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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Martin Wentz über Wohnungsbau

"Diese Stadt steht bald mit dem Rücken zur Wand"

Martin Wentz (SPD) war von 1989 bis 2000 Planungsdezernent. Das Konzept der Nachverdichtung sieht der Projektentwickler und Professor für Städtebau kritisch. Stattdessen fordert er neue Stadtviertel auf Ackerflächen.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Wentz, wir befinden uns in einem Neubau im Ostend in Ihrem Büro, im Dachgeschoss wohnen Sie. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung, die das Viertel mit dem Neubau der EZB genommen hat?
MARTIN WENTZ: Aber ja! Sehen Sie, ich erinnere mich noch gut an die Diskussion um einen Standort für die Zentralbank. Die Verlagerung des Großmarkts wurde von mir schon lange betrieben, um die Entwicklung des Ostends als Wohnquartier voranzutreiben. Ich weiß noch wie heute, wie ich damals mit dem zuständigen EZB-Direktor hinausfuhr und er meinte: „In diese Bronx von Frankfurt soll die EZB? Sie haben keine Ahnung, wer wir sind.“ Ich brachte den Vergleich mit dem UN-Gebäude in New York an, versuchte die Vorstellung von wehenden Fahnen am Mainufer zu wecken. Letztlich gab ein Gutachten den Ausschlag fürs Ostend – auch wegen der Sicherheitsbedürfnisse der Bank.
 
Sie haben die Teilnahme von Frank O. Gehry am Architektenwettbewerb für den Neubau der EZB unterstützt. Jetzt blicken Sie täglich auf das Werk des Architekturbüros von Hans Prix. Zufrieden?
Ich mag die beiden Türme, wie sie sich umeinanderwinden und sich von jeder Seite das Licht anders in ihnen spiegelt. Etwas schlanker hätten sie allerdings sein dürfen. 
 
Und der Umgang der Architekten mit der Großmarkthalle?
Unmöglich. Der ganze Eingangsbereich ist schlicht furchtbar. 
 
Ein Schnitt zerteilt den Bau Martin Elsaessers nun. 
Für den gab es keine Notwendigkeit. Heute sieht man, dass man das in keinster Weise braucht. Der Grund war schlicht der Versuch, die Architektur von Elsaesser unter die eigene Knute zu bringen. 
 
Damit muss man leben als Stadtplaner – dass man nur die Bühne für andere bereitet. 
Ich schaue mir regelmäßig an, was aus den von mir zu verantwortenden Projekten geworden ist, und habe auch keine Hemmungen, sie – das heißt auch mich – zu kritisieren. Wissen Sie, oftmals sind es einfache oder auch nur technische Erkenntnisse. Aber wenn Sie ein ganz neues Stadtviertel planen, dann muss es dafür nicht nur eine Vision geben, man muss die Umsetzung auch bis zum Schluss begleiten. Wie ein Kind, das man in die Welt setzt und über dessen Erziehung man nicht nur Klarheit gewinnen, sondern sie auch durchsetzen muss. 
 
Nicht ganz einfach bei den widerstreitenden politischen Interessen in einer Stadt wie Frankfurt. 
So ist es – ein Planungsdezernent muss sich seine Mehrheiten suchen, erst in der Stadtregierung, dann im Parlament. Das führt zu Kompromissen bei der Vision, was für die Grundzüge der Planung nicht immer ideal ist. 
 
Unter Ihrer Ägide wurde der Riedberg geplant. Wurden dort zu viele Kompromisse gemacht?
Vor allem hinsichtlich der Zahl der Bewohner. 20 000 Einwohner sollten dort in 8000 Wohnungen leben, die damalige CDU zwang mich, auf 15 000 Bewohner und 6000 Wohnungen runterzugehen. Das sehen Sie heute an den Straßenzügen und der Lebendigkeit dieses Stadtteils – es fehlt schlicht ein Viertel der Menschen, die dort hingehören würden. Deswegen funktioniert die kommerzielle Infrastruktur nur eingeschränkt. Wenn sie nicht nur im Zentrum Restaurants oder Frisöre haben wollen, muss es eine ausreichende Nachfrage geben. Dazu muss dann eine ausreichende Anzahl an Menschen im Umfeld wohnen oder arbeiten. 
 
Dann wäre die Bebauung aber weitaus dichter. 
Das hätte dem Riedberg in Teilbereichen gutgetan. Die Straßen sind groß genug, an einigen Stellen sieht man richtig, dass es mal anders geplant war. Das Zweite, was dem Riedberg fehlt, ist eine architektonische Qualität bei den ersten Wohngebäuden, die Maßstäbe setzten – was das bringt, sieht man zum Beispiel am Deutschherrnviertel, dort haben wir eng mit den Investoren zusammengearbeitet und konnten über die Bauaufsicht das Schlimmste verhindern. Um den Riedberg hat sich nach meinem Ausscheiden aus dem Magistrat niemand mehr richtig gekümmert. 
 
Jetzt wurde ein Viertel auf dem Pfingstberg diskutiert – und im neuen Koalitionsvertrag von CDU und Grünen erst einmal abgeschmettert. Warum wurde dieses Projekt nicht schon in den 90ern angegangen?
Damals sprachen zwei Gründe dafür, den Riedberg vorzuziehen: Er war näher an der Stadt, und die Universität hatte dort zwei Institute und war bereit, die Naturwissenschaften dorthin umzusiedeln. Das war ein gutes Konzept für den neuen Stadtteil, um auch Mitstreiter für das Projekt zu finden.
 
Die Stadt scheint derzeit von solchen Projekten zu zehren. 
Das ist so. Die Stadt ist vergleichsweise ruhig, auch weil die Parteien die von der Verwaltung produzierten Zahlen zum Wohnungsmarkt weitgehend ignorieren und weil die Mehrheit der Menschen, die der Wohnraummangel wirklich betrifft, keine Proteste auf die Straße bringen. Die Quittung haben die Parteien jetzt bei der Kommunalwahl bekommen – und so wird es auch weitergehen, denn eigentlich ist es fast zu spät, um das Ruder beim Wohnungsbau noch herumzureißen.
 
Sie verknüpfen den Wohnungsbau mit der niedrigen Wahlbeteiligung und dem guten Abschneiden rechter Parteien?
Die Korrelation ist nicht von der Hand zu weisen – auch wenn die Ursache nie monokausal ist. Das war schon 1989 bei der Wahl der NPD in die Stadtverordnetenversammlung so.
 
Die Stadtregierung brüstet sich mit vielen neuen Wohnungen, die sie geschaffen hat – unter anderem durch Nachverdichtung. 
Es sind aber bei Weitem nicht genug. Circa 35 000 Wohnungen fehlen nach offiziellen Angaben derzeit. Und überhaupt: Was heißt denn Nachverdichtung? Es sind viele kleine Projekte, und bei jedem ist der Aufwand enorm, teilweise auch der Widerstand. Es ist effizienter, ein neues Stadtviertel durchzusetzen.
 
Es heißt stets, in Frankfurt gebe es dafür keine Flächen mehr. 
Als früherer Physiker liebe ich Statistiken. Und diese gefällt mir besonders: Frankfurt hat 6000 Hek­tar Ackerland – in dieser Zahl ist kein Stadtwald mit drin und kein Grüngürtel. Die Fläche, die in Frankfurt tatsächlich mit Wohngebäuden bebaut ist, ist ebenfalls 6000 Hektar groß. Kein Mensch wird sagen, alle Äcker müssten bebaut werden, aber zu sagen, Frankfurt hätte kein Potenzial mehr, ist einfach falsch.
 
Das Heil wird in der Region gesucht. 
Ja, und die Menschen werden die Wetterau versiegeln und alle als Pendler wieder zurückkommen. Das Sankt-Florian-Prinzip! Das ist ökologischer Unsinn. Die Parteien müssen sich in Frankfurt endlich eingestehen, dass diese Stadt bald mit dem Rücken zur Wand stehen wird, wenn man den Wohnungsbau nicht ernsthaft angeht und nicht immer nur kleinredet. Der Pfingstberg wäre beispielsweise ein guter Anfang, aber dabei darf es nicht bleiben. 

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Das Interview mit Martin Wentz wurde für das Journal-Frankfurt-Heft "Wohnen in Frankfurt" geführt. Hier können Sie es bestellen.
 
25. Mai 2016, 11.26 Uhr
Nils Bremer
 
 
Fotogalerie:
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