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Foto: Harald Schröder
Foto: Harald Schröder

Erklärung von Tom Koenigs

"Nicht gegen Waffenlieferungen"

Tom Koenigs (Grüne) ist Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag. Der 70-jährige Politiker erklärt hier, warum er Waffenlieferungen in den Nordirak für notwendig hält.
Mehrere hunderttausend Menschen sind in die irakischen Kurdengebiete geflüchtet und brauchen dringend Hilfe. Die Mörderbanden des ISIS, die sie aus ihren Dörfern und Städten vertrieben haben, wurden durch amerikanische Luftschläge und kurdische Kämpfer aufgehalten.

Das Programm der ISIS ist bekannt. Es zielt auf Massenmord, Vergewaltigung und die Wiedereinführung der Sklaverei. Deshalb haben auch die Grünen die amerikanische Intervention einhellig begrüßt.

Aber wir wissen nicht, was in den nächsten Wochen, Tagen und Stunden passiert. In manchen Regionen stehen die ISIS-Banden gerade einmal 20 Kilometer vom nächsten Flüchtlingslager entfernt. In den letzten Wochen mussten sich die kurdischen Truppen mehrfach zurückziehen, weil sie den hochmodernen Waffen des ISIS nichts entgegenzusetzen hatten oder ihnen die Munition ausgegangen war. Die Flüchtlinge wären dem Mob hilflos ausgeliefert.

Da der irakische Staat nicht handlungsfähig ist, trägt nach den Regeln der „responsibility to protect“ die Weltgemeinschaft die Verantwortung für das, was im Nordirak geschieht. Wir alle sind aufgerufen, das uns Mögliche und Notwendige zu tun, damit nicht wieder geschieht, was in Ruanda und Srebrenica passiert ist: Massenmord an der hilflosen Bevölkerung vor den Augen der Welt.

Die einzig in der Region funktionierende staatliche Institution ist die kurdische Autonomieregierung. Sie hat die Bundesregierung gebeten, ihr Waffen zu schicken. Die kurdischen Peschmerga sind vor Ort die einzigen, die sich den ISIS-Banden entgegenstellen können – niemand sonst hat die Bereitschaft erklärt, die Flüchtlinge durch Bodentruppen zu schützen.

Gegen dieses Vorhaben wurden viele Argumente vorgetragen. So bestehe die Gefahr, dass die gelieferten Waffen außer Kontrolle geraten – die Beispiele reichen von Libyen über Mali bis zur IS selbst, die über hochmoderne Ausrüstung aus den Beständen der irakischen Armee verfügt. Außerdem könnte die kurdische Autonomieregierung den Moment der Stärke nutzen, um einen eigenen Staat auszurufen - politisch klug wäre das nicht, aber darum geht es in diesen Fragen selten. Kritisiert wurde auch, dass es sich um die falschen Waffen handeln könnte. Schließlich wäre es unter außenpolitischen Gesichtspunkten sinnvoll, dass sich Deutschland aktiver für die Einbeziehung der Vereinten Nationen einsetzt und eine enge Zusammenarbeit der Verbündeten im Mittleren Osten unterstützt. Dass eine relativ spontane, bilaterale Aktion in der langfristigen Perspektive viel erreichen kann, ist in der Tat zu bezweifeln.

Für mich sind zwei Fragen entscheidend. Zum einen gilt es, ISIS nicht nur zu bremsen oder zurück zu drängen, sondern dieses menschenrechtsfeindliche Gebilde aufzulösen. Derzeit beherrschen sie ein Gebiet mit ca. 8 Mio. Einwohnern. Der Aufbau von staatlichen Strukturen und die Einbeziehung junger Männer aus aller Welt in eine schnell wachsende, hoch gerüstete Arme weisen auf ein langfristiges Projekt international vernetzen Form moderner Barbarei hin.

Ermöglicht wurde das ISIS-„Kalifat“ durch die Entstehung eines Machtvakuums, das auf den amerikanischen Irak-Krieg, die Aufstände in Syrien bzw. ihre Bekämpfung durch die syrische Regierung sowie die verfehlte Politik der irakischen Schiiten zurückzuführen ist. Dauerhaft verschwinden kann dieses Gebilde nur, wenn alternative Machtstrukturen aufgebaut und durchgesetzt werden. Ob dabei die Zentralen in Bagdad bzw. Damaskus aktiv mitwirken oder derartige Strukturen tolerieren, ist bisher unklar. Als Akteure kommen sowohl die kurdischen Parteien und Verbände als auch möglicherweise von der ISIS-Herrschaft emanzipierte sunnitische Stammes- und Herrschaftsstrukturen in Frage.

Zugleich gilt es, ISIS weltweit zu ächten, die finanziellen Mittel auszutrocknen und den Zustrom neuer Kämpfer zu beenden. Dazu bedarf es eindeutiger Beschlüsse und gestärkter Institutionen der Weltgemeinschaft. Deutschland sollte dazu im Rahmen seiner Möglichkeiten beitragen.

Noch wichtiger ist für mich die zweite Frage.

Mir geht es darum, dass hier und jetzt nicht noch mehr Menschen zu Opfern werden. Es geht mir um die Schutzgarantie für hunderttausende Flüchtlinge und die Millionen Menschen in jenen Städten und Dörfern im Nordirak, die ISIS noch nicht erobern konnte. Dass die „responsibility to protect“ – tatsächlich wahrgenommen wird, hängt davon ab, dass die kurdischen Kämpfer die Flüchtlingslager und ihre Gebiete verteidigen können – auch dann, wenn die ISIS-Banden gerade wieder einmal die Richtung des Vormarsches ändern. Dazu müssen sie über Gewehre, Munition, Schutzwesten und panzerbrechende Waffen verfügen. Gemäß den Regeln der Vereinten Nationen, denen auch Deutschland zugestimmt hat, sind dafür wir alle verantwortlich.

„Responsibility to protect“ bedeutet: Die potentiellen Opfer schützen. Sie gilt hier und jetzt, auch dann, wenn daraus mögliche weitere Verwicklungen entstehen können.

Deshalb habe ich nicht gegen den Vorschlag der Bundesregierung gestimmt.
 
4. September 2014, 11.36 Uhr
Tom Koenigs
 
 
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