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Foto: Harald H. Schröder
Foto: Harald H. Schröder

Gesichter der Stadt

Gabriele von Lutzau: „Ich erkenne immer einen Funken Hoffnung“

Gabriele von Lutzau war im „Deutschen Herbst“ zur falschen Zeit am falschen Ort. Bekannt wurde sie damals als „Engel von Mogadischu“. Heute glaubt sie an die heilende Kraft der Kunst.
JOURNAL FRANKFURT: Frau von Lutzau, Sie waren Flugbegleiterin an Bord der Boeing 737 „Landshut“, die 1977 entführt wurde. Wie ist heute Ihr Blick auf dieses historische Ereignis?
Gabriele von Lutzau: Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass sowohl das Ereignis als auch ich Geschichte sind. Ich schaffe es meistens, die Geschehnisse mit einer gewissen Distanz zu betrachten.

Wann ist diese Distanz eingetreten?
Nachdem Heinrich Breloer den Film „Todesspiel“ gedreht hat, das war 1997, hat es bestimmt noch zehn Jahre gedauert. Es ist also nicht lange her. Traurig macht mich, dass es bisher noch nicht gelungen ist, ein Museum zum Deutschen Herbst mit der „Landshut“ zu realisieren.

Die Lufthansa-Maschine liegt derzeit auseinandergenommen in einer Lagerhalle von Dornier am Bodensee.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat das Projekt vom Innenministerium übertragen bekommen. Aber ich habe keine Ahnung, was bisher passiert ist und fürchte, dass ich die Museumseröffnung nicht mehr erleben werde. Das frustriert mich, und das hat die „Landshut“ nicht verdient.

Sie waren damals für die Menschen an Bord eine wichtige Stütze, das hat Ihnen den Namen „Engel von Mogadischu“ eingebracht. Haben Sie noch Kontakt zu denen, die damals dabei waren?
Ich habe noch Kontakt zum damaligen Co-Pilot Jürgen Vietor und zu einigen Passagieren. Sie suchen öfters das Gespräch mit mir und dafür habe ich immer ein offenes Ohr. Mir gelingt es, in ausweglosen Situationen immer noch einen Funken Hoffnung zu erkennen und das kann ich vermitteln. Es kommen viele Freunde zu mir, die sich ausweinen. Das macht mir nichts aus, im Gegenteil. Ich habe dann das Gefühl: Ich bin nützlich.

Sie konnten Ihr Trauma erst mithilfe der Kunst verarbeiten, sagten Sie einmal.
Ja, das ist wahr. Künstler arbeiten meist aus einer inneren Unwucht heraus. Man muss ein paar Schläge im Leben weggesteckt haben, sodass man in die Tiefe der eigenen Seele eindringen kann. Sonst hüpft man nur wie ein Stein über die Oberfläche des Wassers und sinkt erst, wenn man tot ist. Ich habe gelernt, durch die vielen Schichten meiner Seele abzutauchen und dort Dinge zu erspüren. Und das setze ich um in meiner Kunst.

Ihre Arbeiten heißen Wächter und Lebenszeichen.
Die Wächter sind Essenz meiner Kunst. Aus ihnen heraus haben sich alle anderen Formen entwickelt: Die Schwinge, der Vogel. Meine Wächter hatten anfangs die Grundform eines Ypsilons und ähnelten Schwertern. Von den Wächtern bin ich zu den Schwingen gekommen, die ich zu Fiederungen reduziert habe. Daraus haben sich wiederum Cherubim und Seraphim entwickelt. Im Alten Testament bestehen diese Engel nur aus Flügeln und sind so schrecklich, dass man sie nicht anschauen kann. Sie sind die Armee Gottes und können in einem Sturm aus Flügeln alles vernichten oder auch beschützen.

Es wäre schön, wenn die Kunst beschützen könnte.
Ich habe zum ersten Mal Schwingen gemacht, als am 11. September 2001 die Türme des World Trade Centers eingestürzt sind. Ich habe den Menschen Flügel gewünscht. Da fing ich an, die Flügel von meinen Arbeiten abzukoppeln. Sie sollten für sich stehen. Ich kann die Menschen nicht retten, aber ich kann versuchen, eine Brücke für sie zu bauen – und wenn es nur in meinem Kopf funktioniert. Aber vielleicht funktioniert es auch in anderen Köpfen.

Sie arbeiten mit Flammenwerfer und Kettensäge. Mit diesen Geräten verbindet man ja eher Zerstörung, oder?
Wenn ich einen Holzstamm vor mir habe, kann ich sehen, was darin gefangen ist. Ich zerstöre das Holz nicht, ich befreie etwas aus dem Holz und dafür brauche ich die Kettensäge.

Einige Ihrer Arbeiten nehmen Bezug auf andere historische Ereignisse. Können Sie uns ein Beispiel geben?
Ich habe vor einigen Jahren an einem Symposium in der Nähe von Weimar teilgenommen. Dort befindet sich das KZ Buchenwald. Ich habe mich auf die Suche nach einer Buche gemacht. An der sogenannten Blutstraße, einer Waldchaussee, die die Häftlinge angetrieben von der SS ausbauen mussten, wurde eine Buche gefällt. Diese Buche muss alles gesehen haben. In dem Holz war auch ein Herz mit der Jahreszahl 1956 eingeritzt. Ich habe ein Stück des Baumes bekommen und eine Skulptur daraus gemacht, die ich „Buchenwald“ genannt habe. Es ist ein Flügel entstanden, der sich in einem Käfig befindet. Diese Arbeit befindet sich heute in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.

Kann Kunst die Welt retten?
Nein, sie kann aber heilen, sie kann Seelen heilen, und wenn es nur meine Seele ist.

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Gabriele von Lutzau wurde 1954 in Wolfsburg geboren. 1977 war sie an Bord der von einem palästinensischen Terrorkommando entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“. Sie wurde für ihren Einsatz mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Als Flugbegleiterin hat sie nach der Entführung nicht mehr gearbeitet. Von 1984 bis 1995 lernte sie Bildhauerei bei Professor Walther Piesch, Universität und Kunsthochschule Straßburg. Gabriele von Lutzau hat zwei Kinder und lebt in Frankfurt-Bockenheim und im Odenwald.

Dieses Interview ist zuerst in der Juni-Ausgabe (6/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
7. Juli 2022, 13.00 Uhr
Jasmin Schülke
 
Jasmin Schülke
Studium der Publizistik und Kunstgeschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit Oktober 2021 Chefredakteurin beim Journal Frankfurt. – Mehr von Jasmin Schülke >>
 
 
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