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Foto: Journal Frankfurt
Foto: Journal Frankfurt

Der Verleger Rainer Weiss im Gespräch

„Wir müssen Bücher auf den Markt bringen, die zur Diskussion beitragen.“

Der Verleger Rainer Weiss hat die Buchbranche in all ihren Facetten erlebt. Im Gespräch erzählt er von den Herausforderungen, die ein Independent-Verlag mit sich bringt – und hebt die Verantwortung hervor, die Verlage im Umgang mit rechtem Gedankengut haben.
JOURNAL FRANKFURT: Rainer, du warst 21 Jahre bei Suhrkamp und hast mit Weissbooks.w 2008 deinen eigenen Verlag gegründet. Wie hast du die Frankfurter Buchmesse in den vergangenen Jahren erlebt?

Rainer Weiss: Ich war nie ein Messefreak. In unserer Branche ist die Buchmesse bekanntermaßen der Höhepunkt des Jahres. Bei Suhrkamp damals …, ja, da hast du schon zwei Wochen vor der Messe gemerkt, wie alle dem große Ereignis entgegenfiebern – plötzlich gingen sie alle zum Friseur und kauften sich neue Kostüme oder Anzüge. Klar: Die Buchmesse ist der gesellschaftliche Höhepunkt in dieser Branche, bei der man natürlich auch viele Leute trifft, gute Leute, aber auch die schrecklichen Bescheidwisser und Poseure – ein echtes Get-together. Bei Suhrkamp herrschte immer ein unglaublicher Rummel: Der Verlag war immer angesagt, jeder hat sich dort gerne sehen lassen. Das hing damals, lange her, natürlich auch noch mit dieser Verlegerpersönlichkeit Siegfried Unseld zusammen. Heute sind diese beeindruckenden Verleger ja praktisch ausgestorben. Es gibt zwar Verlagsleiter, viele sehr gute, aber sie haben nicht diese Strahlkraft. Vielleicht auch, weil ihnen die Verlage, die sie leiten, nicht gehören. Richtige Verleger im klassischen Sinne gibt es ja nur noch bei den Independents, wie Jörg Sundermeier oder Dietrich zu Klampen. Oder auch so einer wie Christian Strasser: Er mag umstritten sein, ist aber eine echte Verlegerpersönlichkeit. Hinter ihm steht eine Lebensleistung und vor allem viele Auf und Abs. Verleger wie Christian Strasser und natürlich Siegfried Unseld mussten auf ihrem Weg immer wieder neu aufstehen, kämpfen und sich immer wieder neu erfinden. Das fehlt doch vielen Verlags- und Programmleitern von heute.

Wie empfindest du die Messe heute?

Was mir persönlich seit einigen Jahren unglaublich auf die Nerven geht, ist dieses Vertuschen von Realität, diese Selbstbeweihräucherung. An jedem Stand hörst du die Gebetsmühlen: dass es das beste Jahr seit langem sei, so erfolgreich wie nie – obwohl jeder weiß, dass das nicht stimmt. Für mich war es auch deswegen schön, einige Jahre mit einem kleinen Verlag unterwegs zu sein. Man muss diesen ganzen Erfolgsterror nicht mehr mitmachen. Dann kommen eben nicht so viele Menschen vorbei, wie bei den großen Marken, aber du hast deine vier, fünf guten Bücher, die du ganz alleine gemacht hast und für die du, wie Peter Handke die Pilze, Leser suchen musst.

Aber es war ja schon recht mutig, in der aktuellen, wirtschaftlich nicht einfachen Zeit, einen kleinen Independent-Verlag aufzumachen.

Ich bin 2006 mit 57 bei Suhrkamp ausgeschieden. Das ist eigentlich kein geschicktes Alter, um eine gute, sichere Stelle aufzugeben. Es gab natürlich einige Leute in meinem Umfeld, die mir davon abgeraten haben, aber ich brauchte einfach eine Veränderung. In Rente zu gehen, war keine Option. Ich habe mich mehr als fit gefühlt und hatte durchaus das Gefühl, noch einiges bewegen zu können. Nun gab es mehrere Optionen: Damals war es schick, Agent zu werden. Das wäre insofern leichter gewesen, als dass du dafür nur einen Computer und ein Telefon brauchst und nicht die Organisation, die für einen Verlag notwendig ist. Ich habe eine ganze Weile nach meiner Suhrkamp-Zeit hin und her überlegt und zunächst eigentlich gedacht, dass ich mich als freier Lektor durchschlagen könnte. Ausschlaggebend war dann jedoch die für mich wunderbare Begegnung mit Anya Schutzbach, damals Marketingchefin bei Suhrkamp. Wir haben uns rein zufällig getroffen und sie sagte mir, dass sie eigentlich bald einmal etwas Eigenes machen wollte. Das war der Moment, in dem wir beide dachten, wir könnten doch etwas zusammen versuchen. Und das führte dann dazu, dass wir gemeinsam einen Verlag „entworfen“ haben.


Wie muss man sich so eine Verlagsgründung vorstellen?

In der Vorbereitung saßen wir mindestens acht oder neun Monate praktisch jeden Tag zusammen und haben alles durchkonjugiert. Vor allem aber waren wir unterwegs, um die finanzielle Basis zu sichern, im Klartext: Geld einzusammeln. Wir hatten selber kein größeres Vermögen, das wir hätten investieren können, haben uns aber vorgenommen, dass wir eine Million Euro zusammenbekommen – und das haben wir auch geschafft. Am Anfang war es unheimlich schwer. Jeder, der sich mal mit einer Unternehmensgründung befassen musste, kennt das: zu Beginn wird man angegafft und nicht ernst genommen. Aber irgendwann hast du plötzlich Glück – wenn du dran bleibst, nie aufgibst. Das Glück zeigte sich uns in Gestalt einer vornehmen und liebenswürdigen Dame, die wir in Zürich besucht haben. Wir hatten natürlich immer ein kleines Köfferchen mit unserer Präsentation bei uns – alles Sachen, die ich vorher nie gemacht habe – und diese Dame hat dann, zehn Minuten nach Beginn unserer Vorstellung, sehr spontan zugesagt. Die genaue Summe, um die es dabei ging, kann ich natürlich nicht nennen, aber es war eine Summe, mit der wir nicht gerechnet hatten. Und mit diesem ersten Geld ging dann plötzlich alles Schlag auf Schlag. Plötzlich war das Vertrauen in Anya und mich da und der Verlag wurde von Tag zu Tag wirklicher.

Das klingt aber schon nach sehr viel Stress für einen 57-Jährigen. War dir das nicht manchmal zu viel?

Nein, auf keinen Fall. Das war so überragend. Die ganze Zeit der Gründung – rauschhaft schön. Wir sind wahnsinnig viel rumgefahren und entsprechend rumgekommen. Unterwegs haben wir Freunde besucht und Pläne geschmiedet. Das war eine fast unbeschwerte Zeit. Ich habe zu keinem Zeitpunkt darüber nachgedacht, wie alt ich bin. Im Gegenteil: Ich habe mich wahnsinnig jung gefühlt. Wenn man etwas Neues macht, fühlt man sich einfach besser – man darf bloß nicht in den Spiegel schauen. Der Stress kam eigentlich erst, als der Verlag dann stand. Die Finanzkrise fiel praktisch mit der Verlagsgründungszeit zusammen. Wäre sie ein Jahr vorher gewesen, hätten wir das Geld nicht einsammeln können. Insofern hatten wir einerseits Glück bei der Akquise von Kapital, andererseits Pech, dass die Krise kam und sich das Verlagswesen kaum mehr entscheidend nach vorne bewegte. Aber dann hatten wir das Ding und haben es gespielt – und wir haben es gut gespielt. Wirklich stressig war, da muss ich ehrlich sein, dass man sich mit so einer kleinen Lokomotive nur ein kleines Gehalt gönnen kann. Aber das kennen alle Verleger von Independent-Verlagen.

Seit der Buchmesse 2017 wird immer wieder über rechte Verlage und deren Teilnahme an der Messe diskutiert. Dieses Jahr wurden diese Verlage in eine abgelegenere Halle verlegt, um Tumulten vorzubeugen. Hältst du das für den richtigen Weg?

Es gab natürlich immer rechte Verlage, aber was aktuell passiert – allgemein in der Gesellschaft – ist diese plötzliche Erkenntnis, dass die Rechte viel mehr Einfluss hat, als man das früher gedacht hat. Das, was die CDU über Jahrzehnte ab- und zugedeckt hat, ist jetzt explosionsartig nach außen getreten. Darauf reagieren die Menschen mit Angst und überlegen sich, wie man diese Entwicklung ganz schnell wieder kleinkriegen kann. Nur kann man das womöglich gar nicht so schnell wieder kleinkriegen, weil dieser rechte Bodensatz in unserer Gesellschaft nun mal sehr viel vitaler ist, als wir das immer wahrhaben wollten. Im vergangenen Jahr gab es zwei Reaktionen: die Auseinandersetzung mit dem Problem oder aber sich schweigend davon abwenden. Ich denke, die richtige Position liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Dieses Schweigen und Abwenden, das hat natürlich was: Wenn man mit seinem Verlag bei der Buchmesse ist und die Menschen einfach schweigend am Stand vorbeirennen, dann ist das das Frustrierendste überhaupt. Für die Leute in den rechten Verlagen wäre es das Schlimmste, wenn sich einfach niemand für sie und ihre Themen interessiert. Andererseits sind sie natürlich präsent und suchen gezielt die Auseinandersetzung, suchen auch die Schlagzeilen, denn sie sind ja mediengeil. Für sie ist doch nichts besser, als von der „Lügenpresse“ wahrgenommen zu werden. Gleichwohl muss man sich natürlich überlegen, ob es wirklich schlau ist, dass man diese Verlage in die hinterste Ecke der Messe drängt und sich einredet, sie so unter Kontrolle zu haben. Das finde ich ehrlich gesagt etwas billig.

Glaubst du, dass der zu spürende Rechtsruck ein vorübergehendes Phänomen ist, das sich wieder einpendeln wird?

Nein, das glaube ich nicht. Die Frage ist ja, vor allem für junge Menschen, wie schaffen wir wirklich attraktive Alternativen zu dem, was die große Politik uns präsentiert. Die junge Generation – und zwar nicht nur die Akademiker, sondern alle – müssen sich überlegen, wie sie Lebens– und Umgangsformen entwickeln können, die faktisch attraktiv sind und bei denen andere mitmachen möchten, anstatt sich mit Andersdenkenden zu prügeln. Denn die, die letzteres machen, finden leider das attraktiv und spannend – als Vorsitzender eines Fußballvereins in der Frankfurter Kreisliga weiß ich, wovon ich spreche. Und in Bezug auf die Buchbranche: Man löst das Problem nicht, indem man den Stand eines rechten Verlages kurz und klein haut. Das widerspricht allem, weswegen wir angefangen haben, Bücher zu machen. Das ist ein Zeichen von Angst, und Angst ist am Ende kein guter Begleiter. Als aufgeklärter, nicht-rechter Bürger hat man leider das Pech, dass es in dieser Gesellschaft so viele Idioten gibt. Dennoch muss man die Diskussion führen und das funktioniert nur über den Austausch von Argumenten. Ich denke, am besten setzen wir uns mit der Problematik auseinander, indem wir Bücher auf den Markt bringen, die zur Diskussion beitragen. Das ist unsere große und schöne Aufgabe und die sollte jeder Verlag ernst nehmen. Auch wenn die Zeiten nicht so sind, wie wir sie uns jahrelang eingeredet haben.

Über Rainer Weiss: Jahrgang 1949, Studium der Philosophie und Literaturgeschichte. Von 1978 bis 1984 tätig beim Piper Verlag, 1985 bis 2006 beim Suhrkamp Verlag: zunächst als Lektor, dann als Leiter des Theaterverlags, Pressesprecher, Programmdirektor und schließlich Programmgeschäftsführer der Verlage Suhrkamp und Insel. 2008 gründete er den Verlag Weissbooks.w in Frankfurt. 2017 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück und widmet sich heute vor allem seinem Engagement im Kreisligaverein FC Gudesding, dessen 1. Vorsitzender er ist.
 
11. Oktober 2018, 10.00 Uhr
Ronja Merkel
 
Ronja Merkel
Jahrgang 1989, Kunsthistorikerin, von Mai 2014 bis Oktober 2015 leitende Kunstredakteurin des JOURNAL FRANKFURT, von September 2018 bis Juni 2021 Chefredakteurin. – Mehr von Ronja Merkel >>
 
 
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