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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Gabriele Kailing über Gewerkschaften

Die sanfte Kraft

Die Vorsitzende des DGB Hessen/Thüringen Gabriele Kailing, 52, ist eine der wenigen Frauen an der Spitze der deutschen Gewerkschaften. Was hat die Gewerkschaft heute der Gesellschaft zu bieten? Ein Gespräch.
Journal Frankfurt: Wie wichtig ist heute noch die Gewerkschaft? Und: Wie kann man das jungen Leuten klarmachen?
Gabriele Kailing: Ich glaube, es ist immer wichtig, mal in die Geschichte zu gehen. Wenn man sich verdeutlicht, dass viele Errungenschaften, ob das Urlaub ist, ob das die Arbeitszeitregelungen sind, nicht einfach irgendein Gesetzgeber oder die Politik gestaltet haben, sondern, dass das von den Gewerkschaften erkämpft wurde. Vor allen Dingen ist die Gewerkschaft nicht nur eine Institution, wo du Mitglied wirst und die macht das schon. Sondern: Gewerkschaft ist ein Zusammenschluss von Arbeitnehmern, die sich für ihre Rechte einsetzen. Also nur gemeinsam – das ist ein Prinzip, das von Anfang an galt und es gilt auch noch heute.

Wie lauten die konkreten Fragen, die Sie nach vorne bringen wollen?
Gerade die Jugendlichen erleben es ja, dass sie oftmals hoch qualifiziert sind, also mit Berufsausbildung oder Hochschulabschluss. Und dass sie dann von einem sogenannten Praktikumsverhältnis, einem befristeten Arbeitsverhältnis, in das nächste rutschen. Es ist ja nichts Ungewöhnliches, dass Menschen bis Mitte oder Ende 30 in solchen Arbeitsverhältnissen sind. Wir sagen immer, es geht um das Gestalten von Arbeits- und Lebensbedingungen. Natürlich haben sich die Themen seit den Zeiten der industriellen Revolution etwas geändert. Aber in gewisser Weise geht es auch heute noch um die gleichen Themen. Wir kennen ja noch den Slogan „Samstag gehört Papi mir“. Und heute haben wir das Problem, dass Arbeitszeit entgrenzt ist. Dass es also vollkommen normal ist, dass von Menschen erwartet wird, immer erreichbar zu sein – manche verlangen sich das auch selbst ab. Dass es normal ist, auch abends um 22 oder 23 Uhr noch ein Email vom Chef zu bekommen, mit irgendwelchen Arbeitsaufträgen. Gerade junge, Menschen, machen das auch mit, weil sie Erfolg haben wollen, weil sie ein gutes Arbeitsverhältnis haben möchten und auch weil sie hoch engagiert sind in ihrem Job. Und sie merken gar nicht, dass sie sich damit auch selbst ausbeuten. Das kommt dann oftmals erst, wenn feste Beziehung, Familie und Kinder anstehen. Aber auch: Beruf und Pflege. Das sind Themen, die die allermeisten Beschäftigten interessieren und von denen fast jeder – früher oder später – betroffen ist.

Was brennt aus Gewerkschaftssicht in Frankfurt besonders unter den Nägeln?
Der DGB beschäftigt sich ja auch mit gesamtgesellschaftlichen Themen, mehr als das in den Einzelgewerkschaften der Fall sein kann. Was hier in Frankfurt natürlich ein ganz großes Thema ist, ist die Wohnungsnot. Dass es de facto keinen sozialen Wohnungsbau mehr gibt, ist ein ganz großes Problem. Für uns zählt die Frage: Ist der normale Arbeitnehmer, der Polizist oder die Polizistin, die Krankenschwester, Erzieherin oder Erzieher überhaupt in der Lage, in Frankfurt eine Wohnung zu mieten, geschweige denn eine Familie zu ernähren?

Was sind die konkreten Forderungen?
Es wird ja diskutiert, ob Förderung von Wohnraum ein Thema sein soll. Aktuell geht es der Stadt Frankfurt gut, die Steuereinnahmen sind gut. Mit dem Regierungswechsel glaube ich schon, dass es in eine andere Richtung geht - eher in unsere Richtung. Und wenn ich von sozialem Wohnungsbau rede, denke ich auch an Genossenschaften.

Thema Brexit – müssen wir davor Angst haben? Angeblich sollen ja bald circa 10 000 Millionäre auf den Frankfurter Wohnungsmarkt drängen.
Ich denke nicht, dass es nur die Hoch- und Bestverdienenden sind, die kommen. Da hängen ja auch andere Arbeitsplätze dran, die aus London abgezogen werden. Auch hier ist ein großes Problem das Thema Wohnung, also dass eher Luxuswohnungen als bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Dann wird auch für die normalverdienenden Beschäftigten die Gefahr der Verdrängung besonders stark.

Von außen betrachtet wirkt die Gewerkschaft immer noch sehr männerdominiert. Wie gehen die anderen Gewerkschaftler mit Ihnen als Frau in einer Führungsposition um?
Es gibt ja Gewerkschaften, die haben Quotenregelungen in puncto Männer und Frauen. Das hat der DGB nicht. Allerdings ist der DGB bestrebt,
Frauen in Führungspositionen zu bekommen, wofür einiges getan wird. Die Gewerkschaften sind ein Spiegelbild der Gesellschaft. Was nichts anderes heißt, als dass viele engagierte Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen eben auch eine hohe Doppelbelastung mit Familie und Beruf zu tragen haben. Ich persönlich kann sagen: Ich habe von Anfang an die Erfahrung gemacht, dass ich von den Vorsitzenden der Mitgliedsgewerkschaften in Hessen und Thüringen gut unterstützt werde. Vom einen mehr, vom anderen weniger. Gerade die Gewerkschaften, die einen höheren Frauenanteil in der Mitgliedschaft haben, also ver.di oder die GEW, die wissen natürlich genau, was es heißt, sich als Frau durchsetzen zu müssen. Hier bin ich insbesonders den Frauen von ver.di für ihre Unterstützung sehr dankbar.

Müssen Frauen immer noch besser sein?
Ich denke das läuft heute vielleicht unbewusst ab. Ich glaube, wenn Menschen vom Verstand her sagen: Natürlich muss es eine Gleichstellung von Mann und Frau geben, dann heißt das noch lange nicht, dass das auch vom Gefühl her so ist. Ich glaube das muss wachsen. Daran arbeiten wir und daran müssen die Geschlechter gemeinsam arbeiten. Aber wenn ich mir Gedanken machen würde: „Wie sieht mich der eine oder andere Mann als Frau? Akzeptiert er mich jetzt, ja oder nein?“ Das wäre ein bisschen schwierig.

Was bedeutet es für den DGB eigentlich, dass er seine Zentrale in Frankfurt hat?
Also, Frankfurt macht natürlich einen Unterschied. Frankfurt ist absolut offen – verschiedene Kulturen, Moden, Essen, die Menschen. Wenn Freunde oder Verwandte, die eher im ländlichen Raum leben, uns besuchen kommen, und ich sie am Bahnhof abhole, dann sagen die: „Oh, hier gibt es ja viele Ausländer.“ Für uns ist das selbstverständlich. OB Peter Feldmann erwähnt ja in fast jeder Rede, dass 48 Prozent der Menschen in Frankfurt Migrationshintergrund haben. Diese Vielfalt und auch die unterschiedlichen Religionen, darauf legt er einen Schwerpunkt, und das gefällt mir.

Haben Sie in Frankfurt ein Lieblingsrestaurant?
Ich lebe ja in Nieder-Erlenbach. Dort finde ich es genial, wir sind da hingezogen, als wir unsere Tochter bekommen haben: Ländlich und dennoch direkt bei der Stadt. Dort gibt es schöne, kleine Restaurants. In der City haben wir ein Lokal, wo wir gerne hingehen. Das Centro Cultural an der Staufenmauer. Das ist ein spanisches Restaurant und die Inhaber sind interessant. Sie ist Spanierin und er ist Grieche. Also eine Multi-Kulti-Ehe. Und vor allem: Als Gäste kommen da ganz viele Spanier. Das heißt dann also auch, dass das Essen hervorragend ist.

Wie reagieren Sie, wenn Menschen sagen: Man kann doch sowieso nichts ändern!
Das ist dann für mich eine Herausforderung, zu diskutieren. Alles andere wäre Abfinden mit der Ohnmacht, was ein Zustand wäre, der für uns Gewerkschaften überhaupt nicht akzeptabel ist.

Haben Sie eigentlich ein Vorbild?
Nein, habe ich eigentlich nicht. Es ist auch schwierig, weil die Menschen, die man da nennen könnte in einer vollkommen anderen Zeit gelebt haben. Auch ein Willy Brandt oder ein Herbert Wehner würden heute anders agieren müssen. Die Welt ist ja komplexer geworden. Auch durch die Globalisierung. Das macht das Politische Geschäft natürlich schwieriger.
 
26. September 2016, 11.16 Uhr
Jens Prewo
 
 
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