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Faust-Preis-Verleihung

Relevanzgarantie auf rotem Teppich

Was ist von einer Preisverleihung zu halten, bei der Occupy-Leute Karoline Herfurth fragen, ob sie Kapitalistin sei und Michael Quast zwischen Albernheit und Geistesblitzen changiert? Esther Boldt hat die Antwort.
Das Theater hat recht: Live ist besser. Während die Preisverleihungen des deutschen Theaterpreises „Der Faust“ auf 3sat stets wirken, als seien sie Reenactments des „Bambi“, war bei der Frankfurter Preisverleihung vor Ort von Fernsehglitzerambitionen wenig zu spüren. Vielmehr bot sie eine ebenso fruchtbare und merkwürdige Massenkarambolage von Gegensätzen wie das Theater selbst: Aufregung paarte sich mit Langeweile, Pathos mit Selbstironie, Fremdscham und helle Freude gaben sich die Hand, Geschichte prallte kommentarlos auf Gegenwart. Dazu trugen alle Schwarz und einer bunte Turnschuhe. Der Gastgeber (Michael Quast) war ein breitmauliger Komiker, dem seine eigene Haut nicht zu schade war für Selbstversuche und Rampensaueinlagen, aber der zugleich in bissigen Witzen und hiebfesten Zitaten seinen scharfen Geist aufblitzen ließ. Und wie stets im Theater begann die bunte Gemengelage schon vor der Tür.
Unter dem erleuchteten Euro der EZB spielt eine Ska-Punk-Band im Camp von Occupy, über die Straßenbahnschienen torkelt eine Junggesellenparty in uniformen T-Shirts und vor der Oper spaziert Karoline Herfurth im pinken Kleid über den roten Teppich, posiert für ein Häuflein Fotografen und ein kleines Blitzlichtgewitter. „Wer seid ihr?“, schreit einer der Occupisten herüber, „Kapitalisten?“ Drinnen würde man diese Frage sicher gern verneinen, schließlich wird Kapitalismuskritik seit einigen Spielzeiten groß geschrieben in Programmheften und Spielzeitkatalogen. So wird die Stadt Frankfurt ihrem Ruf als Vereinigerin der Gegensätze mehr als gerecht in dieser Nacht am Willy-Brandt-Platz, der früher einmal Theaterplatz hieß.
Ohnehin wird auf der Bühne gern an ungleich rosigere Zeiten erinnert: Preisträger wie die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, der Choreograf Christian Spuck und der Regisseur Wolfgang Engel schwelgen im Theater-Frankfurt der 1970er und 1980er Jahre, in denen Theater am Turm (TAT), Oper und Schauspiel mit Wooster Group, Jan Fabre, Robert Wilson, William Forsythe, Ruth Berghaus, Einar Schleef und Konsorten für „eine Reihe  richtig guter Theaterskandale“ (Fischer-Lichte) sorgten.
Heute ist es dagegen ruhig geworden, das TAT wurde 2004 in einem grotesken Stadtstreich geschlossen, aus dem Ballett Frankfurt wurde das Public-Private-Partnership Forsythe Company und Oliver Reese hat das Schauspiel zielsicher in skandalfreie Gewässer geschifft. Rhetorisch aber lässt sich die Politik natürlich nicht lumpen, Ministerpräsident Volker Bouffier beschwört in seiner Eröffnungsrede die "bunte Vielfalt" der hessischen Theaterlandschaft, Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (die just Anfang der Woche ihren vorzeitigen Rücktritt bekannt gab) ruft ihren Kollegen zu "Lassen wir die Intendanten machen!" und verkündet, das Theater solle lieber "grandios scheitern" als im "Mittelmaß enden" – auch wenn ihr Verhalten in der Spiralblockaffäre Schauspiel versus Stadelmaier 2006 präzise das Gegenteil verhieß. So weit, so gewohnt.

Alleinstellungsmerkmale und Relevanzgarantien gehören zu "Faust"-Preisverleihungen dazu, als möge das Theater sich nicht feiern, ohne den Rechtfertigungsdruck der öffentlichen Hand zu verhandeln. „Strahlkraft“ ist so ein Relevanzgarant für die so heterogene Gemeinschaft der Zuschauer, die im deutschen Theater allabendlich "Knie an Knie, Ellbogen an Ellbogen" zusammenkommt, wie sie Stephan Kimmig beschwört. Sichtlich empört nutzt der Regisseur seine Dankesredezeit zur Auszeichnung für Kinder der Sonne, um sich der von Hartz'schen Provokation dieses Sommers zu erwehren, das Stadttheater verbrauche 90% der bundesdeutschen Theatermittel, bringe aber nur 10% Innovation hervor. Kimmigs Plädoyer für das Ensembletheater verbindet sich mit einem Appell an die ganz eigene theatrale Möglichkeit der "leiblichen Ko-Präsenz", wie es theaterwissenschaftlich gefasst wird: "Man sieht den Aufstieg und Fall des Moments". Etwas wissenschaftlich durfte es schon zugehen bei diesem Festakt, schließlich erhielt Erika Fischer-Lichte den Preis des Präsidenten.
Dabei entbehrt die Preisverleihung, was Zehelein in seiner Laudatio betonte: Beschreibungsgenauigkeit. Als Preis fällt der "Faust" irgendwie vom Himmel, in einem dunkel bleibenden Auswahlverfahren von Vorschlägen, Selektion und Abstimmung durch "Sachverständige", verkündet von illustren Laudatoren, die vielmehr Glücksfeen sind, dürfen sie doch lediglich Karten aus Umschlägen ziehen.

So bleibt es an Moderator Michael Quast, den "Geist, der stets vereint", zu spielen und den Abend diskursiv aufzupimpen: Der Urfrankfurter Kabarettist, Schauspieler, Regisseur und Produzent tingelt in seinen Moderationen munter durch aktuelle Theatertrends und -diskurse und erweist sich als mit allen Theoriewässerchen gewaschen von "Ich ist ein Anderer" über die Dekonstruktion bis zur "Reflexion der medialen Verfasstheit unserer Wahrnehmung". Ohne Quasts kurzweilige Intermezzi hätte, das ist gewiss, dieser redenreiche Abend an gefühlter Länge deutlich gewonnen.

Und sonst? Rangiert im Theater die Gemeinschaft weiterhin ganz vorn. Bedankte sich doch Opernregisseur Benedikt von Peter dafür, dass seine Auszeichnung für "Intolleranza 1960" auch einen Sieg des Kollektivs markiere in der "kippenden Heilsgeschichte des Individualismus". Der Preis für die schönste Dankesrede geht in diesem Zuge an Martin Wuttke. Ausgezeichnet für seine Darstellung des Dr. Jacques Duval in René Polleschs „Schmeiß Dein Ego weg!“, brummelt er: „Jacques Duval? Nie gehört. Es kann sich nur um ein Missverständnis handeln.“ In ihrer Kollektivarbeit hätten sich Regisseur und Schauspieler um das Verhältnis von Körper und Seele, Innen und Außen gekümmert und nicht um die Erschaffung von Figuren. Als Missverständnis aber nehme er den Preis gern entgegen. In ihm kulminiert das Widersprüchliche des gegenwärtigen Theaters wie auch der „Faust“-Preisverleihung aufs Schönste: Von der Unmöglichkeit, Einzelpersonen für eine Gemeinschaftsleistung auszuzeichnen – das hätte auch den Occupisten gefallen.

Dieser Text wurde uns von der Seite Nachtkritik.de freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Herzlichen Dank!
 
7. November 2011, 10.48 Uhr
Esther Boldt
 
 
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