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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Ilse Schreiber wird 80

„Der Senf muss passen!“

Am heutigen Rosenmontag feiert Ilse Schreiber ihren 80. Geburtstag. Der Verleger Rainer Weiss hat sich mit der Legende aus der Frankfurter Kleinmarkthalle unterhalten.
Rainer Weiss: Ilse, Sie sind ein Frankfurter Urgestein, eine Legende, die Menschen kennen Sie…
Ilse Schreiber: Naja, geboren bin ich ja gar nicht hier, sondern in Oberschlesien, in Beuthen. Von wo wir geflohen sind, nachdem uns die Nazis am Ort gesagt hatten, dass wir ihnen unsere Wohnung für ein paar Tage übergeben sollten. Das war für meine Mutter, die „rote Hilde“, eine klare Ansage: nichts wie weg.

Das war wann?
1943. Wir standen, hockten und schliefen mit vielen, vielen Flüchtenden in einem Eisenbahnwaggon und landeten erst einmal in Bad Schallerbach in Österreich, wo wir eine Zeit interniert waren.

Wie lange?
Das weiß ich nicht mehr so genau, irgendwann ging‘s aber weiter, wieder in einem Waggon, nach Hof, von dort in den Spessart, nach Eichenberg. Von dort zogen wir nach Kriegsende dann nach Aschaffenburg.

Die ganze Familie Schreiber?
Nein, nicht Schreiber. Wir hießen Chatton, so ein französischer Name, da müssen mal die Hugenotten durch Schlesien gekommen sein – Schreiber hieß ich ja erst nach der Hochzeit mit meinem Mann.

Gut. Aber erst einmal seid ihr in Aschaffenburg gelandet.
Ja, da lebten wir, meine Mutter, meine ältere Schwester Eva, und dann war auch mein Vater aus dem Krieg zurückgekommen. Er war Polsterer und Dekorateurmeister und hat sich dann in Aschaffenburg selbständig gemacht. Ich bin hier zur Schule gegangen und hab eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann gemacht. Ich hatte übrigens einen wunderbaren Lehrer, den Herrn Martin, für den sind wir durchs Feuer gegangen.

Aber dann sind Sie doch bald nach Frankfurt gegangen?
Nein, das noch nicht, aber mit 15 war ich an Fasching im Palmengarten, und da war ein junger Mann, mit dem ich mich gut unterhalten hab, der Hans. Ein ganz gescheiter Kerl.

Und aus euch beiden wurde ein Paar?
Ja, aber das hat schon noch gedauert. Erst einmal hat mir der Hans am 24.2.1955 einen Blumenstrauß geschickt, meinen ersten Strauß, und dann stand er auch bald bei meinen Eltern vor der Tür. Die haben ihn gleich gemocht, er kam ja auch aus gutem Haus, der Metzgerei Schreiber in Bockenheim, wo Hans Metzger in der 5. Generation war. Geheiratet haben wir dann 1958 im Römer.

Und die Metzgerei war wo in Bockenheim?
In der Falkstraße, wo ich ab sofort mitgearbeitet habe. Ich hab‘ am Tresen verkauft, nebenbei noch jeden Tag für zehn Leute, unsere Lehrlinge und Angestellten, gekocht und unsere zwei Kinder großgezogen, die 1961 – der Toni – und 1964 – die Ursula – auf die Welt gekommen sind. Mein Mann, der eigentlich mal Opernsänger hatte werden wollen und ein großer Leser war, hat oft Gäste aus allen möglichen Ländern eingeladen, es war halt immer was los. Aber irgendwann ist er dann auch krank geworden, sodass wir 1979 die Metzgerei aufgegeben haben.

Und dann ging‘s in die Kleinmarkthalle?
Nein, da waren die Schreibers schon seit 1955, es gab die Metzgerei in Bockenheim und den Laden in der Kleinmarkthalle, wo ich morgens um 5 Uhr schon alles vorbereiten musste, um bis abends hinter dem Tresen zu stehen, wenn ich nicht zwischendurch in die Falkstraße musste oder zum Krankenbett meines Mannes. Das ging über viele Jahre. Und mein Mann ist dann 2009 gestorben.

Und wollten Sie nicht irgendwann Ihren Laden aufgeben?
Wieso denn? Das ist doch mein Leben. Ich muss da sein. Wobei ich meine Kinder gut verstehen kann, die ganz eigene Wege gegangen sind. Ich sag immer: Die Kinder gehen schon bald in Rente, und die Mutter schafft immer noch! Aber auch wenn sich in der Kleinmarkthalle vieles verändert hat, es war halt früher irgendwie gemütlicher, hab‘ ich meine Gäste gern – und am liebsten die Bauarbeiter, mit denen kannst du reden. Mit den Doktoren natürlich auch, ich kann‘s mit allen, und die Leute werden nie untreu!

Die lieben ja auch Ihre Fleischwurst…
Ja, mit und ohne Knoblauch, und die Rindswurst, die Gelbwurst und die Krakauer. Mit Brot oder Brötchen. Und ganz wichtig: der Senf. Mein Senf ist der teuerste, und das muss auch so sein. Ich sag immer: Der Senf muss passen!

Und da stehen die Leute Tag für Tag Schlange für Ihre Wurst?
Ja, und ich hab‘ auch für jeden ein Wort, jeder, der vor mir steht, ist ein Gast für mich, und die meisten verstehen mein Frankfurterisch, und mit den Japanern red‘ ich ein bisschen Englisch, man muss sich in die Menschen einfinden. Dann kommen sie auch immer wieder.

Sie sind ja total populär, und das nicht nur in Frankfurt.
Naja, das hat sicher damit zu tun, dass über mich in vielen Zeitschriften und Zeitungen geschrieben wurde und dass auch viele Prominente bei mir waren, wie zum Beispiel die Frau Roth und der Helmut Kohl, auch der Lafer, der hat in die Dippe gekuckt. Aber angefangen hat das alles mit einer Frau Joschko vom Hessischen Fernsehen. Die hat eine Sendung über mich gemacht, und von da an kannten mich die Leut‘.

Sie werden heute achtzig. Wollen Sie nicht einmal kürzertreten oder einen längeren Urlaub machen?
Solange ich gesund bleib, mach ich auch so weiter. „Krank“ ist für mich Gott sei Dank ein Fremdwort. Bei dem Wort muss ich in der Schule gefehlt haben. Und Urlaub? Warum? Ich hab‘s doch zu Hause am gemütlichsten! Und die Leut‘ kommen ja aus allen Ländern zu mir, ob aus Ecuador, China oder Südafrika. Das Einzige, was mir gut tun würde: Wenn ich mal vier, fünf Stunden fest schlafen könnte.

Haben Sie denn je eine öffentliche Ehrung erfahren, einen Orden bekommen oder so etwas?
Nein! Darum hab‘ ich mich aber auch nie gekümmert. Ich bin zufrieden. Fühle mich sehr wohl hier in Frankfurt. Gern bin ich im Palmengarten oder auch im Fritz Remond Theater. Oder bei meiner Sonntagsrunde, zu der ich gehe, wenn ich kann. Und wenn ich mal etwas Ruhe brauche, geh‘ ich auf den Bockenheimer Friedhof, setze mich auf eine Bank, und wenn die Sonne auf das Grab von Hans fällt, denk‘ ich, dass der liebe Gott denkt: Es ist doch alles gut.

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Über Rainer Weiss: Jahrgang 1949, Studium der Philosophie und Literaturgeschichte. Von 1978 bis 1984 tätig beim Piper Verlag, 1985 bis 2006 beim Suhrkamp Verlag: zunächst als Lektor, dann als Leiter des Theaterverlags, Pressesprecher, Programmdirektor und schließlich Programmgeschäftsführer der Verlage Suhrkamp und Insel. 2008 gründete er den Verlag Weissbooks.w in Frankfurt. 2017 zog er sich aus dem operativen Geschäft zurück und widmet sich heute vor allem seinem Engagement im Kreisligaverein FC Gudesding, dessen 1. Vorsitzender er ist.
 
24. Februar 2020, 11.56 Uhr
Rainer Weiss
 
 
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