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Foto: © Bernd Kammerer
Foto: © Bernd Kammerer

Kohl sorgt sich um Europa

Ergreifende Buchpräsentation mit Juncker als Laudator

Altkanzler Helmut Kohl hat mit Hilfe seiner Frau Maike Kohl-Richter einen Appell verfasst. Der Politiker sorgt sich um die Einheit Europas und versetzt seinem Amtsnachfolger Gerhard Schröder einige Seitenhiebe.
Warum nur tut sich Helmut Kohl das an? Die Frage drängt sich bei seiner Buchpräsentation in der Villa Kennedy förmlich auf. Im Rollstuhl wird der 84-Jährige, im dunklen Anzug mit gelber Krawatte, in den Ballsaal geschoben, flankiert – wie so oft in letzter Zeit – von seiner Frau Maike sowie dem Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Kohls Gesicht ist sonderbar starr, sein Körper ist von Krankheit gezeichnet. Mit der linken Hand hält er die rechte fest. Seine Frau Maike Kohl-Richter reicht ihm in der folgenden Stunde Zettel, auch mal eine Serviette zum abtupfen und blättert mit ihrem Mann in dem Buch, das er ja selbst am besten kennen sollte.

Der Kanzler der Einheit sorgt sich
In seinen 16 Jahren als Staatsmann hat sich Kohl viele politische Lorbeeren verdient, konnte sich letztlich als Kanzler der Deutschen Einheit sowie als Weichensteller eines geeinten Europas feiern lassen. Seinen politischen Glanz angekratzt hatte der einst stolze Fels in der Brandung mit dem großen Ego, der jetzt eher hilflos wirkt, durch die Spendenaffaire jedoch selbst. Doch Helmut Kohl sieht sein politisches Lebenswerk, sein Vermächtnis, bedroht. „Aus Sorge um Europa“ heißt daher sein als im Droemer -Knaur Verlag erschienener 119-seitiger, in großen Lettern gedruckter, Appell. Diesen jedoch kann Kohl kaum selbst präsentieren, er hat daher seinen langjährigen Freund Jean-Claude Juncker gebeten, diese Rolle zu übernehmen, was dieser gerne tat, und das an seinem ersten Tag als Präsident der Europäischen Kommission.

Frau Kohl-Richter ergreift das Wort
Doch bevor Juncker, der Kohl „seit gefühlten 100 Jahren kennt“, seine Laudatio auf sein politisches Vorbild halten konnte, ergriff Kohls Gattin das Wort. „Über uns ist so viel Falsches berichtet worden. Mein Mann hatte vor sechseinhalb Jahren einen schweren Unfall, der ihn in seiner Geistesleistung nicht beeinträchtigt hat.“ Als habe es daran je einen Zweifel gegeben. Wie jedoch das Buch entstanden ist, das wollen dann doch viele Journalisten genauer wissen. „Mein Mann hat alles im Kopf und ich gehe in die Archive, suche ihm raus, was er im Kopf hat. Und dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, und dann redigiert er wie früher. Und dann sagt er, das will ich sagen, das will ich nicht sagen, und das möchte ich anders sagen.“

Eine Laudatio von Juncker
Was Helmut Kohl nur mühsam zu äußern im Stande ist, fasste anschließend Jean-Claude Juncker zusammen. Kohl sei ein großer Europäer und ein guter Freund, zu einer objektiven Betrachtung fühle er sich außer Stande. Das Buch sei im August entstanden und beginne mit einer Szene auf der Terrasse von Kohls Haus. „Da habe ich selbst schon oft gesessen.“ Von dort könne man auf ein Stück Berliner Mauer blicken. Das Buch beschäftige sich sowohl mit der Vergangenheit als auch mit der Zukunft und zeige Kohls Blick als Historiker auf die Dinge. „Es handelt von der Kohl’schen Methode, seinen Werkzeugen und handwerklichen Fähigkeiten, mit denen Kohl Politik gestaltet hat.“ Er habe ein Talent sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen, den anderen zu achten und habe eine Aversion gegen Ressentiments. So habe es ihn erschreckt, wie vor allem in deutschsprachigen Ländern mit Griechenland umgegangen worden sei. „Kohl ist der Gegner des Negativdenkens über andere Länder. Kohl macht keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Ländern“. In seinem Werk bemängele Kohl, dass das Identitätsstiftende Europas im Klein-Klein verloren ginge. Die demografische und wirtschaftliche Schwäche solle kein Grund sein sich von Europa abzuwenden, sondern im Gegenteil zum Zusammenhalt genutzt werden. „Wir brauchen mehr Europa, nicht Kleinstaaterei!“. Der Euro bedeute Friedenspolitik mit den Mitteln unserer Zeit und schütze die Europäer. „Europa muss von Bürgern getragen und nicht ertragen werden!“.

Helmut Kohl spricht
Nach fünfzig Minuten Laudatio Junckers ergriff letztlich Helmut Kohl selbst das Wort. Mit monotoner, teils lispelnder, teils gurgelnder Stimme, die auch mal einige Silben verschluckt, brachte er Appelle hervor wie: „Es ist höchste Zeit, dass wir Europa wahrnehmen.“ Der europäische Gemeinschaftssinn solle geschärft werden. Das sei ihm eine Herzensangelegenheit. „Ich habe nie aufgehört an Europa zu glauben. Ich werde immer für Europa kämpfen, für Frieden und Freiheit. Unsere Zukunft heißt Europa und das ist keine Selbstverständlichkeit.“

Kohl kritisiert vor allem die Politik seines Vorgängers Gerhard Schröder (SPD), vor allem die transatlantische Entzweihung während der Debatte um den Irak-Krieg sowie das Aufweichen des Stabilitätspaktes und die verfrühte Aufnahme Griechenlands. Das habe Europa geschadet.

>>Helmut Kohl: Aus Sorge um Europa – Ein Appell, Droemer, 12,99 Euro
 
4. November 2014, 10.20 Uhr
Nicole Brevoord
 
Nicole Brevoord
Jahrgang 1974, Publizistin, seit 2005 beim JOURNAL FRANKFURT als Redakteurin u.a. für Politik, Stadtentwicklung, Flughafen, Kultur, Leute und Shopping zuständig – Mehr von Nicole Brevoord >>
 
 
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