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Foto: Matthias Binner
Foto: Matthias Binner

Deutsches Album von Claudia Fink

Bereit sich mehr zu zeigen

Mit „Über Wasser“ hat Claudia Fink ihr erstes deutschsprachiges Album veröffentlicht. Als Lucid war sie lange Jahre Teil der Frankfurter Szene, jetzt lebt die Sängerin in Berlin und erzählt auch von den Unterschieden der künstlerischen Arbeit in beiden Städten.
JOURNAL FRANKFURT: Wie kam es zu Deiner Entscheidung für Berlin? War es eine persönliche Entscheidung, eine künstlerische Entscheidung, beides? Was sprach für Berlin, was gegen Frankfurt? Was war so verheißungsvoll bei diesem Ortswechsel?
Claudia Fink: Es war beides, es war dieser Flow von dem alle reden. Eigentlich war Berlin raus, ich hatte mich zwar schon mal song-mäßig nach Berlin geträumt, aber irgendwie fand ich es auch uncool, das zu tun, was so viele Künstler gemacht haben, Hauptstadtflair und alles, if you make it there und so weiter… (lacht) Als ich „Bus nach Berlin“ geschrieben habe, war ich fest davon überzeugt, dass ich in Frankfurt bleibe und Berlin mal ein schöner Ausflug ist, aber sonst doch irgendwie zu groß, zu hip, zu stressig für mich. Und dann kam vieles zusammen: ein privater Traum war geplatzt, in meinem Hauptjob hatte die Leitung gewechselt und ich konnte mit der neuen nicht viel anfangen, ich war eigentlich auf Wohnungssuche in Frankfurt und dann sagte ein guter Freund von mir, seine (kleine, günstige) Wohnung in Berlin würde im Sommer frei … ich konnte nicht widerstehen. Verheißungsvoll war vor allem, dass es in Berlin mehr SAGO-Leute gibt, die sich auch mal im Wohnzimmer treffen und sich gegenseitig ihre neuen Songs vorspielen … So was kannte ich in Frankfurt nicht und in Berlin war ich eingeladen.

War Frankfurt also für Dich ausgereizt, die Möglichkeiten hier erschöpft?
Frankfurt war, was mein neues Interessengebiet „un-peinliche deutsche Texte“ zu schreiben angeht, für mich nicht der Ort, wo ich Entwicklungsmöglichkeiten für mich sah. Ich war immer mal wieder ganz glücklich im Jazzkeller, aber da dann doch auch ein Fremdkörper (weil ich Jazz zwar liebe, aber doch keine „Jazzern“ bin.) Es gibt in Frankfurt kaum offene Bühnen, wo man einfach mal etwas ausprobieren kann, oder sich zeigen und Andere kennenlernen. In Berlin gibt’s sowas in nahezu jedem Kiez. Ich wollte mit meiner Kunst unter Leute, da ist es in Frankfurt eher mau.

Wie würdest Du den Unterschied zwischen der Frankfurter und der Berliner Szene formulieren? Randbemerkung: Deine Frankfurter Band ist Dir ja geblieben.
Tja, zur Berliner „Szene“ kann ich nicht so viel sagen, die ist riesig, wenn ich das richtig sehe. Ich kenne kaum einen Bruchteil davon. Bei der Frankfurter Szene bin ich mir auch nicht so sicher, ob ich die komplett erschlossen habe. Sicher ist, dass Berlin durch seine schiere Größe mehr Vielfalt hat. Es gibt ein sehr breites Spektrum von Musik und Musiker:innen, Künstler:innen und ich habe Orte gefunden, an denen ich mich zu Hause fühle. Ich wollte vor allem Austausch mit Songschreiber:innen und Liedermacher:innen, der war in Berlin einfach angelegt.

Mit dem Umzug und dem „Bus nach Berlin“ kam der Wechsel zur deutschen Sprache. Wieso war die Muttersprache plötzlich interessant(er) und in welchem Prozess hast Du Dich ihr angenähert?
Eigentlich kam der Wechsel zur deutschen Sprache kurz vor dem Umzug, sie hat mich einfach angezogen, nachdem ich sie viele Jahre im Zusammenhang mit meiner Musik verschmäht hatte, mich ihr verschlossen hatte. Niels Frevert hatte dieses großartige Album „Du kannst mich an der Ecke rauslassen“ gemacht und auf einmal war Deutsch eine Option, die auch zu ruhiger Musik unkitschig und klischeefrei oder zumindest -arm funktionieren kann. Obwohl ich wusste, dass ich es nicht so machen kann wie er, hat es mich inspiriert, meine  „eigene deutsche Sprache“ zu finden.

In der Muttersprache kann ich die Feinheiten und Verknüpfungen, Konnotationen der Worte und der Wortverbindungen, Wendungen, Formen besser einordnen, bin mir sicherer, dass ich sage, was ich sagen will. Natürlich ist es den Hörer:innen immer frei, die Texte anders zu interpretieren, aber zumindest weiß ich sicher, was ich singe. Ich war bereit, mich mehr zu zeigen, ein paar von den Schleiern, die auch ein Schutz für mich waren, von meinen Songs zu nehmen, klarer zu werden. Gleichzeitig hatte ich auch einen größeren Wunsch nach Austausch als früher. Ich hatte gerade „Bus nach Berlin“ geschrieben, da erfuhr ich beim Heidelberger Songslam, wo ich den Song „ausprobiert“ habe von SAGO, der „Schule für Musik und Poesie“ und wollte hin. Ich habe mich noch persönlich bei Christoph Stählin, dem Gründer, vorgestellt, und wurde aufgenommen. Die Jahre mit SAGO haben mein Schreiben in Deutsch, aber auch in Englisch stark beeinflusst und viele wichtige Impulse zu Songwriting aber auch zum Auftreten und meiner Haltung als Künstlerin gegeben.

Die oft zitierte „gelungene Synthese von Folk, Pop und Jazz“ (gerne auch mal Chamber oder Kammer Pop genannt wegen der Instrumentierung) funktionierte wunderbar mit der englischen Sprache; mit deutschen Texten gab es wenig Vergleichbares – war es auch ein Anreiz, auf diese Weise etwas Singuläreres zu schaffen?
Wie oben schon erwähnt, war dieses Niels Frevert-Album eine starke Inspiration, es einfach noch einmal zu probieren mit den deutschen Texten. Ich hatte vorher schon einmal versucht, Deutsch zu schreiben, aber mir fehlte die Geduld, nach den richtigen Worten zu suchen. In Englisch war ich da damals etwas ausdauernder. Ob ich die Ambition habe, etwas Singuläres zu schaffen, kann ich nicht so genau sagen. Im ersten Moment denke ich,  es ist nicht so wichtig, ich will einfach gute Songs schreiben. Aber vielleicht lüge ich mir auch in die Tasche, weil ich solche Ambitionen recht eitel finde und mir möglicherweise meine eigene Eitelkeit nicht eingestehen will.

Bleibst Du vom Selbstverständnis her „international“ in der Anmutung und eine Singer/Songwriterin? Der Begriff Liedermacher:in klingt für viele noch immer nach Burg Waldeck und irgendwie antiquiert. Und zur „Klampfenelse“ taugst Du ja eher nicht.
Tja, das ist wieder eine Definitionsfrage, was „Liedermacher“ sein bedeutet. Wenn es heißt, ich mache Lieder, dann ja, klar, hier bin ich! Es ist tatsächlich so, dass ich das Klangverständnis und die kompositorischen Elemente des „klassischen“ (Waldeck-)Liedermachertums nicht so reizvoll finde, obwohl sie stimmig sind und ich Respekt vor dieser Art der Interpretation habe. Ich persönlich mag andere Sounds, andere Instrumentierungen, andere Akkord-Progressionen. Aber auch „Liedermacher“ dürfen eine Chance auf Wandel haben. Es gibt neue Liedermacher, die mit dem alten Waldeck-Sound nicht viel am Hut haben. Ich bin Liedermacherin und Singer-Songwriterin, je nachdem ob man Anglizismen mag oder nicht.

Oft wurden Namen wie Suzanne Vega und Björk im Zusammenhang mit Deinen Produktionen genannt – durch Deine Affinität zu Folk und Jazz könne man auch eine Nähe zu Joni Mitchell beschwören?
Könnte man. Es ist zumindest so, dass ich Joni Mitchell sehr gerne höre und spiele. Und damit gibt es auch eine Nähe zu ihr und ihren Songs.

Sag ein Wort zum Thema „Pseudonym war gestern“. Persönlich waren Deine Songs schon immer, auch als Lucid. Sind sie jetzt noch privater und intimer geworden?
Sie sind hoffentlich nicht (zu) privat geworden, meine Songs,  denn ich halte (zu viel) Privatheit in der Musik nicht für gesund und auch nicht für verantwortungsvoll. Man läuft immer Gefahr, die Hörer in etwas mithineinzuziehein, wo sie nicht sein wollen. Ich denke, ich bin klarer geworden, vielleicht deutlicher. Mich nicht mehr Lucid zu nennen, hatte allerdings auch praktische Gründe, etwa die Drohung einer Amerikanischen Band namens Lucid z.B., mich zu verklagen. Meinen Namen kann mir zumindest keiner wegnehmen.

Zu Deinen Themen. Steckt im Albumtitel „Über Wasser“ eine Programmatik und ist die Klammer um die Stücke die einer hoffnungsvollen Melancholie?
Ja, sicher, der Kehrvers „lass uns nicht untergehen“, der in dem titelgebenden Song den Ton bestimmt, birgt den Wunsch, die Aufforderung und auch die Entschlossenheit nicht unterzugehen–mal ist ein „ich“ dem Satz voran gedacht, mal nicht. Leider ist die Entschlossenheit, nicht unterzugehen im Laufe der letzten Jahre wichtiger geworden, um weiterzumachen und das ist natürlich auch in den Songs enthalten, als melancholisch-hoffnungsvolle Klammer.

Nicht untergehen – „Pommes essen am Schlachtensee“ war Dein Lockdown-Song, sicher in der Hoffnung geschrieben, dass er – der Lockdown –  endlich sein würde. Welche Rolle hat die anhaltenden Pandemie beim Fertigstellen der Platte gehabt? Welche Themen (darunter unbequeme Wahrheiten, tiefe Abgründe, Mut zum Aufbruch) wurden unter dem viel zitierten Brennglas in der Krise noch plastischer und wie wichtig ist es dabei – wieder ein Zitat – , die „Überlebensration Musik für turbulente Zeiten“ und ihre Magie bei der Überwindung von Problemen zu betonen?
Wenn ich den Blick nur auf des Problem, die Schwierigkeit lenke, und möglicherweise darin verharre, komme ich nicht weit. Also habe ich versucht, das zu fokussieren, was gut ist oder wieder gut sein wird, mehr zu schreiben, wie ich es mir wünsche – den Kopf ÜBER Wasser zu haben und nicht drunter, die Leichtigkeit, die mit dem Sommer wiederkommt, die Zuwendung von Menschen zueinander, auch wenn sie sich uneinig sind oder sich früher gegenseitig verletzt haben. Verständnis und Versöhnung allgemein als Ziel zu formulieren, war mir wichtig, auch wenn ich im heftigsten Spannungzustand war.  Wenn es mir gelungen ist, das zu übertragen, diese Entscheidung und Entschlossenheit, das Ziel  (die Leichtigkeit und Verbundenheit) nicht aus den Augen zu verlieren, dann ist das die Magie, die ich meine, denn diese Haltung kann überlebenswichtig werden. Ich habe die Spaltung, oder zumindest die Risse in der Gesellschaft, die gegenseitigen Schuldzuweisungen und Verunglimpfungen als sehr belastend erlebt, genauso wie die vielen Schattierungen von Einsamkeit, die durch die Pandemie freigelegt wurden.

Der Lockdown hat dann insofern eine Rolle gespielt, als er viel Lücke gelassen bzw. erzeugt hat, sich um den Produktionsprozess des Albums und das drumherum (Förderung beantragen, Produzent finden, Label finden, etc.) zu kümmern. Durch den Produzenten, der erst nach der ersten Session eingestiegen ist, haben sich einige Arrangements stark verändert. Oft war auch der Weg ins Studio (außer einkaufen) der einzige, den ich zurücklegen konnte und durfte. Das, also der Weg und die Aufgabe, ein Album zu vollenden, war in dieser Zeit sehr wichtig für mich, um nicht durchzudrehen.

Das Schreiben solch persönlicher Lieder verbinden viele mit einem Prozess in der Isolation (um nicht im Elfenbeinturm zu schreiben) – Du hast den Weg gesucht, Texte im Austausch mit Gleichgesinnten in Workshops etc. entstehen zu lassen. Erzähle mal etwas zum Themenkomplex SAGO. Was hat das Dir gebracht/bringt es Dir noch? Ich erinnere mich: Der Begriff der Achtsamkeit im Zusammenhang mit Deinen Worten fiel einmal?
Es ist genau für die Frage nach (zu viel) Privatheit, die Du vorhin angesprochen hast, wichtig, Rückmeldung darüber zu bekommen, wie ein Song auf andere wirkt. Und diese Rückmeldungen möchte ich nicht unbedingt aus dem Freundes- oder Familienkreis bekommen, sondern sehr gerne von anderen Lieder- oder Songschreibenden. Für eine Weile allein über einen Song zu brüten, ist immer noch gut für mich, ich muss das Thema und die Fragmente von Worten und Tönen und Sounds erstmal eine Weile im Herzen bewegen, bis ich etwas habe, dass ich vortragen kann. Aber in der ersten Form ist der Song selten schon fertig. Ich habe oft Strophen, die sich als Holzweg erweisen, einzelne Worte die quer liegen oder Melodielinien, die noch nicht passen. Die Rückmeldungen der anderen helfen mir dann, besser auf den Punkt zu kommen. SAGO hat mir viel gebracht in der Betrachtung von Liedtexten.

Auch das Bewusstsein darüber, dass es bei Songthemen  und -Texten einen „inneren Kreis“ von zu Privatem und einen „äußeren Kreis“ von Dingen, von denen man zu wenig Ahnung hat, Gebieten, wo man sich zu wenig auskennt, gibt. Im besten Fall schreiben Texter*innen nur über die Zone zwischen den beiden Kreisen. Die Grenzen austesten kann man dann immer im geschützten Rahmen der SAGO-Seminare. Ich weiß nicht, ob ich von Achtsamkeit sprach, denn ich mache um dieses Wort gerne einen großen Bogen, weil die Zusammenhänge, in denen es auftaucht mir immer wahlloser erscheinen. Aber im Zusammenhang mit SAGO finde ich „Kontemplation“ sowieso das treffendere Wort.

Wie in den den Lehren, in denen auch Achtsamkeit eine Rolle spielt (Buddhismus, Shaivismus etc.) ist die Kontemplation die Vertiefung in einen Gegenstand, die das Ziel verfolgt ,dessen Essenz zu verstehen und zu kommunizieren. Ich verstehe Christoph Stählin so, dass es ihm beim SAGO genau darum ging, und so sehe und erlebe ich SAGO auch. Außer der einen oder anderen tiefen Erkenntnis und einem guten Netzwerk hat SAGO mir aber auch einen Job gebracht. ich bin da jetzt offiziell Dozentin. Und noch was zur Isolation: Alles allein zu machen mag für eine Weile sinnvoll sein, aber glücklich macht es sicher nicht.

Claudia Fink: Über Wasser, Waterfall Records/Broken Silence, ab 1. April erhältlich
 
30. März 2022, 11.34 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
Fotogalerie:
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