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Zu Tisch mit: Benjamin Lauterbach



Es regnet, und wir bekommen im vollbesetzten Fontana di Trevi im Nordend gerade noch einen kleinen Zweiertisch. Benjamin Lauterbach erscheint so, wie ich mir einen Schriftsteller vorstelle: im mit Lederpatches besetzten Sakko und mit speckiger Ledertasche, selbst das iPhone zieht er aus einem braunen, abgegriffenen Ledermäppchen. Bevor wir überhaupt sitzen, schweift sein Blick über die Teller der übrigen Besucher, und Lauterbach verkündet auf sympathische Weise, dass er heute richtig schlemmen möchte. Bei gemischter Vorspeisenplatte, Scaloppina und Saltimbocca unterhalten wir uns über Frankfurt und Berlin, den Neobiedermeier im Nordend und im Prenzlauer Berg, über die schönsten Plätze in Frankfurt und über Heimat.

Journal Frankfurt: Herr Lauterbach, Sie leben in Berlin und Frankfurt. In Berlin arbeiten Sie an Ihrem neuen Roman über bauliche Ästhetik, in Frankfurt als Redakteur beim Hessischen Rundfunk. Welcher Stadt fühlen Sie sich mehr verbunden?

In Frankfurt habe ich meine Wurzeln, Frankfurt würde ich als Heimat bezeichnen. Wenn in Berlin ein entsetzliches Einkaufszentrum wie das ‚Alexa‘ an einem historischen Ort wie dem Alexanderplatz gebaut wird, rege ich mich gar nicht erst auf. Wenn aber auf der Eckenheimer Landstraße über Nacht das älteste und zugleich schönste Wohnhaus der Straße abgerissen wird, damit Neubau-Luxus-Wohnungen errichtet werden können, wünsche ich mir sofort eine Art Sponti-Bewegung bzw einen Frankfurter Häuserkampf zurück. Soll heißen: Was in Frankfurt passiert, lässt mich nicht kalt.

Sie leben in Berlin im Prenzlauer Berg. Einst von Kreativen geschaffen, haben heute junge Familien und gut situierte Kreative der Medienbranche das Viertel übernommen und lassen das ehemalige Kreativenviertel zu einer Enklave der Ruhe und Vorstadtidylle gedeihen. Ähnlich verhält es sich mit dem Nordend in Frankfurt. Was schätzen Sie an diesen Vierteln, die man als „Neobiedermeier“ bezeichnen könnte.

Der Prenzlauer Berg ist eine in sich geschlossene kleine, heile Welt. Ich selber bin in der Frankfurter Nordweststadt und in West-Hausen zur Schule gegangen, bis Mitte der 90er Jahre. Dort gab es Jugendbanden, Prügeleien, unserem ehemaligen Hausmeister wurde mit einer Gaspistole das Trommelfell zerschossen. Er landete mit Tinnitus in der Psychiatrie. Unserem Englischlehrer haben sie ein Jahr später mit einer Rasierklinge das Gesicht zerschnitten. Ich habe hier also genug Elend gesehen. Der Prenzlauer Berg ist dagegen ein Wohlfühl-Mikrokosmos, urspießig, den ich sehr zu schätzen weiß. Familienfreundlich, mit gemütlichen Cafés, es ist ruhig dort und die Wohnungen schön. Trotzdem bedeutet im Prenzlauer Berg zu wohnen nicht automatisch, dass man nichts erleben kann. Aber auch nach langen Nächten in Kreuzberg, Mitte oder Friedrichshain komme ich doch immer gerne zum Kollwitzplatz zurück.

Letztendlich haben erst die Kreativen den Prenzlauer Berg, und in Frankfurt das Nordend, zu einem neuen Lebensraum geformt. Jetzt steigen die Mietpreise in beiden Vierteln, und die ursprünglich Kreativen werden quasi vertrieben von denjenigen, die sich diesen Lifestyle leisten und kaufen können.

Sicher ist, dass für Wohnatmosphäre wieder mehr Geld ausgegeben wird. Altbauten stehen hoch im Kurs, was ja bei den vielen Neubaukatastrophen auch nicht verwunderlich ist. Das Westend war schon immer unerschwinglich teuer, also müssen sich Studenten, Kreative und junge Familien, die nicht an den Stadtrand ziehen und diesem neuen Trend zur Natur nachgehen wollen, zwangsläufig in Bornheim, in Sachsenhausen oder eben im Nordend nach Wohnungen umsehen. Hinzu kommen Kleinigkeiten: Autofahren ist sehr teuer geworden, Parkplätze gibt es kaum noch. Dann ist das schon eine Überlegung: Ich ziehe einfach in ein Viertel, in dem ich Cafés, Kneipen und Supermärkte vor der Tür habe, zahle mehr für die Miete, melde dafür aber das Auto ab. Und was die Kreativen angeht: Es heißt immer, dass die vertrieben werden. Aber wohin eigentlich? Entweder verschwindet mit dem Umzug auch alle Kreativität, oder aber man hätte zwangsläufig andere, neue Viertel, in denen die Kreativen plötzlich wieder raumgreifend auftauchen. Vertreiben kann man ohnehin nur denjenigen, der einigermaßen freiwillig auszieht und seinen guten Mietvertrag aufgibt. Wenn ich mir das Nordend ansehe, so scheint da noch einiges an Kreativität vorhanden. Zum Glück. Und im Prenzlauer Berg leben, so viel ich weiß, so viele Künstler auf einem Fleck wie in keinem anderen Viertel einer deutschen Großstadt.

Welches ist unter diesen Aspekten das „kreativste“ Viertel derzeit in Frankfurt?

Das ist sicher die Grenze zwischen Nordend und Bornheim. Sich da festzulegen, ist eigentlich unmöglich. Vielleicht nennen wir es einfach: Nordheim. Oder Bornend. Erfreulich wäre es, wenn sich auch im Bahnhofsviertel etwas tun würde. Da gibt es schöne, große Altbauwohnungen für verhältnismäßig kleines Geld. Zudem ist das Viertel über die U4, U5 und U1-3 sehr gut angebunden. Eigentlich also ideal für Studenten oder die s.g. Kreativen. Doch anstatt kultureller Vielfalt wird die untere Kaiserstraße derzeit Banker-gerecht umgestaltet. Da gibt’s jetzt Latte to go für die Mittagspause, eine 1-Euro-Reinigung und mehrere Boutiquen für Oberhemden und Budapester.

Wo halten Sie sich in Frankfurt auf? Welche Locations bezeichnen Sie in Frankfurt als „Heimat“?

Ich habe keine Geheimtipps. Meine Lieblingsläden kennt halb Frankfurt. Zum Essen in die ‚Nr. 16‘ oder ins ‚Café Größenwahn‘, zum Fußball-schauen ins ‚Backstage‘ oder ins ‚Upper West Side‘, freitags auf den ‚Friedberger Markt‘. Im Sommer mag ich die Terrassen vom ‚Ich weiss‘ oder vom Italiener ‚7 Bello‘ im Bahnhofsviertel. Heimat ist vielleicht momentan das Schauspielhaus. Seit Oliver Reese dort Intendant ist, habe ich keine einzige schlechte Inszenierung mehr gesehen. Im direkten Vergleich zum ‚Deutschen Theater‘ oder dem ‚Berliner Ensemble‘ kann ich sagen: Das Schauspiel Frankfurt ist auf Augenhöhe. Das war lange Jahre nicht so.
 
25. April 2010, 13.12 Uhr
Judith-Christina
 
 
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