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Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen

Goethes Wort in Ralph Daniel Mangelsdorffs Ohr. Beim Auftritt des Frankfurter Countertenors am 17.11. im Holzfoyer der Oper Frankfurt sind musikalischen Reisen zwischen Morgen- und Abendland angesagt.
JOURNAL FRANKFURT: Wenn man Ihren Namen bei Google eingibt, kommt man auf keine Mangelsdorff-Website mit detaillierter Biografie, Lebenslauf und Discografie, sondern findet einen bunten Mix an Meldungen und Stichworten: Einer von Deutschlands derzeit bekanntesten Countertenören. Mann mit fundiertem Wissen über die gesamte Vegetation Panamas. Gastsänger an der Bayrischen Staatsoper mit Mussorgski. Bestäubung leicht gemacht: Blätter reflektieren Ultraschallrufe. Können wir von zwei parallel verlaufenden Karrieren sprechen: als Countertenor zwischen traditioneller und zeitgenössischer Musik und als Biowissenschaftler am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität?

Ralph Daniel Mangelsdorff: Karrieren haben mich nicht interessiert, für mich zählt das, wofür man Motivation und Begeisterung aufbringt. Das gilt gleichermaßen für die – im weiteren Sinne – Diverstätsforschung in den Tropen und die zeitgenössische, wie auch die Musik des 14-18 Jahrhunderts. Im Zeitalter der frei diffundierenden Informationen fühle ich mich nicht mit einer allzu großen Lust nach Selbstdarstellung im Netz ausgestattet.

Angefangen hat alles mit ersten Versuchen avantgardistische Popmusik zu machen, wo mich besonders freitonale Harmonik und komplexe Rhythmik interessierte. Ein Feld bei dem man bei den Zuhörern nicht auf besondere Gegenliebe stieß. Danach gab eine verstärkte Hinwendung zur alten Musik, da besonders zur Polyphonie des ausgehenden 14. und beginnenden 15. Jahrhunderts, welche auch heute noch eine besondere Liebe von mir ist, später dann zur Musik des 17. und 18 Jahrhunderts. Bereits während des Gesangsstudiums habe ich an Uraufführungen von zeitgenössischer Musik mitgewirkt. Das setzt sich bis in die Gegenwart fort.

Lange Zeit nur als Hobby habe ich meine Interessen für die Botanik betrieben. Nachdem ich mehr Möglichkeiten hatte, in tropische Länder zu fahren und dort nach den mich interessierenden Gruppen zu schauen, kam ich an einen Punkt wo es sich ganz natürlich ergab, noch ein Biologie-Studium anzuschließen. Nach meiner Diplomarbeit über zwei Gattungen auf Kuba schloss sich eine Promotion an, bei der ich in Panama über pflanzenparasitische Pilze an Farnen und Orchideen forschte.

JOURNAL FRANKFURT: Wie oft treten Sie denn im Jahr auf und sind das dann immer sehr spezielle Veranstaltungen und Events? Wenn man die Auftrittsorte und Programme Revue passieren lässt, sieht es ganz danach aus?

Mangelsdorff: In der letzten Zeit bin ich wegen meinen biologischen Verpflichtungen, nur zu wenigen Auftritten gekommen, so im Schnitt etwa 10 bis 12 im Jahr, meistens bei Neue Musik-Veranstaltungen, oft in der Gegend von Freiburg und in Frankreich. Ansonsten Kirchenmusik.

JOURNAL FRANKFURT: Auch jetzt in der Oper Frankfurt stehen Uraufführungen an dem Programm – für die, die Perihan Önder Ridder nicht kennen, was darf der Zuhörer erwarten?

Mangelsdorff: Es werden sechs Haiku-Vertonungen für Stimme und Klavier und drei Liedvertonungen des tuwinischen Schamanen Galsan Tschinag der Komponistin Perihan Önder-Ridder uraufgeführt. Önder-Ridder studierte bei A. Adnan Saygun und İlhan Usmanbaş, zwei der prominentesten türkischen Komponisten der ersten und zweiten Generation. Weiter studierte sie in Budapest an der Franz Liszt Akademie. Sie war Instrumentations-, Solfège- und Tonsatzlehrerin am staatlichen Konservatorium in Istanbul. Stilistisch fühlt sie sich Saygun, Usmanbaş, Schnittke und Bartók verbunden. Seit 1993 lebt sie in Deutschland. Durch ihren Lebensweg ist ihre Musik geprägt durch die Erfahrung der beiden Kulturen, und damit ein Beitrag zu dem aktuellen Thema 50 Jahre Migration aus der Türkei.

JOURNAL FRANKFURT: Der Abend ist mit „Musikalische Reisen zwischen Orient und Okzident“ überschrieben – den Brückenschlag haben in der Kultur schon viele gesucht und als faszinierend empfunden. Schon einem anderen Frankfurter, Goethe, wird das Wort zugesprochen: „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ D'accord?

Mangelsdorff: D’accord! Nachdem in der Vergangenheit im Westen der Orient als Projektionsfläche für vielfältige Kunst diente, kommen mit den im Konzert aufgeführten Komponisten Stimmen zu Wort, die in der Türkei, Europa und Amerika eine „westliche“ Ausbildung genossen und nun ihrerseits auf ihre eigene Kultur, als auch auf die des Westens blicken. So erleben wir hier gewissermaßen eine doppelte Spiegelung. Für mich persönlich war mein erstes Interesse an der Türkei geweckt worden durch die mich faszinierende Flora. Dies geschah bereits in meiner Schulzeit, da dieses Land erstes Ziel einer selbst organisierten Reise war. Die gastfreundlichen Menschen, die Sprache und die mir damals fremde Kultur haben ein immer noch anhaltendes Interesse geweckt. Insgesamt sollten elf weitere Reisen folgen, bei denen ich mehrere Gebirge zu Fuß durchwandert habe und viel von den Menschen gelernt habe und auch einiges von der Natur kennen lernen konnte. Auch entdeckte ich auf diesen Reisen die türkische Kunstmusik, die mit ihren modalen Tonsystemen teilweise spannende Bezüge zur Musik des ausgehenden Mittelalters in Italien und Frankreich hat. Die Mikrotonalität der klassischen türkischen Kunstmusik hat leider bisher noch nicht viel Eingang in westliche Musik gefunden, die zusammengesetzten Aksak-Rhythmen der Volksmusik haben jedoch viele Komponisten – beginnen wir bei Bartók – der klassischen Moderne bis zur Gegenwart inspiriert.

JOURNAL FRANKFURT: Den Namen Ralph Mangelsdorff in Verbindung mit Jazz findet man im Netz eher selten. Mal ein Auftritt aus traurigem Anlass, dem Tod des Vaters, mit/neben Christof Lauer, Wolfgang Dauner und Ack van Rooyen etc., ansonsten scheint Ihnen der Namen Mangelsdorff keine Verpflichtung, gar Bürde zu sein, sondern der eigene musikalische Weg der einzig zwingend richtige?

Mangelsdorff: In meiner Kindheit war ich zu nah dran und musste versuchen eigene Wege finden. Jetzt kann ich viele Anknüpfungspunkte zur Neuen Musik klar sehen.

JOURNAL FRANKFURT: Auch wenn Sie sich beim ersten Telefonat schon gegen die „Jugendsünde" gewehrt haben, einen Halbsatz sollten wir schon darauf verwenden. Das für mich seinerzeit das innovative 10-inch-Album „Cult“ Anfang der Achtziger auch ein Brückenschlag, siehe oben, oder zumindest der Versuch zwischen John Dowland (und das Jahrzehnte vor Sting!!!) und – so habe ich es in Erinnerung – Post Wave und New Romantics. Es gab ja damals in Frankfurt eine kleine „Pop-Avantgarde"-Szene wenn ich an Namen wie Anna Dobiey denke. Welche Erinnerung haben Sie daran und warum haben Sie Ihre „Pop-Karriere“ nicht weiter verfolgt?

Mangelsdorff: Musikalisch habe ich kein Problem damit zu dem Material zu stehen, das ich damals gemacht habe. Das elektronische Instrumentarium ermöglichte es Dinge auszuprobieren, welche den Spielgewohnheiten der Musiker entgegen liefen. Insofern war man freier Dinge zu schaffen, die einem wirklich neu erschienen. Die Texte sind lächerlich. Das Arrangement des dort aufgenommenen Dowland-Liedes ist mir zu bieder und konventionell. Später habe ich noch einmal für mein „Schöner Sterben“-Programm ein Dowland-Lied arrangiert, welches mehr meinen musikalischen Vorstellungen entspricht. Pop-Musik erscheint am Geschmack der potentiellen Konsumenten orientiert. Man kann sich dem Diktum nur zum Preise des nicht gespielt Werdens erwehren. Weiter, hat man eine „Masche“ gefunden mit der sich ein gewisser Erfolg einstellt, erweist es sich meist als tödlich, etwas Neues zu versuchen. Da gibt es in der klassischen Musik schon viel mehr Nischen sich weiter zu entwickeln, neue Dinge zu versuchen, sich auf Neues einzulassen.
 
9. November 2011, 16.16 Uhr
Detlef Kinsler
 
 
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