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Tage der Industriekulturen beginnen

Zur Sache, Industrie-Schätzchen!

Brücken, alte Fabrikhallen und Lagerhäuser – Frankfurt ist nicht nur reich an Banken, die Stadt strotzt auch vor Industriekultur. Das wird insbesondere bei einem Rundgang durchs Ostend klar.
Hätten Sie gewusst, wo der Erdal-Frosch in Mainz von einem Turm blickt, dass die Kosmetikfirma Jade mal eine Fabrik in Frankfurt hatte und Sarotti-Schokolade einst in Hattersheim vom Fließband kam? Wenn nicht, dann verspricht der lokalpatriotische Reiseführer „35 Industrie Kultouren Rhein-Main“ eine Spannungslektüre für Sie zu sein.

Egal ob zu Fuß, mit dem Rad oder dem Auto – das Buch verrät, welche Industriedenkmäler einen Abstecher lohnen und wo man auch nach erfolgter Erkundungstour einkehren kann. Es soll ja schließlich Spaß machen, die Region zu entdecken. Und da gibt es so einiges zu sehen. Von Bingen bis nach Miltenberg – also über drei Bundesländer – erstreckt sich die Route der Industriekultur Rhein-Main. Und an ihr entlang reihen sich ungefähr 700 Kleinode.

Viele scheinen jedoch für die Bewohner des Rhein-Main-Gebiets fast unsichtbar zu sein. Zu gerne laufen wir mit Scheuklappen durch die Gegend und wissen ja gar nicht, welche spannenden Geschichten sich hinter so manchem alten Gemäuer verstecken.
Damit sich das ändert, gibt es seit zehn Jahren die „Tage der Industriekultur“. Vom 7. bis zum 12. August ist es wieder so weit, dann werden im Rhein-Main-Gebiet Werksbesichtigungen, Führungen, Ausstellungen und Rundgänge angeboten und so manches Mal werden einem dann seltene Einblicke gewährt und Abenteuer ermöglicht. Etwa eine Fahrt mit der Dampflok ab Hauptbahnhof, ein Probeflug mit dem Flugsimulator von Happy Landings, Führungen durch das Druckwasserwerk oder eine Besichtigung des Industrieparks Höchst. Da die einzelnen Veranstaltungen begehrt sind, ist oftmals eine Anmeldung erforderlich. Ein rechtzeitiger Blick auf die Homepage und das genaue Programm lohnt daher.

Aber auch wer in der Augustwoche keine Zeit hat, der kann anhand des neuen regionalen Reiseführers ganz nach Lust, Laune und Interesse auf Schatzsuche gehen. „Ins Ruhrgebiet fährt man, um sich genau solche Objekte anzusehen und das, obwohl man sowas auch vor der Haustür hat“, ermuntert die Projektleiterin Sabine von Bebenburg. „Der Führer soll Lust machen, sich die Potentiale vor Ort anzuschauen. Das ist eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung, der man sogar generationenübergreifend nachgehen kann.“

Also nichts wie die Familie geschnappt, rauf aufs Rad oder rein ins Auto und 150 Jahre Industriegeschichte erforschen. „Opel, Cassella, die Farbwerke Höchst, Adler“, die Liste von Peter Schirmbeck, dem Initiator der Route, ist lang. „Da haben hunderttausende Menschen gearbeitet und das wird in unserem Bewusstsein oft unter den Teppich gekehrt und das hat mich geärgert.“ Seit 30 Jahren erkundet Schirmbeck daher die Industriegeschichte der Region und dokumentierte 700 Bauwerke und Zeugnisse der Industrialisierung. Darunter Fabriken, Dampfmaschinen, Kraftwerke, Verwaltungsgebäude, Bahnhöfe, Unternehmervillen und Arbeitersiedlungen. „So entstand ganz allmählich die Route der Industriekultur. Ich will damit auch zur Erhaltung beitragen“, sagt Schirmbeck, „denn was man wertschätzt, reißt man auch nicht so schnell ab.“ Und das ist, wie der Initiator bedauert, in der Vergangenheit schon zu oft passiert. „Beim Deutschen fängt Kultur meist da an, wo der Arbeitsalltag aufhört. Nur hat die Industriekultur mit Arbeit und dem Alltag zu tun.“ Und die kann man auch in der Freizeit genießen.

Nehmen wir uns also eine Tour aus dem Reiseführer vor und entdecken einen Teil Frankfurts ganz neu. Auf in den wilden Osten! Die Route ist neun Kilometer lang und führt uns mit dem Rad rund um die Hanauer Landstraße. Ein Verkehrsweg, an dem wir sonst gerne mal mit dem Auto vorbeisausen, ohne die Details zu würdigen. Am Arthur-von-Weinberg-Steg, nordmainisch, geht es los und der Schwedlersee ist unser Ziel. 

Der Steg ist eine Rohrleitungsbrücke, die sowohl für Fußgänger als auch für Radfahrer eine Verbindung von Fechenheim zum Offenbacher Stadtteil Bürgel darstellt. Den Namen – so klärt uns das Buch auf – verdankt der Steg einem einstigen Mäzen und Ehrenbürger der Stadt, der allerdings 1943 im Ghetto in Theresienstadt starb. Und auch die Rohrleitungen sind interessant, denn durch sie wurden das frühere Cassella-Werk in Fechenheim, das wir heute als Allessa kennen, und das einstige Werk der Hoechst AG in Offenbach mit einander verbunden.

Links vom Main treten wir etwa 400 Meter lang ordentlich in die Pedale und gelangen zum Cassella-Ensemble. Hier stand die 1870 gegründete Fabrik für synthetische Farben. Dank vieler Innovationen gehörte Cassella einst zu den führenden deutschen Farbenherstellern. 2001 jedoch entstand hier die eigenständige Firma Allessa Chemie. Die Route führt uns auch zur ältesten Arbeitersiedlung, die der Stadt je von einem Industriewerk errichtet worden ist. Wir sehen aber auch die von einer Klinkerfassade umhüllte Farbenmühle, die bereits 1913 errichtet wurde und erstaunlicherweise immer noch in Betrieb ist. Das Areal ist riesig, doch wir widmen uns der Hanauer Landstraße Hausnummer 523. Das Gebäude diente einst Cassella als Lager, bis es 1979 zum Fabrikgebäude vom Kosmetikkonzern Jade umfunktioniert wurde. Wir staunen. Die Firma saß mal hier? Natürlich war uns das Jade-Haus ein Begriff. Dem haben doch der Investor Ardi Goldman als Bauherr und Jo.Franzke Architekten zu neuem Glanz verholfen! Heute findet man hier Büros.

An der Carl-Benz-Straße angelangt, blicken wir auf das linke Eckgebäude, das „UFO“ mit dem Cocoon Club. Hier haben wir schon gefeiert, aber wer denkt dabei schon über die Geschichte des Areals nach? In der Daimlerstraße 32 erwartet uns das einstige Kunstharzwerk mit einem alten Schlot. Heute sind hier die Kreativen von der Städelschule, aber auch Filmproduzenten und Grafiker niedergelassen. Später bewundern wir die Kampffmeyer Mühlen, in denen tatsächlich noch Getreide gemahlen wird. Das klingt so ländlich und gar nicht typisch nach Frankfurt. Ausgehen auf dem Union Gelände, das entspricht schon eher der Interessenlage vieler Frankfurter. Wer denkt schon daran, dass 1909 hier eine Brauerei stand? So langsam kommen wir an unserem Ziel an. Kaffee und Kuchen am Schwedlersee. Leider dürfen hier an diesem von wildwucherndem Grün umrankten See nur Mitglieder des Schwimmclubs baden. Dafür gibt es Kaffee und uns dämmert allmählich, dass dieses Idyll keineswegs naturbelassen, sondern Rest eines geplanten Hafenbeckens ist. Wer hätte das gedacht?

>> 35 Industrie Kultouren Rhein-Main: Exkursionen mit Bahn, Auto, Fahrrad und zu Fuß, Cocon Verlag, 14,80 Euro

>> Tage der Industriekultur Rhein-Main, 7.-12. August,

Lesen Sie im nächsten Heft einen Rundgang durchs Ostend mit Kathy Goldman.

Dieser Artikel erschien zuerst am 31. Juli 2012 im Journal Frankfurt.
 
6. August 2012, 11.30 Uhr
Nicole Brevoord
 
 
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