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Foto: Yoshi Toscani
Foto: Yoshi Toscani

Ein Festival für die Klarinette

Singen, weinen, flüstern, schreien.

Annette Maye und Jens Eggensperger haben mit „Multiphonics“ ein jährliches Festival installiert, dass der Klarinette und ihren vielfältigen Klangmöglichkeiten gewidmet ist. Dieses Jahr erklingt sie jazzig und weltmusikalisch.
JOURNAL FRANKFURT: Die Klarinette, das für viele noch eher unbekannte Wesen ... Welche Faszination übt das Instrument auf Sie aus und wie würden Sie ihren Charakter, ihre Möglichkeiten beschreiben?

Jens Eggensperger: Es gibt immer noch viele Leute, die die Klarinetten mit gebogenem Trichter wie Bassklarinette, Alt-Klarinette und auch Kontra-Bassklarinette mit Saxophonen verwechseln. Obwohl beide Instrumentengruppen zu den „Holzblasinstrumenten" gehören, werden die Klarinetten aus Holz gebaut, die Saxophone aus Metall. Der Tonumfang der Klarinetten ist größer, der Ton wärmer. Und gerade im improvisatorischen Bereich bietet die Klarinette viele Möglichkeiten, die man mit Saxophonen nicht so hat, Stichwort Multiphonics, also Spaltklänge, Zirkularatmung und gleichzeitiges Singen und Spielen zum Beispiel. Letzteres hat Michael Riessler ziemlich perfektioniert.

Annette Maye: Die Klarinette hat bei bis zu knapp vier Oktaven ein Riesenspektrum nicht nur an Tönen, sondern sie ist in ihren Ausdrucksmöglichkeiten extrem facettenreich. Angefangen bei den dunklen und geheimnisvollen Tönen, bis zum Erzählerischen, mit warmen, lyrischen Klang. Sie kann den Hörer einlullen, ihn aber auch mit ihren hohen und spitzen Tönen sofort wieder wachrütteln. Es gibt sehr viele verschiedene Anblasmöglichkeiten für den Spieler. Man kann einen Ton ganz lupenrein und kontrolliert spielen, aber im Gegenzug dazu auch luftig-fluffig und mit Vibrato. Ihrer Vielfalt an klanglichen Möglichkeiten verdankt es die Klarinette, die um 1700 in Deutschland entwickelt wurde, meiner Meinung nach auch, dass sie sich rund um den Erdball nicht nur in den klassischen Orchestern, sondern als nicht mehr wegzudenkendes Instrument im Jazz und in der Folklore verschiedenster Länder wie z.B. Frankreich, Italien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland oder der Türkei etabliert hat.


Wie oft wird man im Zusammenhang mit der Klarinette immer wieder mit Klischees konfrontiert – die Klarinette als Synonym für Dixieland und Klezmer etwa oder reicht der Horizont dann doch weiter?


Maye: Das passiert glücklicherweise immer seltener bzw. ist unser Publikum immer wieder erstaunt, fasziniert und begeistert was die Klarinette noch so alles kann. Von daher leistet unser Festival auf diesem Gebiet immer weiter „Aufklärungsarbeit“. Glücklicherweise haben auch Musiker wie beispielsweise Michael Riessler, Michel Portal, Louis Sclavis oder Gianluigi Trovesi schon in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, die Klarinette zumindest innerhalb des Jazz-Kontextes von ihrem Dixieland-Klischee zu befreien.

Eggensperger: Es ist erstaunlich, dass viele „Szenen" wie z.B. die Klezmer-Szene, Latin-Szene oder die „Klassiker" nach wie vor recht separiert voneinander existieren. Dies macht es wesentlich komplizierter für uns all diese Gruppen zu erreichen und zusammenzuführen. Das Dixie-Thema ist eigentlich nicht existent, vielleicht aber auch, weil wir die Klarinettenthematik gar nicht so sehr in den Vordergrund stellen, sondern uns als „Musikfestival" präsentieren. Klezmer ist und bleibt natürlich immer ein Thema, wenngleich wir finden, dass Klezmer – und das damit verbundene und in der Frage angedeutete „Klischee" – in Deutschland nicht sehr zeitgemäß behandelt wird. Zum Beispiel in Großbritannien, den Benelux-Ländern und vielleicht auch den USA hat sich der Klezmer extrem weiterentwickelt. Da gibt es Verbindungen mit zeitgenössischen Musikstilen (Funk oder Elektronik), da wird improvisiert, sogar gerappt. In Deutschland hält eine Szene recht traditionalistisch an der „Bewahrung" einer speziellen Darbietungsform fest. Dies ist etwas irritierend, denn eigentlich ist das Aufregendste an der Musik die Weiterentwicklung.


Ist Ihre Festivalidee auch deshalb geboren worden, um das Instrument ins richtige Licht zu rücken, zu zeigen, was zwischen Klassik (Barock etc.) und Avantgarde alles möglich ist und auch die räumliche Verbreitung und ihre „weltmusikalischen Farben" zu präsentieren?


Maye: Genau richtig!

Eggensperger: Die Klarinetten sind deshalb unser Thema, weil sich diese Instrumentengruppe sehr gut dazu eignet aufzuzeigen, was alles stilistisch möglich ist. Die Klarinetten werden in ganz verschiedenen Kulturen genutzt. Es ist schade, dass die Klarinette im modernen Jazz etwas an Boden verloren hatte. Deswegen eignet sich das Thema der Klarinetten ganz vorzüglich dazu Entwicklungen und Verbindungen aus „Altem" zu „Neuem" exemplarisch darzustellen.


Wie emotional ist die Klarinette?

Maye: Die Klarinette ist ein hochemotionales Instrument. Als Spieler kann man sie singen, weinen, flüstern, schreien, lachen, glucksen, drohen oder grollen lassen, ihr auch Spaltklänge („Multiphonics") entlocken und dadurch bestimmte Obertöne hörbar machen. Sie ähnelt in einigen Lagen auch der menschlichen Stimme, was unmittelbar Emotionen beim Hörer hervorruft.

Eggensperger: Ich denke, die Klarinetten zählen zu den emotional ausdrucksstärksten Instrumenten überhaupt. Die größten Stars weltweit quer durch alle Genres hindurch sind allesamt für Emotionen bekannt. Paquito d'Rivera, Martin Fröst, Sabine Meyer, Sharon Kham, Eddie Daniels, Ben Goldberg, Giora Feidman, Anat Cohen, Hüsnü Senlenderici, Serkan Cagri, egal, ob man sie mag oder nicht, Emotionalität kann man ihnen nicht absprechen. Das gilt auch für die europäische Jazzavantgarde auf dem Instrument mit Joris Roelofs, Gabriele Mirabassi, Claudio Puntin u.a. Emotion ist immer wichtig.


Seit wann gibt es das Festival, seit wann sind Sie auch am Main, zunächst in Frankfurt, dann auch in Offenbach aktiv?

Eggensperger: Das Festival wurde 2013 gegründet. Seinerzeit veranstalteten wir die erste Auflage in Fulda in Osthessen, weil sich die geographische Lage angeboten hatte. Es lag genau in der Mitte Deutschlands, war verkehrstechnisch sehr gut angebunden. Leider hat sich über die Jahre gezeigt, dass das Musikinteresse in Fulda – abseits von Mainstream-Größen wie Giora Feidman – zu begrenzt war, um den Aufwand zu rechtfertigen. Wir bedauern das immer noch, aber man darf sich nicht mit „Naturgewalten" anlegen. Seit 2014 gibt es, vielleicht auch bedingt durch meine Frankfurter Herkunft, durchgehend Konzerte in Frankfurt und/oder Offenbach. Im Jahre 2014 hatte die EVO die Alte Schlosserei zu einer multifunktionalen Kultur- und Kongresshalle umgebaut. Der Spielort ist neben dem für das Gelingen einer Veranstaltung essentiellen Firmensponsoring deshalb so attraktiv, weil er eine sehr seltene Kombination liefert. Zum einen ist er recht groß (400 Zuschauerplätze), zum anderen akustisch nicht so hallig wie z.B. die meisten Kirchen. Die Lage ist gut, man ist schnell im Frankfurter Zentrum, am Hauptbahnhof oder dem Flughafen. Wir als Rheinländer amüsieren uns aus der Distanz ja immer, wie hartnäckig die Trennlinie zwischen Frankfurt und Offenbach betont wird. Tut mir leid, aber ich kann die Stadtgrenzen nicht wirklich finden. J

Maye: Die Alte Schlosserei in Offenbach haben wir 2015 entdeckt, als wir damals auf der Suche nach Partnern in der Rhein-Main Region und konkret nach einem geeigneten Saal für das Konzert mit dem Taksim Trio aus Istanbul waren. Ralph Ziegler vom Kulturamt Offenbach hat uns damals die Alte Schlosserei auf dem EVO-Gelände empfohlen. Damals hatte die EVO diese schön restaurierte Halle gerade für den Veranstaltungsbetrieb eröffnet.


Ein Wort zum Programm 2018. Einmal mehr haben Sie die Facetten dessen, was Sie präsentieren, erweitert. Wo liegen die stilistischen und räumlichen Schwerpunkte diesmal und wie kam es zur Zusammenarbeit mit der hr-Bigband?

Maye: In diesem Jahr haben wir einen Weltmusik-Schwerpunkt (am 2.10. in der Brotfabrik mir Gabriele Mirabassi & Trio Correnteza und Anat Cohen & Trio Brasileiro und schon am 27.9. in der Alte Schlosserei das ensemble FisFüz (Foto) feat. Jean-Louis Matinier und Arkady Shilkloper), einen Modern Jazz-Schwerpunkt (29.9. Brotfabrik mit Eric Schaefers „Kyoto Mon Amour") und einen Straight Ahead-Bigband-Schwerpunkt (27.9. Alte Schlosserei Offenbach: hr-Bigband feat. Gianluigi Trovesi). Dieses Jahr haben wir einen weiblichen Artist in Residence auf unserem Festival, Anat Cohen aus New York. Sie hat einmal vor Jahren ein Programm mit der hr-Bigband in Deutschland aufgeführt, und so wurden wir ursprünglich auf die Bigband für unser Festival aufmerksam. Die hr-Bigband zeigte sich sehr offen und interessiert an der Idee eines Konzertes in Zusammenarbeit mit dem Multiphonics Festival in der Alten Schlosserei. Zwar konnten wir unseren ursprünglichen Wunsch, dass Anat Cohen nochmals mit der hr-Bigband auftritt, nicht realisieren, doch haben wir dafür nun das umwerfend schöne Bigband-Programm „Dedalo" aus der Feder der italienischen Jazzlegende Gianluigi Trovesi auf unserem Festival. Und wir konnten Gianluigi auch als Solist für das Konzert mit der hr-Bigband gewinnen! Wir freuen uns sehr auf das Zusammentreffen des Maestros aus Bergamo mit der hr-Bigband und ein musikalisches Feuerwerk am 27.9. in Offenbach.

Eggensperger: Wir suchen uns immer nach zwei Gesichtspunkten Projekte aus. Nach inhaltlicher Begeisterung und Öffentlichkeitswirksamkeit. Letzteres mag dazu angetan sein, die Nase zu rümpfen, aber die Realität diktiert einfach, dass man einen gewissen Personenkreis erreichen muss (und 400 ist schon wesentlich schwieriger, als sich das für den Leser anhört), um solche Veranstaltungen sinnvoll durchzuführen. Beides (Inhalt und Öffentlichkeit) muss sich die Waage halten und nie ist nur eines von beidem alleine ausschlaggebend, damit wir ein Projekt präsentieren. Die hr-Bigband ist ja durchaus im Mainstream aktiv und beliebt, z.B. mit diversen Pop-Sängerinnen und Sängern. Mit Gianluigi Trovesi haben wir ein fast zehnjähriges, sowohl emotional als auch inhaltlich herausragendes Verhältnis. Er hat einige der innovativsten Bigband-Stücke um die Jahrtausend-Wende herum geschrieben und so war der Gedanke, dann dieses Projekt zu wählen naheliegend. Auch die hr-Bigband freut sich auf die anspruchsvolle Aufgabe. Räumlich gesehen gibt es diese herausragende Veranstaltung in Offenbach, sowie zwei phantastische Konzerte in der Frankfurter Brotfabrik. Die ist seit 2014 ein verlässlicher und toller Partner.


>> Multiphonics – Das Festival, 27.9.-2.10., alle Termine in Frankfurt und Offenbach unter www.multiphonics-festival.com
 
25. September 2018, 10.11 Uhr
Detlef Kinsler
 
Detlef Kinsler
Weil sein Hobby schon früh zum Beruf wurde, ist Fotografieren eine weitere Leidenschaft des Journal-Frankfurt-Musikredakteurs, der außerdem regelmäßig über Frauenfußball schreibt. – Mehr von Detlef Kinsler >>
 
 
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