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Foto: Alex Kraus
Foto: Alex Kraus

Biografie über Hilmar Hoffmann zum 90.

Porträt eines Getriebenen

Der Journalist Claus-Jürgen Göpfert hat zum 90. Geburtstag von Hilmar Hoffmann eine Biografie über den ehemaligen Kulturdezernenten geschrieben. Es ist ein lebendiges Buch mit neuen Einsichten geworden.
Wenn Claus-Jürgen Göpfert, Lokalredakteur der Frankfurter Rundschau, ans Telefon geht, hört man häufig diese freudig ausgerufene Begrüßung: „Hilmar, altes Haus!“ Dann weiß man gleich, wer dran ist: Der ehemalige Kulturdezernent Hilmar Hoffmann. Seit Jahren sind die beiden per du und der Politiker hat dem Journalisten immer viel zu erzählen. Und der 60-jährige Göpfert, der sein halbes Leben lang für die Rundschau schreibt, hört offenbar gerne zu.

Nun hat Hilmar Hoffmann Göpfert sein Leben erzählt. Nicht am Telefon, sondern bei sich zu Hause in Oberrad. Ein halbes Jahr lang, immer sonntags. Göpfert schrieb alles auf seine kleinen gelben Post-its, wie er es immer macht. Auch sprach er mit vielen Zeitzeugen und Weggefährten. Entstanden ist daraus das Buch "Der Kulturpolitiker", die erste umfassende Biografie über Hoffmann, abgesehen von seinen eigenen Memoiren.

Das „alte Haus“ wird am 25. August 90 Jahre alt. Zu diesem Anlass hat das Deutsche Filminstitut das Buch herausgegeben. 464 Seiten dick ist es geworden, angereichert mit 240 zum Teil nie gezeigten Fotos aus der langen Karriere. 20 Jahre lang war Hilmar Hoffmann Kulturdezernent der Stadt und prägte ihr heutiges Erscheinungsbild erheblich. Sein Lebenswerk ist das Museumsufer. Auf seine Initiative hin wurde zuerst das Filmmuseum eingerichtet, dann das Deutsche Architekturmuseum, das Museum für Kunsthandwerk in der historischen Villa Metzler und dem spektakulären Anbau, das Jüdische Museum nebst Dependance Judengasse, schließlich das Museum für Moderne Kunst. Darüber hinaus schuf er das Netz von Stadtteilbibliotheken, baute die Bürgerhäuser aus und gründete ein kommunales Kino, das heute im Filmmuseum integriert ist.

Nur ein Jahr lang hat Göpfert an dem Buch gearbeitet. Claudia Dillmann, die Direktorin des Deutschen Filmmuseums, hat ihn gefragt, ob er zum 90. Geburtstags des ehemaligen Stadtrats eine Biografie schreiben wolle. Da Göpfert Hoffmann seit Jahren kennt und schon seit den 80ern als Journalist begleitet, hat er zugesagt. Wäre das Thema neu für ihn, hätte er auf das Projekt verzichtet, sagt er.

Die Arbeit hat sich gelohnt: Göpfert hat einige neue Aspekte der Biografie ausgegraben, etwa über Hoffmanns Jugend, in der er der NS-Propaganda verfallen war und sich der NSDAP anschloss, dann auch über seine Zeit am Residential University College Wilton Park in Südengland, eine Art Kaderschmiede für junge Deutsche, von denen sich die Briten versprachen, bedeutende Beiträge für den Wiederaufbau in Deutschland zu leisten. Dort traf Hoffmann unter anderem den Philosophen Bertrand Russell. Es waren prägende Wochen.

Göpfert beschreibt Hilmar Hoffmann als einen Getriebenen. Schon in seiner Zeit als Direktor der Volkshochschule in Oberhausen soll er einen Arbeitstag von 16 Stunden gehabt haben. Und er beschreibt ihn als einen umtriebigen Macher, der genau wusste, was er tun musste, um zu bekommen, was er wollte – koste es, was es wolle. Knauserig war Hoffmann als Kulturdezernent nicht.

Das Literaturhaus wurde für eine horrende Miete in einer Villa in der Bockenheimer Landstraße eingerichtet. Für das Museum für Moderne Kunst wurde der Fischladen für eine Millionensumme auf die andere Straßenseite verlegt. Und als Hoffmann Mitte der 80er die Gelegenheit bekam, das Joseph-Beuys-Werk "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" für 2,5 Millionen D-Mark zu erwerben, trickste er, um die CDU-Mehrheit im Römer für den Kauf zu bekommen: Er erzählte, dass das Beuys-Kunstwerk in einer besonderen Abteilung des Museums für Moderne Kunst untergebracht sein solle, die man nur durch ein Drehkreuz betreten könne, wenn man vorher fünf Mark eingeworfen hätte. „Der Kauf des Beuys werde sich also auszahlen, der Kämmerer müsse das Geld jetzt nur vorstrecken“, schreibt Göpfert. „Gemurmel in der Fraktion. Sie stimmt schließlich zu. Das Drehkreuz ist im Museum natürlich nie installiert worden.“

Hoffmanns unermüdlichen Eifer führt Göpfert auf die kindliche Erfahrung zurück: Als Hilmar acht Jahre als ist, taucht der Vater - ein Sozialist - vor den Nazis unter und kommt nie wieder. Der Sohn bleibt allein mit der Mutter zurück. Schon zuvor gab es zu Hause Streit: die Mutter ist überzeugte Nationalsozialistin. Während der NS-Herrschaft hatte es eine Alleinerziehende nicht leicht. „Hoffmanns Ehrgeiz resultiert aus dem Verlassensein“, sagt Göpfert. „Aber auch aus dem Minderwertigkeitsgefühl.“ Hoffmann ist kein Akademiker, hat im Krieg bloß ein Notabitur absolviert. „Er wollte es den anderen zeigen, dass er auch ohne akademische Bildung etwas aus sich machen kann.“

Daher rühre auch Hoffmanns Drang zum Schreiben. Göpfert würdigt in einem Kapitel auch den unermüdlichen Autor, der auch im hohen Alter noch Bücher verfasst, sei es zur Geschichte Frankfurts, wie etwa zwei dicke Bände über die Oberbürgermeister der Stadt, über „große Frankfurter“, „Frankfurts starke Frauen“ oder ein Loblied auf Petra Roths Amtszeit. Das wichtigste Buch aber bleibt „Kultur für alle“ (1979), dessen Forderung noch heute gerne zitiert wird (etwa vom amtierenden Oberbürgermeister Peter Feldmann, SPD) und, wie von mehreren Aussagen im Buch bestätigt wird, immer noch aktuell sein soll. Hoffmann hat darin den Anspruch formuliert, dass Kultur nichts Elitäres sein dürfe, sondern der breiten Bevölkerung offen stehen müsse - ein zentraler Gedanke hinter dem Konzept der Volkshochschule. Was Hoffmann darunter verstand, realisierte er etwa, als er den Eintritt in die Dauerausstellungen der Museen kostenlos und die Buchmesse in der Öffentlichkeit präsenter machte. Literatur fand nicht nur auf dem Messegelände und auf Verlagspartys statt, sondern auch in der Öffentlichkeit, wie etwa bei „Literatur im Römer“.

Trotz aller Ausführlichkeit: "Hoffmanns Leben ist längst nicht erschöpfend erforscht und dargestellt, es bleiben offene Fragen", schreibt Göpfert in seinem Buch. Und auch wenn Göpfert beteuert, sein Buch sei keine Chronik und erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, fallen doch einige klaffende Lücken auf. Die größte Fehlstelle ist Hoffmanns Privatleben. Lediglich ein Absatz ist der Familie gewidmet, darin wird bloß abgehandelt, dass der Politiker auch verheiratet war und Kinder großgezogen hat. Später deutet der Biograf in zwei Sätzen jedoch an, dass es Probleme gab: „Unter der Umtriebigkeit Hoffmanns beginnt seine Ehe zu leiden. Seine Ehefrau Brunhild, die ab 1970 nicht mehr als Schauspielerin an den Städtischen Bühnen arbeitet, sitzt oft abends alleine zuhause.“ Mehr steht da nicht, auch kommt Hoffmann dazu nicht zu Wort. Göpfert hält sich zurück. So ist das wohl, wenn man über Freunde schreibt, vor allem solche, die noch leben. Man fühlt sich ihnen verpflichtet.

Trotzdem spart Göpfert nicht an Kritik, benennt Hoffmanns Fehler und Misserfolge und lässt sie ihn auch selbst eingestehen. Etwa die Episode mit dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder. Hoffmann holte ihn ans Theater am Turm – es war ein Desaster. Immerhin kam dabei eine schöne Anekdote heraus sowie ein Nachspiel über die kontroverse Frage, ob dessen Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" antisemitisch sei. Das alles erzählt Göpfert sehr lebhaft und kurzweilig, weder pathetisch noch anbiedernd. Leider fällt da der Titel des Buches viel zu dröge heraus.

„Ich wollte keinen schwülstigen Titel wie ‚Der Brückenbauer‘ oder ähnliches“, sagt Göpfert. Für ihn sei Hoffmann nun mal ein Prototyp des Kulturpolitikers. „Kaum ein anderer Kulturpolitiker in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg entfaltete eine solche Wirkungsmacht, hinterließ diese Spuren“, schreibt er in seinem Nachwort. „Vieles, das er hier anstieß, fand Nachahmer in anderen deutschen Kommunen.“ Nach dem Ende seiner Amtszeit, Anfang der 90er, habe es einen deutlichen Qualitätsabfall gegeben. Auch den derzeitigen Kulturdezernenten Felix Semmelroth (CDU) kritisiert Göpfert. Zu wenig habe der Stadtrat gekämpft, sei falsche Kompromisse eingegangen, wie etwa bei der Kürzung des Zuschusses für den Club Voltaire. Auch sei es „beschämend“, dass der Kulturcampus auf der Strecke bleibe.

Was Göpfert in der heutigen Kulturpolitik vermisse? „Wir brauchen ein kulturpolitisches Leitbild“, sagt er. Es müsse eine Debatte darüber geführt werden, wofür man das Geld in der Kultur einsetzen wolle, welche Ziele man damit verfolge. Stattdessen gehe es bloß ums Kürzen. „Das große Lebensprojekt, das Hoffmann begann unter dem Motto ‚Kultur für alle‘, es ist noch nicht vollendet“, schreibt er am Ende seines Buches.

Claus-Jürgen Göpfert musste in den vergangenen Tagen wegen seines Buches viele Interviews geben. Er sei überrascht von der großen Resonanz, sagt er, aber natürlich auch erfreut. Hilmar, das "alte Haus", schafft es offenbar immer noch, die Menschen mitzureißen. Göpfert ist ihm mit der Biografie gerecht geworden.

>> Claus-Jürgen Göpfert: Der Kulturpolitiker. Hilmar Hoffmann, Leben und Werk, Deutsches Filminstitut 2015, 464 Seiten, 24,80 Euro.
 
24. August 2015, 11.11 Uhr
Lukas Gedziorowski
 
 
Fotogalerie:
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