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Kadim Sanli reloaded

Kadim Sanli

Wir hörten Herr Kadim Sanli würde für die Landtagswahlen erneut sein Glück versuchen. Natürlich haben wir uns sofort auf die Suche nach ihm und seinem heißbegehrten neuen Programm gemacht. Da er wieder die Münchner Strasse 35 angegeben hatte, begab ich mich wacker ins Rotlichtviertel, genauer ins Cafe Irfan. Als ich die Tür vorsichtig öffnete und mich bewusst unauffällig hineinbewegte verstand ich sofort was Nils mit seinem: „auch wenn’s vielleicht politisch unkorrekt ist, fühle ich mich erstmal als Fremdkörper und werde auch so beäugt“, wohl gemeint hatte. Egal! Ich fühle mich durch die Heiligkeit meiner Mission unantastbar.

Als ich den Wirt ansprach, wurde ich kaum beachtet. Die Augen auf seinen Tavli-Spiel gerichtet gönnte er mir lediglich ein „Nicht verstehen.“ Mein Eifer ließ aber nicht nach bis jemand, wahrscheinlich aus Mitleid, mir endlich den Weg durch das Gänge-Labyrinth zu Sanlis Zimmer zeigte. Ich klopfte und wartete... Ein raue Stimme lärmte auf Türkisch. Ich wartete... Nach ungefähr fünf Minuten erschien ein verschlafener und überraschter Kadim Sanli. Wer ich sei, fragte er misstrauisch. Vom Journal Frankfurt sei ich, und ein Interview wolle ich machen. Erstaunt musterte er mich von unten nach oben. „Sie haben aber keine Fotokamera dabei“, sagte er abschätzig. Nein, aber morgen würde ich eine dabei haben, antwortete ich. „Nehmen Sie die Kamera unbedingt mit. Ich werde mich auch rasieren!“

Und schon treffe ich am nächsten Tag einen unrasierten Kadim Sanli, meine sorgfältig vorbereiteten Fragen und meine Kamera in der Tasche. Ich werde erstmal mit einem „Sie haben ja gar keine Kamera dabei!“ herzlich begrüßt. „Doch! Aber Sie haben sich ja auch gar nicht rasiert“, begrüße ich zurück. Sofort drückt er mir sein Programm in die Hand und beginnt ein Interview nach seiner eigenen Vorstellungen.

Sanlis neues Wahlprogramm

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Kadim Sanli: „Da sind nur 38 Punkte drauf aber eigentlich habe ich 40 Punkte, nur war da nicht genug Platz! Also... Mitschreiben!"
Pflasterstrand: „Ja, ja, Sekunde bitte... Wollen wir nicht irgendwo reingehen?“

Herr Sanli schaut misstrauisch, wenn nicht leicht paranoid, nach links und rechts. „Nein, lieber nicht!“, sagt er dann. Warum wir trotz der unerträglichen beißenden Kälte nicht reingehen konnten, will Sanli nicht verraten. Ausdenken konnte ich es mir irgendwann auch selbst. Spätestens nach der dritten Person, die beim Vorbeilaufen mit einem „Nicht mit ihm reden!“ oder „Der ist doch völlig verrückt!“, unser spannendes Gespräch unterbrach.

Sanli: „Also Nummer 39: Die alle Vereine muss mit Gewerbe arbeiten wegen keinem Alkohol verkaufen. Nummer 40: Die Heiratausweise müssen jede 5 Jahre verlängert werden. Jede 5 Jahre, Rathaus muss fragen: 'Mann und Frau? Möchten Sie verlängern oder kündigen?' Das muss so sein! Und zwei drei Bilder und das war’s!“

„Hm, eigentlich wollte ich ein Interview machen“
Sanli: „Was?“
„Naja ich habe halt ein Interview vorbereitet mit Fragen und so...“
Sanli: „Haben Sie kein Fotoapparat dabei?“
Ich, auf meine Kamera deutend: „Doch, hier aber trotzdem...“
Sanli: „Nee, aber ich meine Foto.“
„Schon klar, sag ich doch, hier.“, und wieder zeige ich auf meine Kamera, „Aber machen wir das nach dem Interview.“
Als Kadim Sanli mir endlich glaubt und beruhigt scheint, können wir mit dem Interview anfangen.

„Sie kandidieren jetzt zum zweiten Mal. Was ist Ihr Fazit von der Oberbürgermeisterwahl?“
Sanli: „Ich habe 187 Stimmen gekriegt. Aber ich glaube 70 % der Leute sind nicht wählen gegangen, deswegen haben wir verloren. 70 % ist schon viel, oder ?“
„Ja stimmt. Und haben Sie keine Angebote der Parteien bekommen ?“
Sanli: „Nein“
„Wollen Sie irgendwann Ihre eigene Partei gründen?“
Sanli: „Ich bin freier Kandidat! Ich mache das alleine! Ich war früher bei der SPD, aber sie haben mir gesagt, ich bin noch jung, ich muss warten, da sind noch viele Leute vor mir. Also habe ich Kündigung gemacht.“
„Woher haben Sie denn Ihre ganzen Ideen her?“
Sanli: „Das sind alles meine Ideen! Als Kind liebte ich die Politik und deswegen mache ich jetzt meine Politik weiter.“
„Warum wollen Sie Landtagsabgeordneter werden?“
Sanli: „Mein Programm ist das Beste aller Kandidaten und ich bin ein jüngere Mann... Für Politik... Und ich liebe Politik, was ich mache für die Menschen, weil für die Menschen muss ich kämpfen. Und ich liebe kein Geld, sondern ich liebe die Menschen. Also mein Programm ist für die Menschen.“
„Da Sie letztes Mal nichts über Ihre Methoden verraten haben, nehmen Sie viele Menschen nicht ernst. Können Sie uns dieses Mal mehr darüber verraten, wie Sie Ihre Punkte durchsetzen wollen?“
Sanli: „Ich habe 2000 Kopie von meinem Programm gemacht und habe das Programm den Leuten gegeben und alle sagen „unsere Stimme für dich, weil das beste Programm ist!“
„Ja aber wie wollen Sie die Preise halbieren und so?“
„Zum Beispiel in Berlin Döner ist 99 cts. ja? Und ich wollte in ganz Deutschland Döner muss 2 Euro sein, weil viel Arbeitslos gewesen und Leute kein Geld für essen bezahlen“
„Ja aber die Besitzer werden das bestimmt nicht machen wollen...“
„Ich will auch für Dönerladen die Miete und die Strom- und Nebenkosten halbieren! Lesen Sie bitte mein Programm da steht alles drin!“
„Sind Sie also bei den nächsten Europawahlen dabei?“
„Nee, ich möchte 2009 Bundeskanzlerkandidat werden gegen Frau Angela Merkel“
„Sie verdienen mit Ihrer Rolle als Politiker wahrscheinlich nicht viel, haben Sie eine Nebenbeschäftigung? Wie finanzieren Sie Ihre Kampagne?“
„Nee. Aber ich finanziere alles selbst. Aber die Leute lieben mich!“
„Wenige Leute kennen Sie. Warum gehen Sie nicht mehr auf die Medien zu?“
„Ich will alles alleine machen, alleine kämpfen, alleine schaffen. Es ist nur der Anfang für mich gerade. Ich will keine Hilfe! Sie haben Recht, die Leute kennen mich nicht, aber ich habe das beste Programm!“
„Wie ist es mit der Griechin ausgegangen?“
„Darüber möchte ich nicht sprechen“
„Gut, dann lassen Sie uns ein Foto machen. Haben Sie noch was hinzufügen?“
„Nein.“

Ich knipse ein paar Fotos von Ihm. Mittlerweile folgt uns ein Jugendlicher: „Ey Aldaaa, Kadim du bist voll cool! Du wirst gewinnen.“ Wir verabschieden uns und ich versuche meine verwirrten Gedanken zuzuordnen.

Kadim Sanli

Im Grunde genommen finde ich es richtig, dass in Deutschland einzelne Menschen – und vor allem die mit „Migrationshintergrund“ – den Mut finden sich gegen die Sklerose des deutschen Parteisystems einzusetzen. Schüren wir den Rassismus wenn wir solche Themen ansprechen und jemanden wie Kadim Sanli vorstellen?, wie frankfurtaa es uns vorwirft. Die richtige Frage ist, warum wir in Deutschland diesen mächtigsten und interessantesten Grundsatz der Demokratie den Verrücktesten überlassen? Wenn Kadim Sanli mit seiner Mischung aus teils selbstverständlichen, teils interessanten – man übersieht diese zu oft - aber auch teils konservativen und ja, sogar hirnrissigen Programmpunkte das Interesse der Medien anregen kann, dann kann es jeder Bürger oder Verband auch mit einem vernünftigen Programm.

Ich denke dabei an José Bové in Frankreich, der mittlerweile eine der wichtigsten ökologischen politischen Gegengewichte aufgebaut hat – und das auch ganz alleine. Trotz Gespötts, mehrerer Jahre Gefängnis und manchen dubiosen Aktionen, haben die Franzosen fast alle wichtigen politischen Entscheidung zu Gunsten der Ökologie ihm zu verdanken – zum Beispiel gegen den Anbau von genmodifizierten Pflanzen.

Ich denke aber auch an Fadela Amara, die den Mut gefunden hat, trotz aller verletzenden Kritiken, ihren feministischen Verband Ni Putes Ni Soumises (Weder Schlampen noch Unterworfene) aufzubauen. Heute ist sie Staatssekretärin für Urbanismus und Stadtentwicklung in Sarkozys Regierung und hat nichts von ihrer Frechheit, ihrem Slang und ihrer Unabhängigkeit verloren. Ideale und konkrete Politik verirren sich eben zu oft in den 40 Jahre lange Abgestumpftheit – manche nennen es „Erfahrung“ - innerhalb einer Partei. Sie zählt heute mit den aktivsten Mitglieder der französischen Regierung. Als allererste französische Politikerin wird sie versuchen mit ihrem Plan „Espoir Banlieue“ (Hoffnung Vorstadt) in den berüchtigt gottverlassenen französischen Vorstädte 45 000 Arbeitsplätze zu erschaffen.

Also alle „engagierten“ Kritiker und Zyniker kann ich nur eins sagen: Zivilcourage zeigen und für die nächsten Wahlen bereitmachen!

Sanli Plakat
 
24. Januar 2008, 14.17 Uhr
Ghislain de La Chaise
 
 
Fotogalerie:
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