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Zwischenruf von Martin Kliehm
"Kameras helfen nicht gegen den Terror"
„Ironischerweise wurde Anis Amri am Ende bei einer normalen Kontrolle gestellt – ohne Videoüberwachung", sagt Martin Kliehm, Co-Vorsitzender der Fraktion "Die Linke im Römer". Mehr Videoüberwachung lehnt er ab.
Es ist Wahlkampf. Mangels anderer Themen positioniert sich die CDU als „Law and Order“-Partei. Sie instrumentalisiert dabei Anschläge und Gewaltakte. Sie schürt Ängste und bietet technokratische Pseudo-Lösungen, um das dadurch aus den Fugen geratene „Sicherheitsempfinden“ zu besänftigen. Neben Forderungen, die sie dafür von der AfD übernimmt, ist das Patentrezept stets: mehr Videoüberwachung!
Videoüberwachung greift massiv in unsere Grundrechte ein. Doch den Beweis für ihre Wirksamkeit bleiben Polizei und CDU schuldig. Ich stellte dazu parlamentarische Anfragen: Die meisten Züge und Stationen in Frankfurt werden videoüberwacht, Hunderttausende täglich gefilmt. 2010 wurden der Polizei ganze 15 Videoaufzeichnungen übermittelt. 2011 waren es 30, 2012 41 Fälle. In wie vielen Fällen diese Aufnahmen tatsächlich zur Aufklärung von Straftaten oder zur Verurteilung beigetragen haben, ist nicht bekannt.
Bekannt ist das jedoch im kameragespickten London: 2008 wurden drei Prozent aller Fälle von Straßenraub mithilfe von Überwachungskameras aufgeklärt. Fünf Jahre später hat sich die Zahl fast verdoppelt, unter anderem darum, weil nun „Super Recogniser“ bei der Polizei arbeiten, die besondere Fähigkeiten haben, sich an Gesichter zu erinnern – nur die Technik alleine fängt keine Verbrecher. Aber die Metropolitan Police gibt zu: pro tausend Kameras wird nur ein Fall pro Jahr gelöst.
In Frankfurt ist gerade der Drogenhandel mobil und flexibel. Rund um die Konstablerwache hat die Anzahl der Drogendelikte von 1581 Fällen im Jahr 2002, bevor die drei Kameras installiert wurden, auf 960 im Jahr 2012 abgenommen. Aber es ist ein Kontrolldelikt. Vielleicht hat sich die Szene verlagert, vielleicht wird weniger gekifft, vielleicht kontrolliert die Polizei seltener. Die Zahlen sind rückläufig, dennoch möchte der Polizeipräsident im Allerheiligenviertel eine weitere Kamera aufstellen. Eine Truglösung, um Beschwerden zu besänftigen.
Kameras helfen nicht gegen Terror. Auch Betrunkene oder Schläger lassen sich erwiesenermaßen nicht durch Kameras von Belästigungen und Straftaten abhalten. Davon gab es auf der Zeil 2015 rund 800, darunter „Beleidigungen und Pöbeleien“ sowie 150 Trick- und Taschendiebstähle. Aber ist es die geeignetste Maßnahme, deswegen Kameras aufzustellen und nicht etwa mehr Polizei auf Streife zu schicken? Ist es verhältnismäßig, wegen 150 Taschendiebstählen die Freiheit aller einzuschränken?
An der Hauptwache gibt es fast jedes Wochenende Demonstrationen – eine anlasslose Videoüberwachung verbietet das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Selbst beim Christopher Street Day werden die Kameras an der Konsti nicht abgeschaltet, wie eine Anfrage ergab. Knutschen beim CSD? Die Polizei schaut zu.
Freilich kann der Polizeipräsident nicht genau sagen, wann das geschieht oder wie viele Personen Zugriff auf diese sensiblen Daten haben. Auch keine Informationen zur technischen Ausstattung oder ob verbotswidrig Hauseingänge und Fenster von Gebäuden beobachtet werden. Wie oft Straftaten mithilfe von Videobildern aufgeklärt werden konnten oder in wie vielen Fällen die Polizei „umgehend einschreiten“ konnte, wie es Boris Rhein (CDU) postfaktisch behauptete? Keine Zahlen. Stattdessen werden Einzelfälle zitiert, bei denen es mal geklappt hat. Ironischerweise wurde Anis Amri am Ende bei einer ganz normalen Polizeikontrolle gestellt, ohne Videoüberwachung.
Martin Kliehm ist hauptberuflich Webentwickler und Co-Vorsitzender der Fraktion "Die Linke im Römer" und deren rechtspolitischer Sprecher.
Videoüberwachung greift massiv in unsere Grundrechte ein. Doch den Beweis für ihre Wirksamkeit bleiben Polizei und CDU schuldig. Ich stellte dazu parlamentarische Anfragen: Die meisten Züge und Stationen in Frankfurt werden videoüberwacht, Hunderttausende täglich gefilmt. 2010 wurden der Polizei ganze 15 Videoaufzeichnungen übermittelt. 2011 waren es 30, 2012 41 Fälle. In wie vielen Fällen diese Aufnahmen tatsächlich zur Aufklärung von Straftaten oder zur Verurteilung beigetragen haben, ist nicht bekannt.
Bekannt ist das jedoch im kameragespickten London: 2008 wurden drei Prozent aller Fälle von Straßenraub mithilfe von Überwachungskameras aufgeklärt. Fünf Jahre später hat sich die Zahl fast verdoppelt, unter anderem darum, weil nun „Super Recogniser“ bei der Polizei arbeiten, die besondere Fähigkeiten haben, sich an Gesichter zu erinnern – nur die Technik alleine fängt keine Verbrecher. Aber die Metropolitan Police gibt zu: pro tausend Kameras wird nur ein Fall pro Jahr gelöst.
In Frankfurt ist gerade der Drogenhandel mobil und flexibel. Rund um die Konstablerwache hat die Anzahl der Drogendelikte von 1581 Fällen im Jahr 2002, bevor die drei Kameras installiert wurden, auf 960 im Jahr 2012 abgenommen. Aber es ist ein Kontrolldelikt. Vielleicht hat sich die Szene verlagert, vielleicht wird weniger gekifft, vielleicht kontrolliert die Polizei seltener. Die Zahlen sind rückläufig, dennoch möchte der Polizeipräsident im Allerheiligenviertel eine weitere Kamera aufstellen. Eine Truglösung, um Beschwerden zu besänftigen.
Kameras helfen nicht gegen Terror. Auch Betrunkene oder Schläger lassen sich erwiesenermaßen nicht durch Kameras von Belästigungen und Straftaten abhalten. Davon gab es auf der Zeil 2015 rund 800, darunter „Beleidigungen und Pöbeleien“ sowie 150 Trick- und Taschendiebstähle. Aber ist es die geeignetste Maßnahme, deswegen Kameras aufzustellen und nicht etwa mehr Polizei auf Streife zu schicken? Ist es verhältnismäßig, wegen 150 Taschendiebstählen die Freiheit aller einzuschränken?
An der Hauptwache gibt es fast jedes Wochenende Demonstrationen – eine anlasslose Videoüberwachung verbietet das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Selbst beim Christopher Street Day werden die Kameras an der Konsti nicht abgeschaltet, wie eine Anfrage ergab. Knutschen beim CSD? Die Polizei schaut zu.
Freilich kann der Polizeipräsident nicht genau sagen, wann das geschieht oder wie viele Personen Zugriff auf diese sensiblen Daten haben. Auch keine Informationen zur technischen Ausstattung oder ob verbotswidrig Hauseingänge und Fenster von Gebäuden beobachtet werden. Wie oft Straftaten mithilfe von Videobildern aufgeklärt werden konnten oder in wie vielen Fällen die Polizei „umgehend einschreiten“ konnte, wie es Boris Rhein (CDU) postfaktisch behauptete? Keine Zahlen. Stattdessen werden Einzelfälle zitiert, bei denen es mal geklappt hat. Ironischerweise wurde Anis Amri am Ende bei einer ganz normalen Polizeikontrolle gestellt, ohne Videoüberwachung.
Martin Kliehm ist hauptberuflich Webentwickler und Co-Vorsitzender der Fraktion "Die Linke im Römer" und deren rechtspolitischer Sprecher.
10. Januar 2017, 10.48 Uhr
Martin Kliehm
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