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Foto: Nicole Brevoord
Foto: Nicole Brevoord

Von der Romantisierung des Kiezes

Feldmanns sauberes Bahnhofsviertel

Die Bahnhofsviertelnacht ist wie ein Wunder: Ganz Frankfurt soll in ein Areal gelockt werden, das nur in der Woche der Veranstaltung herausgeputzt wird. Oberbürgermeister Peter Feldmann hat sich umgesehen und findet das normal.
Die Bilder gleichen sich. Wurde früher Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) einmal im Jahr, üblicherweise in der Woche der Bahnhofsviertelnacht, durch die bunten Gassen zwischen Münchener Straße und Niddastraße geführt, begleitet von einer Horde Journalisten, so ist es nun Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). Wieder bieten sich die Gastronomen an, Künstler zeigen ihre Ateliers und soziale Einrichtungen präsentieren im aseptischen Rahmen, dass sich das Bahnhofsviertel längst nicht auf das Klischee von Drogensüchtigen und Prostituierten reduzieren lässt, sondern vielseitiger ist. Es stimmt ja auch.

Kaum ein kritisches Wort kann man ausgewählten Repräsentanten des Viertels entlocken, viel zu sehr fühlen sie sich von der medialen und politischen Öffentlichkeit geschmeichelt. „Das Bahnhofsviertel wird zum In-Stadtteil“, spricht Feldmann in die Mikrofone der Medien. „Hier machen sich langsam Clubs breit, das ist eine sehr schöne Entwicklung“, sagt der Oberbürgermeister und rühmt die urbane Mischung, das Plank, die kleinen Werkstätten in den Hinterhöfen und das „Kreuzberg“-Flair auf der Münchener Straße, wo er übrigens ein Mal im Monat seine Haare schneiden lässt. Sein Restauranttipp ist übrigens das Hamsilos, ein Fischrestaurant auf der Münchener. „Im Viertel bekommt man Spezialitäten, die man in ganz Frankfurt sonst nicht findet, etwa für die koreanische Küche.“

Künstler als Mietbremse
„Das Bahnhofsviertel hat sich gewandelt“. Damit hat Feldmann recht. Dafür kommen neue Probleme auf, während die alten, etwa Prostitution und Drogenkonsum, noch nicht behoben sind. Von Gentrifizierung, also einer Verdrängung der einstigen Bevölkerung durch immens steigende Mieten, ist im Viertel oft die Rede und die wird vom Hype nur noch angestachelt. „Günstige Mieten, totale Sauberkeit und ein hohes künstlerisches Niveau – all das zusammen geht halt nicht. Wenn man ein Viertel aufwertet, ist es klar, dass die Mieten ein Stück hochgehen. Es geht darum, eine Mitte zu finden. Wir müssen um Zuzug werben, um kompetente, produktive Leute, nicht die mit dem großen Geldbeutel,“ sagt Feldmann. Die Stadt habe in den vergangenen Jahren 20 Millionen Euro in die Aufwertung des Stadtteils investiert. Mit der Ansiedlung von mehr Künstlern im Viertel könne man eine natürliche Mietpreisbremse erreichen, sagt der Oberbürgermeister und besucht das Atelier von Künstlerin Eva Köstner in der Kaiserstraße. „Bei Ateliers ist man in Frankfurt auf die städtische Förderung angewiesen“, sagt hingegen Köstner. Sie selbst könne sich ihr Atelier nur leisten, weil sie einen alten Mietvertrag habe. Ganz so einfach, ist das mit den gebremsten Mieten denn doch nicht.

Kiezromantik trifft Realität
Das trendige Viertel mit der wachsenden Zahl an Hipsterkneipen hat auch Schattenseiten. Die Anwohner klagen darüber, dass sie von der Stadt in Stich gelassen werden. Der einzige Discounter im Viertel, im Volksmund der Ghetto-Netto genannt, hat seit vergangenem Samstag geschlossen. Mit ein Grund: Die Stadt konnte nicht für gesittete Verhältnisse in der Nachbarschaft sorgen.

In Wahrheit gibt es nämlich keine Kiezromantik in dem Stadtteil, in dem 3400 Menschen wohnen. Wer normalerweise durch die von Friseuren, Bordellen und Ein-Euro-Läden flankierten Straßenzüge geht, der riecht den beißenden Uringeruch. Je näher man den Drückerstuben kommt, desto wahrscheinlicher ist es, dass auf der Straße Crack geraucht wird. Da wechselt auch mal das ein oder andere Tütchen auf der Straße den Besitzer oder es rammt sich ein breitbeinig zwischen parkenden Autos hockender Junkie einen Schuss in den Oberschenkel, während sich an der Ecke eine Prostituierte am Oberteil zupft und sich ein frierender Obdachloser am Straßenrand die Jacke über die Ohren zieht. Grade in den vergangenen Jahren ist zu beobachten, dass das Engagement der Ordnungskräfte spürbar nachgelassen hat, am deutlichsten wird dies in der oberen Taunusstraße.

Bahnhofsviertel-Disneyland
Aber all das sieht man beim hygienischen Rundgang mit dem Oberbürgermeister nicht, auch scheint man dann doch den ein oder anderen Bordstein vom Urin befreit zu haben. Es stehen erstaunlich viele Polizeiautos im Viertel herum und die für den Oberbürgermeister ausgearbeitete Route mit sechs Haltepunkten vermeidet – und das ist offensichtlich – ausdrücklich jede Problemzone im Viertel, eher läuft man Umwege. Die Kaiser- und die Münchener Straße mag man präsentieren. In Druckstuben sieht man Feldmann nicht. Obwohl Anwohner berichten, dass die Ordnungshüter in dieser Woche stärker denn je durchgreifen und Junkies auf der Straße vertreiben würden. „Die haben richtig aufgeräumt“, sagt uns ein Clubbetreiber aus dem Viertel. „Das ist doch bei allen Straßenfesten und Großfesten in der Stadt so“, sagt Feldmann verwundert. „Das halte ich nicht für besonders sensationell. Bei der Dippemess oder dem Museumsuferfest gehen die Ordnungskräfte doch auch verstärkt rein.“

Die Stadt tut was, oder?
Und was ist mit den Junkies, dem Gestank, dem mangelnden Sicherheitsgefühl? „Ich will die Probleme nicht wegreden. Aber ich finde es auch sehr gut, dass sich die Anwohner organisieren und beispielsweise mit der Stabstelle Sauberes Frankfurt zusammenarbeiten, Aktionen verabreden. Es gibt genügend Engagierte hier, die nicht nur meckern, sondern anpacken. Die Situation ändert sich erst dann, wenn die Leute ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die Stadt will die Hinweise haben, wo etwas kaputt ist oder dreckig. Ich finde Hilfe zur Selbsthilfe sollte unterstützt werden,“ sagt Feldmann. Doch hat die Stadt für die Klagen der Anwohner wirklich ein offenes Ohr? Man darf da berechtigte Zweifel haben.

Alles so schön friedlich im Kiez?
„Das alte Image des Bahnhofsviertels, wie ich es von vor 35 Jahren kannte, als ich als Student mit meinen Marburger Kollegen ‘gefährliche‘ Stadtführungen durch Frankfurt gemacht habe, das könnte ich heute nicht mehr bieten. Das bedauer ich auch nicht“, sagt Feldmann. Zwei Schießereien allein in diesem Jahr in der Moselstraße sind da schnell vergessen. „Dabei waren die nur die Spitze des Eisbergs“, sagt uns ein Clubbetreiber, der täglich im Viertel Schlägereien und kleinere Delikte beobachtet. Er gibt zu bedenken, dass es keine Polizeistation mehr im Viertel gebe. „Das würde nur die Kriminalstatistik in die Höhe treiben. Viele Fälle werden sowieso nicht angezeigt, schon allein, weil die Polizei nicht in der Nähe ist“.

Peter Feldmann ist sich aber sicher: Die Stadt habe sich das Bahnhofsviertel zurückerobert. Die Bahnhofsviertelnacht am 21. August sorge dafür, dass man aufs Viertel schaue, sie sorge für mehr Transparenz und Sicherheit. „Wir wollen ja, dass Leute herziehen.“

Mehr Tipps zur Bahnhofsviertelnacht am 21. August finden Sie hier!
 
20. August 2014, 11.24 Uhr
Nicole Brevoord
 
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig – Mehr von Nicole Brevoord >>
 
 
Fotogalerie: Bahnhofsviertel
 
 
 
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