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Historisches Museum Frankfurt
Frankfurt – Stadt der Fotografinnen
Eine Sonderausstellung im Historischen Museum präsentiert Frankfurt als Stadt der Fotografinnen – und zeigt 40 Frauen, die unser Bild von diesem Ort von 1844 bis 2024 mitgeprägt haben oder noch prägen.
Es stimmt schon: Startbahn West und Studentenproteste, die ersten Automessen, die Zeil, der Römer, die Ernst-May-Siedlung, Hochhäuser und Neues Frankfurt, Theater, Schauspiel, das damals neue Museumsufer, die Nonnen-Prozession über den Eisernen Steg, Theodor W. Adorno in der Goethe-Uni und Andy Warhol im Städel – für etliche
ikonische Frankfurt-Ansichten standen Fotografinnen hinter der Kamera. Die Bilder dieser Stadt wurden und werden von Frauen gemacht. „Auch“, mag man da einwenden. Aber die Dichte an Fotografinnen, Fotojournalistinnen und Künstlerinnen, die nicht nur fotografisch arbeiteten, sondern damit auch sehr erfolgreich waren, erscheint schon auf den ersten Blick höher als in allen anderen bundesdeutschen Städten.
Frankfurt: eine Stadt der Fotografinnen
Abisag Tüllmann, Gisèle Freund, Nini und Carry Hess, Marta Hoepffner, Ella Bergmann-Michel, Barbara Klemm, Inge Werth oder Mara Eggert sind nur einige der bekanntesten Namen, die ad hoc in den Sinn kommen. Manche Fotografin wurde in den vergangenen Jahren in Frankfurter Einzelausstellungen gewürdigt. Zusammen präsentiert wurden sie allerdings selten, mindestens nicht so umfangreich wie jetzt: „Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024“ heißt die aktuelle Schau im Historischen Museum Frankfurt (HMF), die sich über 1000 Quadratmeter der gesamten Sonderausstellungsfläche erstreckt.
Im HMF schenkt man dem Wirken der Fotografinnen dieser Stadt seit Langem schon besondere Aufmerksamkeit: Ein großes Verdienst von Martha Caspers, 35 Jahre am Museum als Kuratorin tätig und dabei auch für die fotografische Sammlung zuständig, die sie mit durchaus feministischem Fokus aufbaute. Ihre Nachfolgerin Dorothee Linnemann knüpfte an diese Arbeit an. Sie ist nun ihrerseits damit befasst, die Sammlung nicht nur zu verwalten, sondern um zeitgenössische wie auch um bisher womöglich übersehene Bilder zu ergänzen.
Gemeinsam mit Katharina Böttger, Ulrike May, Christina Ramsch und Bettina Schulte Strathaus hat Dorothee Linnemann nun 40 Fotografinnen aus allen Dekaden ausgewählt, von 1844 bis ins aktuelle Jahr. Etliche von ihnen haben über Jahrzehnte erfolgreich gearbeitet oder tun das bis heute. Im eigenen Fotostudio oder als Fotojournalistin, mit dem Schwerpunkt Mode-, Theater- oder Privatfotografie, als Künstlerin und in zahlreichen weiteren Arbeitsmodellen. Viele, aber längst nicht alle der hier gezeigten Fotografinnen haben dabei Frankfurt selbst im Blick. Allein der repräsentierte Stadtraum fächert sich in unzählige Facetten auf: von der dramatischen Eleganz von zum Beispiel Ursula Edelmanns Architekturen im Nachkriegs-Frankfurt bis zur sozial engagierten Dokumentarfotografie, die Obdachlose oder Unterkünfte von Asylsuchenden in den Fokus nahm; von den skulpturalen Fotoobjekten Susa Templins, die den Palmengarten wörtlich in den Ausstellungsraum zurückkehren lässt, zur fotografischen Spurensuche von Laura J. Padgett im ehemaligen I.G.-Farben-Gebäude.
Katharina Culié, Carte de Visite - Porträt von zwei Mädchen © HMF
Stadt der Fotografinnen im Historischen Museum Frankfurt – Stadtbilder und Selbstbilder
Das kuratorische Team entschied sich für einen klassisch chronologischen Ansatz. Der leuchtet ob der Fülle an Entdeckungen ein; thematische und formale Querverbindungen lassen sich durch alle Jahrzehnte ohnehin schlagen. Der zeitliche Ablauf ermöglicht aber stets die konkrete Verortung im Stadt- wie Weltgeschehen. Frankfurts rasanter Aufstieg, das Neue Frankfurt, Frankfurt als Mode- und Theaterstadt, 1933 der zivilisatorische Bruch. Zerstörung, Wiederaufbau, die Neuerfindung als altes, neues Frankfurt bis hin zu den neuesten städtebaulichen Entwicklungen: Fotografinnen haben das Bild dieser Stadt zu allen Zeiten aktiv mitgeprägt.
Das Interessante an der Ausstellung ist nun gerade, dass sie nicht in erster Linie unter fotokünstlerischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurde. Natürlich sind großartige Bilder und berühmte Namen dabei – das ohnehin. Doch folgt die Sammlung eines historischen Museums eben einer grundlegend anderen Ausrichtung, als dies bei einer Fotokunstsammlung üblich wäre. Der Bezug zur Geschichte, lokal und weltpolitisch, ist ein solch naheliegendes Auswahlkriterium. Was erzählen die Fotografinnen über diese Stadt? Welche gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kontexte machen ihre Bilder sowie ihre eigenen Biografien auf – aber auch: Welche (foto-)technischen Entwicklungen spiegeln sich darin?
Ausstellung im HMF wirft Extra-Blick auf selten gezeigte Arbeiten
So erzählt die Schau beiläufig auch noch eine Geschichte der Fotografie und ihrer technischen Entwicklung selbst. Von Julie Vogels frühen Salzpapierfotografien, die ein wachsendes, kaufkräftiges Bürgertum porträtieren, über lange Zeiten der analogen Schwarz-Weiß- und später Farbfotografie (selbst eine Dunkelkammer ist hier nachgebaut) bis zur voll digitalen Bildwerdung auf dem Smartphone. Mit zahlreichen Abwandlungen und künstlerischen Formen. Die Näh-Collagen von Annegret Soltau beispielsweise, mit denen die feministische Künstlerin eine sehr eigenwillige Form des Selbstporträts geschaffen hat. Den Blick rabiat auf den eigenen Körper geworfen und damit doch wieder auf die Außenwelt zurück, mit ihren Bildern, die als Frau und Mutter so vorgesehen waren. Überhaupt fallen hier neben dokumentarischen die künstlerisch-experimentellen Arbeiten ins Auge. Fotogramme mit geradezu malerischer Anmutung von Ella Bergmann-Michel, frühe Doppelbelichtungen wie Marta Hoepffners Selbstporträt bis hin zu kompletten fotografischen Abstraktionen wie von Irene Peschick oder Christiane Feser.
Wer ausschließlich die eingangs erwähnten ikonischen Frankfurt-Fotografien sucht, könnte enttäuscht werden. Die gibt es ohne Frage, trotzdem werfen die Kuratorinnen ihren Blick explizit auch auf die Nebenerzählungen und seltener gezeigte Arbeiten im jeweiligen Werk. Dazu gehören auch Grafiken und andere Formate. Filmische Arbeiten teilnehmender Fotografinnen zum Beispiel werden in einem eigenen Kurzfilmprogramm begleitend zur Ausstellung gezeigt.
Marta Hoepffner, Selbstporträt im Spiegel und Überblendung © HMF_be
Stadt der Fotografinnen im Historischen Museum Frankfurt – (K)ein Bruch mit der Moderne?
Auch so wird Stadtgeschichte erzählt, die eben oft über diesen Ort hinausreicht. Etliche jüdische oder mit Juden verheiratete Fotografinnen mussten Deutschland nach der Machtübergabe der Nationalsozialisten verlassen, gingen wie Ilse Bing ins Exil oder wurden, wie Nini Hess, ermordet. Die Schau zeigt sowohl Arbeiten von Ninis Schwester Carry, die später, als sie schon verarmt war, in Paris entstanden, als auch solche, die geflohene Fotografinnen im Exil anfertigten, um sich über Wasser zu halten.
Andere machten weiter, als hätte sich nichts verändert. Auch das eine Erkenntnis, die man aus der Ausstellung mitnehmen kann: den Bruch mit der Moderne, den gab es so gar nicht zwangsläufig. Hier anschaulich gemacht anhand einiger Fotografinnen, die in einem Separée gezeigt werden. Wer gerade noch die Idee des Neuen Frankfurt vorangetrieben hatte, konnte bisweilen nahtlos im nationalsozialistischen System weiterarbeiten. Mitunter direkt für das Regime. Aus Karrieregründen oder ideologischer Überzeugung, oder beidem. Es gibt solche Kontinuitäten.
Quer durch die Zeit von Fotografinnen in Frankfurt
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind es wiederum viele Fotografinnen, die das Bild dieser Stadt prägen. Oder das Leben in der Stadt, insbesondere die rasanten 1960er- und 1970er-Jahre, im Bild festhalten – so wie Inge Werth, die für zahlreiche Frankfurter und überregionale Zeitungen gerne auch Protestveranstaltungen und Demoaufzüge fotografierte. Eine (Wieder-)Entdeckung ist ihre Fotoserie „Im Bett“: ein künstlerisches, selbst gesuchtes Projekt, mit dem sie sich ebenjenem privaten Ort widmete – eine schöne, eigensinnige Manifestation des Zeitgeists und der Menschen darin. Ab den 1980er-Jahren hielt ohnehin langsam, aber zunehmend die Kunst Einzug in die einstige kulturelle Brachlandschaft Frankfurt.
Dazu, sagt Linnemann, tragen neben Ausbildungsstätten und dem Kunstverein bald auch die örtlichen Galeristinnen und Galeristen bei. Die inzwischen geschlossene Galerie von Lothar Albrecht beispielsweise konzentrierte sich schwerpunktmäßig auf Fotografie. Heute wird zum Beispiel die zeitgenössische Künstlerin Laura Schawelka, im HMF mit einer großformatigen Arbeit einer Kaufhaus-Architektur zu sehen, von der Galerie Filiale vertreten, Laura J. Padgett und Barbara Klemm von der Galerie Peter Sillem. Susa Templin stellt unter anderem bei der Galeristin Anita Beckers aus, die ebenfalls Annegret Soltau und Christiane Feser vertritt.
Die Schau endet mit der jüngsten Generation Fotografinnen. Darunter Aslı Özdemir, die sich mit ihrer Arbeit „ich - Offenbach, Almanya“ im doppelten Sinne selbst verortet. Oder Lilly Lulay, die aus der omnipräsenten digitalen Bilderflut komplexe fotografische Collagen fertigt. Wie für viele Künstlerinnen heute ist Frankfurt für Lulay nur ein Arbeits- und Bezugspunkt von mehreren.
Aslı Özdemir, ich - Offenbach, Almanya - Dezember 2022, 2022 © Aslı Özdemir
Stadt der Fotografinnen im Historischen Museum Frankfurt – Die Spitze des Eisbergs
Vollständig ist so eine fotografische Stadtgeschichte freilich niemals. Die Ausstellung erhebt allerdings auch keinen Anspruch darauf. So kommt der Alltag von migrantischen Frankfurterinnen in der doch ausgesprochen internationalen Stadt zwar vor, als Fotografinnen sind sie selbst aber selten vertreten. Dorothee Linnemann ist bedacht, auch diese Lücken zu schließen. Was nicht so leicht ist – Aufnahmen beispielsweise von Gastarbeiterinnen aus den Nachkriegsjahren der Bundesrepublik in Frankfurt finden selten den Weg in die Öffentlichkeit und somit überhaupt die Chance, in eine Sammlung aufgenommen zu werden. Ein jüngerer Ankauf: die Fotografien von Ana Paula dos Santos, mit denen die in Frankfurt lebende Brasilianerin die hiesigen „Black Lives Matter“-Proteste im Jahr 2020 dokumentiert hat.
Ist Frankfurt denn nun tatsächlich immer schon eine ausgewiesene „Stadt der Fotografinnen“ gewesen – und wenn ja, warum? Oder tritt die Arbeit von Frauen hinter der Kamera hier, auch dank der hervorragenden Fotosammlung des Museums, schlicht stärker in den Fokus? So pauschal möchte sich Linnemann nicht festlegen. Aber dass überdurchschnittlich viele Fotografinnen aus Frankfurt weit über die Region hinaus Bekanntheit erlangten, zeigt die Ausstellung eindrücklich. Wir sprechen über das Bürgertum, das diese Stadt traditionell ausgezeichnet hat und Fotografinnen zunehmend auch private Auftraggeber für Familienporträts verschaffte: die Theater, später Museen, Druck- und Verlagshäuser. Zwischenzeitlich auch: die Pelzindustrie.
„Frankfurt bot eine große Bandbreite an Auftraggebern“
„Frankfurt“, sagt Linnemann, „bot eine große Bandbreite an Auftraggebern“. Nicht zuletzt war es oft die Stadt selbst, die Fotoarbeiten beauftragte. Bemerkenswert findet die Historikerin, dass es nicht nur einzelne Namen sind, die herausstechen: In jeder Generation habe es Frauen gegeben, die fotografierten – und deren Wirken oft auch überregional Einfluss hatte. Insofern also doch eine Kontinuität, die man in wenigen Städten so finden dürfte. Oder haben andere schlicht ihre Sammlungen nicht so sorgfältig scharf gestellt?
Sichtbarkeit bleibt ein Kernthema. Die Frage ist also weniger, ob es Frauen in der Fotografiegeschichte dieser Stadt gegeben hat. Sondern vor allem, an welche man sich erinnert. Und die Bildende Kunst scheint hier vielleicht nochmals undankbarer als Fotojournalismus oder andere Betätigungsfelder von Fotografinnen, in denen Frauen eher ebenbürtige Erfolge zu ihren männlichen Kollegen feiern konnten. In einem Punkt ist sich Dorothee Linnemann sicher: „Das hier ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Zu jeder Fotografin, die es in die Ausstellung geschafft hat, könnte man sich wohl mindestens eine, zwei, mehrere weitere vorstellen, die es (wieder) zu entdecken gilt.
Info
Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024, Historisches Museum Frankfurt, 29.05–22.09.2024
ikonische Frankfurt-Ansichten standen Fotografinnen hinter der Kamera. Die Bilder dieser Stadt wurden und werden von Frauen gemacht. „Auch“, mag man da einwenden. Aber die Dichte an Fotografinnen, Fotojournalistinnen und Künstlerinnen, die nicht nur fotografisch arbeiteten, sondern damit auch sehr erfolgreich waren, erscheint schon auf den ersten Blick höher als in allen anderen bundesdeutschen Städten.
Abisag Tüllmann, Gisèle Freund, Nini und Carry Hess, Marta Hoepffner, Ella Bergmann-Michel, Barbara Klemm, Inge Werth oder Mara Eggert sind nur einige der bekanntesten Namen, die ad hoc in den Sinn kommen. Manche Fotografin wurde in den vergangenen Jahren in Frankfurter Einzelausstellungen gewürdigt. Zusammen präsentiert wurden sie allerdings selten, mindestens nicht so umfangreich wie jetzt: „Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024“ heißt die aktuelle Schau im Historischen Museum Frankfurt (HMF), die sich über 1000 Quadratmeter der gesamten Sonderausstellungsfläche erstreckt.
Im HMF schenkt man dem Wirken der Fotografinnen dieser Stadt seit Langem schon besondere Aufmerksamkeit: Ein großes Verdienst von Martha Caspers, 35 Jahre am Museum als Kuratorin tätig und dabei auch für die fotografische Sammlung zuständig, die sie mit durchaus feministischem Fokus aufbaute. Ihre Nachfolgerin Dorothee Linnemann knüpfte an diese Arbeit an. Sie ist nun ihrerseits damit befasst, die Sammlung nicht nur zu verwalten, sondern um zeitgenössische wie auch um bisher womöglich übersehene Bilder zu ergänzen.
Gemeinsam mit Katharina Böttger, Ulrike May, Christina Ramsch und Bettina Schulte Strathaus hat Dorothee Linnemann nun 40 Fotografinnen aus allen Dekaden ausgewählt, von 1844 bis ins aktuelle Jahr. Etliche von ihnen haben über Jahrzehnte erfolgreich gearbeitet oder tun das bis heute. Im eigenen Fotostudio oder als Fotojournalistin, mit dem Schwerpunkt Mode-, Theater- oder Privatfotografie, als Künstlerin und in zahlreichen weiteren Arbeitsmodellen. Viele, aber längst nicht alle der hier gezeigten Fotografinnen haben dabei Frankfurt selbst im Blick. Allein der repräsentierte Stadtraum fächert sich in unzählige Facetten auf: von der dramatischen Eleganz von zum Beispiel Ursula Edelmanns Architekturen im Nachkriegs-Frankfurt bis zur sozial engagierten Dokumentarfotografie, die Obdachlose oder Unterkünfte von Asylsuchenden in den Fokus nahm; von den skulpturalen Fotoobjekten Susa Templins, die den Palmengarten wörtlich in den Ausstellungsraum zurückkehren lässt, zur fotografischen Spurensuche von Laura J. Padgett im ehemaligen I.G.-Farben-Gebäude.
Katharina Culié, Carte de Visite - Porträt von zwei Mädchen © HMF
Das kuratorische Team entschied sich für einen klassisch chronologischen Ansatz. Der leuchtet ob der Fülle an Entdeckungen ein; thematische und formale Querverbindungen lassen sich durch alle Jahrzehnte ohnehin schlagen. Der zeitliche Ablauf ermöglicht aber stets die konkrete Verortung im Stadt- wie Weltgeschehen. Frankfurts rasanter Aufstieg, das Neue Frankfurt, Frankfurt als Mode- und Theaterstadt, 1933 der zivilisatorische Bruch. Zerstörung, Wiederaufbau, die Neuerfindung als altes, neues Frankfurt bis hin zu den neuesten städtebaulichen Entwicklungen: Fotografinnen haben das Bild dieser Stadt zu allen Zeiten aktiv mitgeprägt.
Das Interessante an der Ausstellung ist nun gerade, dass sie nicht in erster Linie unter fotokünstlerischen Gesichtspunkten zusammengestellt wurde. Natürlich sind großartige Bilder und berühmte Namen dabei – das ohnehin. Doch folgt die Sammlung eines historischen Museums eben einer grundlegend anderen Ausrichtung, als dies bei einer Fotokunstsammlung üblich wäre. Der Bezug zur Geschichte, lokal und weltpolitisch, ist ein solch naheliegendes Auswahlkriterium. Was erzählen die Fotografinnen über diese Stadt? Welche gesellschaftlichen, sozialen und politischen Kontexte machen ihre Bilder sowie ihre eigenen Biografien auf – aber auch: Welche (foto-)technischen Entwicklungen spiegeln sich darin?
So erzählt die Schau beiläufig auch noch eine Geschichte der Fotografie und ihrer technischen Entwicklung selbst. Von Julie Vogels frühen Salzpapierfotografien, die ein wachsendes, kaufkräftiges Bürgertum porträtieren, über lange Zeiten der analogen Schwarz-Weiß- und später Farbfotografie (selbst eine Dunkelkammer ist hier nachgebaut) bis zur voll digitalen Bildwerdung auf dem Smartphone. Mit zahlreichen Abwandlungen und künstlerischen Formen. Die Näh-Collagen von Annegret Soltau beispielsweise, mit denen die feministische Künstlerin eine sehr eigenwillige Form des Selbstporträts geschaffen hat. Den Blick rabiat auf den eigenen Körper geworfen und damit doch wieder auf die Außenwelt zurück, mit ihren Bildern, die als Frau und Mutter so vorgesehen waren. Überhaupt fallen hier neben dokumentarischen die künstlerisch-experimentellen Arbeiten ins Auge. Fotogramme mit geradezu malerischer Anmutung von Ella Bergmann-Michel, frühe Doppelbelichtungen wie Marta Hoepffners Selbstporträt bis hin zu kompletten fotografischen Abstraktionen wie von Irene Peschick oder Christiane Feser.
Wer ausschließlich die eingangs erwähnten ikonischen Frankfurt-Fotografien sucht, könnte enttäuscht werden. Die gibt es ohne Frage, trotzdem werfen die Kuratorinnen ihren Blick explizit auch auf die Nebenerzählungen und seltener gezeigte Arbeiten im jeweiligen Werk. Dazu gehören auch Grafiken und andere Formate. Filmische Arbeiten teilnehmender Fotografinnen zum Beispiel werden in einem eigenen Kurzfilmprogramm begleitend zur Ausstellung gezeigt.
Marta Hoepffner, Selbstporträt im Spiegel und Überblendung © HMF_be
Auch so wird Stadtgeschichte erzählt, die eben oft über diesen Ort hinausreicht. Etliche jüdische oder mit Juden verheiratete Fotografinnen mussten Deutschland nach der Machtübergabe der Nationalsozialisten verlassen, gingen wie Ilse Bing ins Exil oder wurden, wie Nini Hess, ermordet. Die Schau zeigt sowohl Arbeiten von Ninis Schwester Carry, die später, als sie schon verarmt war, in Paris entstanden, als auch solche, die geflohene Fotografinnen im Exil anfertigten, um sich über Wasser zu halten.
Andere machten weiter, als hätte sich nichts verändert. Auch das eine Erkenntnis, die man aus der Ausstellung mitnehmen kann: den Bruch mit der Moderne, den gab es so gar nicht zwangsläufig. Hier anschaulich gemacht anhand einiger Fotografinnen, die in einem Separée gezeigt werden. Wer gerade noch die Idee des Neuen Frankfurt vorangetrieben hatte, konnte bisweilen nahtlos im nationalsozialistischen System weiterarbeiten. Mitunter direkt für das Regime. Aus Karrieregründen oder ideologischer Überzeugung, oder beidem. Es gibt solche Kontinuitäten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind es wiederum viele Fotografinnen, die das Bild dieser Stadt prägen. Oder das Leben in der Stadt, insbesondere die rasanten 1960er- und 1970er-Jahre, im Bild festhalten – so wie Inge Werth, die für zahlreiche Frankfurter und überregionale Zeitungen gerne auch Protestveranstaltungen und Demoaufzüge fotografierte. Eine (Wieder-)Entdeckung ist ihre Fotoserie „Im Bett“: ein künstlerisches, selbst gesuchtes Projekt, mit dem sie sich ebenjenem privaten Ort widmete – eine schöne, eigensinnige Manifestation des Zeitgeists und der Menschen darin. Ab den 1980er-Jahren hielt ohnehin langsam, aber zunehmend die Kunst Einzug in die einstige kulturelle Brachlandschaft Frankfurt.
Dazu, sagt Linnemann, tragen neben Ausbildungsstätten und dem Kunstverein bald auch die örtlichen Galeristinnen und Galeristen bei. Die inzwischen geschlossene Galerie von Lothar Albrecht beispielsweise konzentrierte sich schwerpunktmäßig auf Fotografie. Heute wird zum Beispiel die zeitgenössische Künstlerin Laura Schawelka, im HMF mit einer großformatigen Arbeit einer Kaufhaus-Architektur zu sehen, von der Galerie Filiale vertreten, Laura J. Padgett und Barbara Klemm von der Galerie Peter Sillem. Susa Templin stellt unter anderem bei der Galeristin Anita Beckers aus, die ebenfalls Annegret Soltau und Christiane Feser vertritt.
Die Schau endet mit der jüngsten Generation Fotografinnen. Darunter Aslı Özdemir, die sich mit ihrer Arbeit „ich - Offenbach, Almanya“ im doppelten Sinne selbst verortet. Oder Lilly Lulay, die aus der omnipräsenten digitalen Bilderflut komplexe fotografische Collagen fertigt. Wie für viele Künstlerinnen heute ist Frankfurt für Lulay nur ein Arbeits- und Bezugspunkt von mehreren.
Aslı Özdemir, ich - Offenbach, Almanya - Dezember 2022, 2022 © Aslı Özdemir
Vollständig ist so eine fotografische Stadtgeschichte freilich niemals. Die Ausstellung erhebt allerdings auch keinen Anspruch darauf. So kommt der Alltag von migrantischen Frankfurterinnen in der doch ausgesprochen internationalen Stadt zwar vor, als Fotografinnen sind sie selbst aber selten vertreten. Dorothee Linnemann ist bedacht, auch diese Lücken zu schließen. Was nicht so leicht ist – Aufnahmen beispielsweise von Gastarbeiterinnen aus den Nachkriegsjahren der Bundesrepublik in Frankfurt finden selten den Weg in die Öffentlichkeit und somit überhaupt die Chance, in eine Sammlung aufgenommen zu werden. Ein jüngerer Ankauf: die Fotografien von Ana Paula dos Santos, mit denen die in Frankfurt lebende Brasilianerin die hiesigen „Black Lives Matter“-Proteste im Jahr 2020 dokumentiert hat.
Ist Frankfurt denn nun tatsächlich immer schon eine ausgewiesene „Stadt der Fotografinnen“ gewesen – und wenn ja, warum? Oder tritt die Arbeit von Frauen hinter der Kamera hier, auch dank der hervorragenden Fotosammlung des Museums, schlicht stärker in den Fokus? So pauschal möchte sich Linnemann nicht festlegen. Aber dass überdurchschnittlich viele Fotografinnen aus Frankfurt weit über die Region hinaus Bekanntheit erlangten, zeigt die Ausstellung eindrücklich. Wir sprechen über das Bürgertum, das diese Stadt traditionell ausgezeichnet hat und Fotografinnen zunehmend auch private Auftraggeber für Familienporträts verschaffte: die Theater, später Museen, Druck- und Verlagshäuser. Zwischenzeitlich auch: die Pelzindustrie.
„Frankfurt“, sagt Linnemann, „bot eine große Bandbreite an Auftraggebern“. Nicht zuletzt war es oft die Stadt selbst, die Fotoarbeiten beauftragte. Bemerkenswert findet die Historikerin, dass es nicht nur einzelne Namen sind, die herausstechen: In jeder Generation habe es Frauen gegeben, die fotografierten – und deren Wirken oft auch überregional Einfluss hatte. Insofern also doch eine Kontinuität, die man in wenigen Städten so finden dürfte. Oder haben andere schlicht ihre Sammlungen nicht so sorgfältig scharf gestellt?
Sichtbarkeit bleibt ein Kernthema. Die Frage ist also weniger, ob es Frauen in der Fotografiegeschichte dieser Stadt gegeben hat. Sondern vor allem, an welche man sich erinnert. Und die Bildende Kunst scheint hier vielleicht nochmals undankbarer als Fotojournalismus oder andere Betätigungsfelder von Fotografinnen, in denen Frauen eher ebenbürtige Erfolge zu ihren männlichen Kollegen feiern konnten. In einem Punkt ist sich Dorothee Linnemann sicher: „Das hier ist nur die Spitze des Eisbergs.“ Zu jeder Fotografin, die es in die Ausstellung geschafft hat, könnte man sich wohl mindestens eine, zwei, mehrere weitere vorstellen, die es (wieder) zu entdecken gilt.
Stadt der Fotografinnen. Frankfurt 1844–2024, Historisches Museum Frankfurt, 29.05–22.09.2024
15. Juni 2024, 11.00 Uhr
Katharina Cichosch
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