverfahren 9,3 Monate (Vorjahr 7 Monate). Einzig bei der Wirtschaftsstrafkammer und der Jugendkammer konnten die Verfahren schneller abgeschlossen werden. Die Jugendrichter hatten die Akten nach 4,7 Monaten (Vorjahr: 5,5 Monate) vom Tisch, die Wirtschaftsrichter nach 11 Monaten (Vorjahr: 13,1 Monate).


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